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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und nun setzte sich Base Wieschen rasch in das Wäglein und fuhr hinauf nach Harzgerode; denn der Vater lag noch immer auf seinem Schmerzenslager und die Mutter begehrete ihn nicht zu verlassen.

Ich aber mußt’ oben in dem Zimmer ein Bette herrichten, und die Mutter befahl, da es ein großes Gemach und ein Alkoven daneben, ich sollte mit der jungen Muhme dorten wohnen. Weigerte mich aber, mein Kämmerlein zu lassen, vor dessen Fenster die Linden rauscheten, und wollt’ nicht die Aussicht haben nach dem Schloß – nie und nimmermehr! Und weil ich darum zu weinen begunnete, that die Mutter nach meinem Willen, und Base Wieschen’s Bettstatt ward nunmehro mit in das große Gemach getragen; das war mir gerade recht.

Gegen Abend selbigen Tages aber ging ich in den Garten mit meinem Nähgeräth und setzete mich in die Buchenlaube. Niemand war dorten denn ein harthörig Weib; das gätete Unkraut in den jungen Mohrrüben und Zwiebeln weit dort hinten; ich legte meine Nähterei in den Schooß und vergaß über vielem schweren Sinnen gar die schwarze Florhaube zu fertigen, so meine Mutter auf dem morgenden Kirchgange tragen wollt, zu Ehren der verblichenen Schwägerin.

Es war ein warmer Tag gewesen; die Mücken tanzeten vor der Laube und am Himmel stund schon blaß der halbe Mond. Vom Wald her aber ging ein frischer Hauch von harzigen Tannen, und jenseits der Hecke sang eine Frauenstimme ein altes Liedlein in eintöniger Melodei.

Die Dämmerung stieg leise hernieder, und endlich ward es ganz still umher. Da hörete ich deutlich durch das Schweigen des Abends meinen Namen ,Christel! Christel!‘ nicht gar laut, aber auch nicht gar leise, gleich wie von Conradus’ Stimme, daß ich jach emporschreckte und meinte, es narre mich ein Spuk. Ein Schauer fuhr mir durch die Glieder, als melde sich ein Unglück an. Ich horchte ängstlich auf mit allen Sinnen, und da kam es noch einmal an mein Ohr: ‚Christel, Christel, Schwesterlein, mach’ die Pforten auf!‘ Ich eilte aus der Laube, und da stand er leibhaftig vor dem Thürlein, so nach der Landstraße hinaus führet, und sein Gesicht sah so weiß aus, gleich wie das eines Todten.

‚Ich kann nicht hinüberspringen, wie sonsten,‘ sprach er, und nun gewahrte ich erst das weiße Tuch, so um seine Stirn geschlungen, und ich hakete eilig die Pforte auf und zog ihn entsetzt in den Garten herein:

,Conrade, was hast Du gethan? Wo kommst Du her?‘

Er aber war so schwach, daß er kaum zu stehen vermochte und sich gar fest auf mich stützete, als ich ihn in die Laube führte. Da er sich nun ein Weilchen erholet, verlangte er Wein, aber ich solle im Hause nimmer sagen, daß er hier sei, bis er mir fein heimlich Alles werde erzählet haben. Kam auch ungesehen mit dem Becher wieder zu ihm, und da er nun getrunken – ach, da ward er glühend heiß im Antlitze, und es schüttelte ihn wie im Fieber, daß ich bat:

,Conrade, komm’ und lege Dich nieder! Du bist krank.‘ Er sei in einem Zweikampfe verwundet, berichtete er stockend, und als könne er sich schier nicht besinnen, legte er zu öftern die Hand an die Stirn, und Sehnsucht, die habe er auch gehabt, und krank fühle er sich, so krank, als müsse er gar sterben. Aber der Vater, der Vater solle es nimmer erfahren; darum wolle er hier geduldiglich warten, bis es ganz finster sei. Da setzte ich mich zu ihm in großer Herzensangst, und legte meine Hände auf seine Stirn; die glühte wie grimmig Feuer, und sein Haupt sank schwer auf meine Schulter. Und so saßen wir, bis hier und da schon ein Sternlein aufblitzete und der Mutter Stimme mahnend durch den stillen Garten scholl:

,Christiane, was träumest Du schon wieder!‘

‚Komm!‘ sagte ich zu ihm, und leise stöhnend erhob er sich und wankte dem Hause zu. Kamen auch unbemerkt die Stiegen hinauf, und weil kein Lager für ihn bereitet, führete ich ihn in mein eigen Kämmerlein, und dorten sank er auf das Bette, und seine Glieder flogen wie im heftigen Froste. Dann kündete ich eilends der Mutter, daß er gekommen sei; die ward blaß bis in die Lippen und gebot, ich solle beim Vater bleiben. Und sie hastete hinauf, und dieweil ich unten am Krankenbette saß und mit dem Vater redete, waren meine Gedanken oben bei Conradus, meinem herzlieben Bruder, den ich mir dennoch nicht mehr als Bruder zu denken vermochte.

Dann aber hörte ich leise die Hausthür klinken, und als ich spähend an das Fenster trat, sah ich unsere Jungemagd; die lief eilends über den Platz nach der Wohnung des fürstlichen Arztes, und balde kam sie mit ihm zurück in unser Haus. Mein Vater aber fragte ärgerlich, was das für ein Gelaufe sei am Samstag Abend, und ob sich das für ein geistlich Haus gezieme? Ich solle allsogleich nachsehen, was es bedeute?

Ich ging flugs hinaus und kam athemlos zur Treppe hinauf. Da hörte ich, wie der Medicus sprach:

,Oberpredigerin, es stehet schlimm mit ihm, aber saget Eurem Manne nimmer Etwas! Er muß behütet sein vor jeglicher Irritation.‘

Meine Mutter begunnte zu jammern; die Base sei nicht daheim; wer ihn nur pflegen solle; sie könne doch anitzt nicht fort von dem Vater?

Da trat ich leise hinzu; ich würde es thun, sagte ich, und ging stracks in die Kammer und setzte mich allda an sein Bett. Er lag mit schier fieberglühenden Wangen; die blauen Augen leuchteten in irrem Glanze, und sein viel lieber Mund redete immerfort. Bald haderte er mit Einem und schalt ihn arg; dann wieder schrie er jach auf:

‚Meine Mutter, Mutter! Ich will sie nicht; laßt mir meine alte Mutter! Es ist ja nimmer wahr, daß dem so ist.‘ Und gleich darauf hub er zu singen an:

Zu Helmstädt beim Bieren,
Da thät ich studiren!
Bibe, bibe, bibe, bibe,
Tu quis satis, bibe, bibe,
Tum Lyæus imperat!
Io! Io!

Entsetzt starrte ich auf ihn hernieder.

‚Conrade,‘ flüsterte ich, ‚herzlieber Bruder!‘

Da ward er stille einen Augenblick.

,Christel, Christel, mein blondes Schwesterlein, hübsch bist Du geworden und fein – Ach, wenn Du wüßtest, wie es mir ergangen, wie sie mich gehöhnet und mir wehe gethan, die Menschen da draußen! Was kann ich davor, daß meine Mutter –‘ Er lachte bitter auf. ‚Aber siehst Du, Bube, es ist Dir schlimm bekommen, schlimmer denn mir. – Eins, zwei, drei – los!‘ Und wild saß er auf im Bette, ach, nur sein schmerzend Haupt machte, daß er oftmalen stöhnend wieder zurücksank.

Was Menschenhilfe nur vermochte, geschah nunmehr; der Medicus kehrte noch zwomal wieder in selbiger Nacht und wies mich an, wie ich die kühlenden Tücher auf sein Haupt zu legen hätt’, wie den säuerlichen Trank zu reichen, und gegen Morgen ward er mählich stiller und fand Schlummer. Da sank auch mein armer Kopf gegen des Stuhles Lehne, und ich schlief ein, schreckte aber empor im ersten Morgengrauen; denn es war todtenhaft Schweigen im Gemach, also daß ich kaum den Athem des Kranken hörte; wie ich mich aber über ihn beugte, da stöhnete er leise, als läg’ er in großen Schmerzen.

,Conrade,‘ forschte ich, ‚Du leidest schwer?‘

‚Es brennet,‘ klagte er, ‚es brennet mir im Kopf gleichwie höllisch Feuer – aber ungleich schlimmer im Herzen.‘

Und da er die Augen hob, sahe ich, daß er bei Besinnung, und kniete nieder an der Bettstatt.

,Conrade, viel lieber Bruder,‘ bat ich, ‚was macht Dir das Herz all so schwer?‘

Und er schlang den Arm inniglich um meinen Nacken und zog mein Antlitz gegen seines.

,Christiane,‘ flüsterte er, ‚wir haben uns immer herzlich geliebet; hilf mir jetzt, daß ich nicht untergehe; hilf mir, daß ich nicht verkomme in meines Herzens Undankbarkeit und Unrast! Bleib bei mir, Christel! Du bist gut und fromm, und ich weiß nimmer, wie es werden soll mit mir.‘

,Gut wird es werden, Conrade, gut!‘ getröstete ich, ‚Du wirst gesunden, und wirst hinfüro hier bei uns wohnen in Frieden und Liebe, wie in alter glückseliger Zeit, da wir Kinder waren. – Verzage nicht, Conrade, gedenke aber des Sprüchleins, so über unseres Hauses Pfordten stehet, das Du mir einst selbsten verdeutschet: „Du Herr bist mein Heil, was können die Menschen mir thun ?“‘

,Meinst Du?‘ höhnete er.

,Conrade!‘ rief ich, ‚Gott vergeb’ Dir Dein sündig Sprechen!‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_823.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)