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Blätter und Blüthen.


Spatzenweihnachten in Norwegen. (Dazu die Illustration auf S. 845.)

„Ich bin wohl ein gemeiner Wicht;
Das Singen gar versteh ich nicht;
In schönen Kleidern geh’ ich nicht –
Es sieht mich auch kein Mensch nicht an;
Nur böse Buben dann und wann –
Die werfen mich mit Steinen.“
  Julius Rodenberg.

Sprechen sie nicht laut genug zu uns, diese armen gefiederten Proletarier, welche doch nicht nur die frohe Sommerszeit, nein, auch den schlimmen Winter getreulich mit uns theilen? Sollten wir sie wohl umsonst bitten lassen? Vielleicht, daß Jemand noch mit ihnen abzurechnen hätte, mit jenem da wegen des kecken Kirschenraubes, und mit diesem hier wegen des dreisten Stibitzens der vollsaftigen Weinbeeren. All diese gestrengen Richter mögen Gnade für Recht ergehen lassen und dem armen Schelm verzeihen, auf den jetzt Hunger und Kälte eindringen. Seht doch nur: da sitzt der Aermste, geduckt im Kreise der Seinen, die Federn ringsum aufgeblasen, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, sodaß nur Schnabel und Auge aus dem Pelze hervorlauern. Jener hockt einsam im geschützten Winkel, sucht einen Fenstersims, einen Schornstein, um den Strahl der Wintersonne oder den Hauch des Herdfeuers aufzufangen; hier klopft gar einer mit kläglicher Miene an unser Fenster und fleht um ein Almosen. Ach, die Aermsten!

Wir wissen ein Land, wo die Spatzen es besser haben, als bei uns, wo ihnen im Winter auch einmal der gedeckte Tisch lacht, daß das sonst so lustige, in der Kälte aber so bekümmerte Vogelherzchen aufgeht vor eitel Lust und Freude.

Wohl sind wir in deutschen Landen mit Recht stolz auf unsere Weihnachtsfeier, die keine Nation in gleich innig sinniger Weise zu einem Feste der frohen Freude und Dankbarkeit zu gestalten weiß. Aber heute wollen wir von einem germanischen Brudervolk erzählen, das jenseits der Baltischen See wohnt, wo die Küste hoch aufsteigt, wo der Waldfinne seine Renthiere auf den Schnee-Alpen treibt und den hungrigen Wolf, den grimmigen Bären jagt, daß donnernd der Knall seiner Büchse aus düsteren Meeresbuchten widerhallt; im fernen Norwegen giebt es eine gute alte Sitte: Am Weihnachtsabend, wo Jeder besser lebt, als gewöhnlich, gedenkt man dort liebreich der armen Spatzen, die nicht gleich den Zugvögeln von dannen ziehen können. An jenem Abende nimmt in Norwegen jeder, auch der ärmste Mann, aus dem Erntevorrath ein volles Garbenbündel und befestigt dasselbe, wie unsere Abbildung zeigt, hoch auf einer Stange am Wohnhause. Es ist, als ob zu einer Zeit, wo die Schneedecke den armen Spatzen nur kümmerlichen und spärlichen Vorrath bietet, jeder dazu beitragen wollte, die schönen Trostesworte zu verwirklichen: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an! Sie säen nicht; sie ernten nicht; sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.“

Diese Vogelfreude selbst heißt auf nordisch „Juleneg“, das heißt Weihnachtsbüschel. In weiter Entfernung schon wird man aufmerksam auf den Jubel, auf den Lobgesang des frohen Vogelhaufens in einem solchen Weihnachtsbüschel. So läßt Henrick Wergeland die Vogelschaar sich folgendermaßen über den Weihnachtsbüschel aussprechen:

„Ein Käthner, der arm im Walde wohnt,
Gab uns den Büschel, der am Pfahle thront.

Er hatte nur drei, gab einen uns hin:
Das Jesuskind regt ihm den stillen Sinn.

Der Schnee stürzt über das niedrige Dach –
Wir hausen im Büschel, bewahrt und gemach.

Kein Körnchen geht unserem Schnabel verloren,
Auch uns ist hier der Erlöser geboren.

Gott segne den Geber, sein Herz und sein Handeln,
Möcht’ ihm dieser Büschel in Gold sich verwandeln!“

Man möchte glauben, daß die auf- und abkletternden, hin- und herhüpfenden, kopfunter und kopfüber purzelnden Thierchen bei ihrer Seelenfreude ganz vergäßen, auch ihren Leib zu laben: jedenfalls ist es sicher, daß sie nicht darnach fragen, ob wir uns in mythologische Forschungen vertiefen, woher diese hübsche, uralte Sitte ihren Ursprung habe. Wahrscheinlich ist es hiermit, wie bei manchem der norwegischen Volkslieder, in denen es heißt:

„Das Lied, das hat sich selber gemacht;
Hoch vom Gebirge haben’s die Stürme gebracht.“

Im ganzen Norwegen und auch in Schweden bringt man, wenn Waldungen in der Nähe sind, die zusammengebundenen Garben von Hafer und Gerste, der Sonne zugewandt, auf 1,9 bis 2,5 Meter hohen Stangen an, um in Fall von Regenwetter geringerer Gefahr ausgesetzt zu sein. Von diesen Garbenbündeln giebt dann auch der, dem nicht viel gegeben ist, ab, sodaß es mit Hebel von der hungrigen Vogelwelt heißen darf:

„Sie seihe nit un ernte nit;
Sie hen kei Pflueg un hen kei Joch,
Un Gott im Himmli nährt sie doch.“


Der sogenannte Trompeter in den Hummelnestern. Vor nun bald zweihundert Jahren (1685) berichtete der holländische Maler und tüchtige Insectenbeobachter Van Goedart, er habe in den Hummelnestern einen Trompeter beobachtet, der jeden Morgen in den Giebel des Nestes steige und daselbst durch anhaltendes Summen die übrigen Hummeln zur Arbeit rufe. Da wir bei den andern gesellig lebenden Hautflüglern, namentlich bei Bienen und Ameisen, so viele den menschlichen Einrichtungen ähnliche sociale Errungenschaften kennen gelernt haben, so könnte uns dieses Seitenstück zu dem wachsamen Trompeter unserer Casernenhöfe durchaus nicht in Erstaunen setzen, aber merkwürdiger Weise waren bis heutigen Tages alle Bemühungen der späteren Beobachter, den Trompeter wieder einmal zu vernehmen, vergeblich, und man begann nach dem Beispiele Réaumur’s die Erzählung Goedart’s bereits ziemlich allgemein zu den Fabeln zu rechnen. Allein wiederholte neuere Beobachtungen von Professor Dr. Eduard Hoffer in Graz haben erwiesen, daß die Thatsache vollkommen begründet ist, sofern verschiedene unterirdische Nester bauende Hummelarten ihren mit Hingebung seines Amtes wartenden Wächter und Wecker haben, der die Bewohner des Morgens zur Arbeit ruft. In seinem zur Zeit im Erscheinen begriffenen, an anziehenden Lebensschilderungen sehr reichen Werke über „Die Hummeln Steiermarks“ (erste Hälfte, Graz 1882) erzählt dieser ausgezeichnete Hummelbeobachter, wie er im vorigen Jahre ein dreistöckiges und circa hundertfünfzig Arbeiter enthaltendes Nest der Sandhummel (Bombus argillaceus) geschenkt bekommen und in einem Kasten mit Flugloch und verfinstertem Glasdeckel aufgestellt habe, wobei die Hummeln, ungestört durch eine mehrstündige Reise, unverweilt ihre Bau- und sonstigen Arbeiten fortsetzten.

Gleich am nächsten Morgen hörte Professor Hoffer um dreieinhalb Uhr ein eigenthümliches, starkes Summen im Kasten und sah, nachdem er vorsichtig den das Glasdach verdunkelnden Holzdeckel hinweggeschoben, ganz oben auf der Wachshülle des Nestes ein sogenanntes „kleines Weibchen“ hoch aufgerichtet, mit dem Kopfe jedoch nach abwärts stehen und mit aller Macht gleichmäßig die Flügel schwingen, wobei der Ton anscheinend noch durch aus den Athemlöchern ausgestoßene Luft verstärkt wurde; das Thierchen fuhr mit dieser Musik fort, bis gegen viereinhalb Uhr, also circa drei Viertelstunden, während nach und nach die Hummeln hervorkamen und auf die Weide flogen. So ging es in der Folge alle Morgen: um dieselbe Zeit entstieg der Trompeter dem Neste und summte mitunter ununterbrochen eine ganze Stunde lang, bis er, völlig erschöpft, zusammensank; er erholte sich erst, nachdem er mehrere Minuten still gelegen, so weit, um wieder in das Nest kriechen zu können.

Der natürlich nicht wenig erfreute Beobachter konnte an den folgenden Tagen die Hausgenossen und verschiedene befreundete Hummelkenner zu dem wundersamen Frühconcert einladen, von denen dann der Eine (Herr Firtsch) den Trompeter auch bei der Steinhummel (Bombus lapidarius) vernahm. Wahrscheinlich haben nur die unter der Erde nistenden Hummeln einen solchen Trompeter, und vielleicht auch bei diesen nur die stärkeren Nester. So war der alte Insecten-Beobachter glänzend gerechtfertigt, und Professor Hoffer beschloß nun, ferner zu erproben, was geschehen würde, wenn er den Trompeter wegfinge. Er spießte ihn also für seine Sammlung auf, und am nächsten Morgen blieb Alles ruhig bis acht Minuten nach Vier, um welche Zeit schon einige Hummeln, müde des langen Wartens auf das gewohnte Signal, außen umherkrochen.

Zur gedachten Zeit aber stieg dann wieder ein „kleines Weibchen“ an der Wand des Kästchens empor und sang gerade so laut und anhaltend wie der vorige Trompeter, dessen Pflichten das Thierchen nun regelmäßig allmorgentlich erfüllte. Man ersieht hieraus, daß die Hummeln etwas mehr Aufmerksamkeit für ihr Leben und Treiben verdienen, als sie bisher gefunden haben, und ebenso wohl wie die Ameisen, für welche Sir John Lubbock jetzt Freunde wirbt, der Aufnahme in unsere Studirzimmer werth sind. Sie erscheinen ja in ihrem ganzen Benehmen höchst drollig und sind gar nicht so bösartig, wie ihre heißblütigen Schwestern, die Wespen oder gar die Hornissen; ja Huber versichert uns, mit eigenen Augen gesehen zu haben, daß sie ihre Gutmüthigkeit so weit treiben, sich von befreundeten Bienennachbarn, die sich ihnen schmeichelnd und bittend näherten, den letzten Tropfen Honig abbetteln zu lassen. Gerade im Hummelleben läßt sich gewiß noch viel Neues beobachten, und das oben erwähnte neue Buch Hoffer’s giebt die besten Fingerzeige dafür.


Die Dreiunddreißiger Gilde zu Parchim (in Mecklenburg) ist wohl in Deutschland eine der ältesten Gesellschaften ihrer Art; an ihre Entstehung und ihr Wesen knüpft sich viel des Eigenthümlichen, das einer kurzen Mittheilung wohl werth sein dürfte, dies um so mehr, als derartige dem Mittelalter entstammende Gesellschaften heute mehr und mehr auf den Aussterbe-Etat gesetzt werden.

Ueber die Entstehung dieser Gilde fehlen uns authentische Nachrichten; sie nannte sich vormals Corpus Christi und soll nach „Kleemann’s Parchimscher Chronik“ aus Veranlassung des schwarzen Todes, der um’s Jahr 1346 im Norden Deutschlands besonders stark wüthete und auch der Stadt Parchim tiefe Wunden schlug, zu mildthätigen Zwecken gegründet worden sein. Die Zahl 33 ist vermuthlich auf eine symbolische Anknüpfung an die Jahre zurückzuführen, die Christus auf Erden gewandelt hat. Es wurden ihr bei ihrer Entstehung bedeutende Liegenschaften verliehen. Ob die Einkünfte aber im Laufe der Zeit immer dem Zwecke entsprechend verwendet worden sind, ist zu bezweifeln; denn nach Kleemann’s „Parchimscher Chronik“ hat 1563 eine Visitation durch fürstliche Herren stattgefunden, bei der es an Monituren nicht gefehlt zu haben scheint.

Die Dreiunddreißiger Gilde ist beritten und trägt eine sehr kleidsame Uniform: grüne Schooßröcke mit gelben Knöpfen und Epauletten, grünes Beinkleid, an der äußern Naht ebenfalls mit gelben Knöpfen besetzt, einen dreieckigen Filzhut mit grünem Federbusch, Patrontasche mit schwarzem Bandelier und einen Schleppsäbel in gelber Scheide.

Die Abhaltung des alljährlichen Gildenfestes hat manches Eigenthümliche und nahm in früheren Jahren fast zwei Tage in Anspruch. Am ersten Tage wurden einige Straßen des Städtchens durchzogen und dann im Bruch’schen Hôtel ein Frühstück eingenommen. Am zweiten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_851.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)