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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

‚Nimmer genung!‘ antwortete er, und, gleich wie unter schwerer Last erseufzend, setzte er fragend hinzu: ‚Sag’ an, bin ich nicht zu jung, Christiane, zu solch ernstem Beruf?‘

,Nein, nein, Conrade; thut es doch nimmer die Jugend, sondern blos die Fähigkeit, so dem Amte vorzustehen vermag, und dieses weißt Du und kennest Du gar wohl.‘

‚Also meinet der Vater auch,‘ antwortete er, ‚und mir banget dennoch.‘

Da lachte ich ihm hell in’s jungschöne Antlitz, aber still heimlich sorgte ich mich doch um ihn, dieweil er oftmalen gereizt und zornig war, wo ihm doch ein Leide nimmer geschehen war. So ging er Hedwigen schier unfreundlich aus dem Wege und achtete ihrer nicht mehr, denn der grauen Katze, so auf der Treppen an ihm vorüber strich; sie war ihm deß nicht böse, schauete ihm höchstens nach mit sonderbarlichem Lächeln. Am Himmelfahrtstage aber, da wir unter der Linden im Garten saßen und Hedwige zu unserer Arbeit ein fein Liedlein sang, da warf er unwirsch sein Fensterlein zu, also daß ein Glas klirrend in Stücke ging; nur Hedwige that, als habe sie nichts bemerket, und sang weiter, nicht lauter, noch leiser, und dennoch meinete ich, es klinge weicher annoch und berückender, denn zuvor.

,Deines Singens sei nun genung, Hedwige!‘ bat ich; ‚denn wisse, es störet den Conradus.‘

Da lachte sie trutziglich; das scholl silberhell und süße, und oben wurde hastiglich ein Stuhl gerückt; nun kamen Schritte auf der Stiegen herunter, und Conradus ging nicht gar weit von uns vorüber, ohn’ aufzusehen, hastiglich, als könne er nimmer früh genung aus unserer Nähe kommen; dann klang die Gartenpforte, und es ward gar stille.

‚Es ist nimmer recht,‘ sagte ich, ‚Du alterirst ihn in seiner Arbeit, Hedwige. Wie doch soll er Etwas schaffen, so die Herzen der Hörer packet und zu Gott führet, wenn Du solch weltlich Narrethei hier unten treibest!‘

Sie aber antwortete nicht, sondern stund auf und ging in den Garten hinein, und da nach einer Weile die Mutter ihrer begehrete, war sie nirgendwo zu finden.

In der Dämmerung aber kam Conradus zurücke, und ich hörte, wie er stracks in meines Vaters Stube trat. Dorten blieb er lange, und die Abendsuppe, so die Base unter der Linden aufgetragen, die ward kalt und mußte wieder hinweg genommen werden. Da es aber mehr und mehr dunkelte, beschied mich die Mutter in des Vaters Gemach. Es war annoch kein Licht angezündet; nur der Mond blinkte als schmale Sichel durch das Fensterlein und zeigte mir des Vaters bleich Antlitz, so in den Kissen des Krankenstuhles ruhete.

,Christiane!‘ rief er, und seine Stimme klang milder, denn ich sie jemalen gehört, ‚komme näher! Ich habe Dir Etliches zu vermelden.‘

Und ich that, wie er mich geheißen, und wartete; aber es war, als fände er nimmer die richtigen Worte.

‚Ich meine den Conradus, Kind,‘ hub er endlich an, ‚ich denke, Du habest ihn allzeit herzlich geliebet, gleichwie einen Bruder?‘

‚Ja, Vater,‘ sagte ich stockend.

‚Nun aber ist es an der Zeit, Dir kund zu thun, daß er so wenig zu unserer Sippe gehöret, wie der Fremdling, der da an des Hauses Thür vorüber gehet – – Er ist nimmer mein Sohn, wie er nimmer Dein leiblicher Bruder ist –‘

Er schwieg, und seine klugen Augen, die sahen durch die Dämmerung gar bedeutsam herüber zu mir. Dieweil ich nun nicht antwortete, fragte er wiederum:

,Wußtest Du Solches, Christiane?‘

‚Ja,‘ erwiderte ich gar bang und gepreßt.

‚So ist Dir auch kund worden, wer seine Eltern sind?‘

Ich senkete stumm das Haupt, unsicher, wie ich ihm sollte Antwort thun.

‚Woher möchte Dir auch solche Kunde kommen,‘ fuhr er fort, ‚da es ein fein difficil Geheimniß ist? Thuet auch hoffentlich keinen Schaden Deiner Gesinnung zu ihm. Ist ein treuer Gesell, der Conradus, wohl würdig eines guten Weibes. – Weiß nimmer, ob es wahr, was da die Mutter mir verstohlen hat zugetragen, daß Ihr Euch mit andern Augen anschauet, denn mit Bruder- und Schwesteraugen?‘

,Vater!‘ rief ich.

Er aber faßte meine Hand und zog mich näher, und ich knieete vor ihm in gar großer Herzensverwirrung.

,War von je ein traumhaft zerfahrener Knabe der Conradus,‘ fuhr er fort, ‚aber anitzo ist er ein ernster Mann worden, der binnen Kurzem sein Amt zu Gottes Ehre wird wohl verwalten. Hat mir vorhin gestanden, daß sein Herze sich zu Dir neige, und gemeinet, Du taugest wohl vor andern Jungfrauen zur jungen Pastorsfrau. Will sich Bescheid von Dir erholen am Pfingsttage nach seiner Predigt; Du aber mögest Dir reiflich überlegen, ob Du bei ihm ausharren willt für und für in Noth und Fährlichkeiten bis zu des Lebens Ende. Was saget Dein Herze dazu, Christiane? Willt Du in Lieb’ und Treue sein Ehegemahl sein?‘

Mir war es, als habe der Himmel sich jach hernieder gelassen in das finstere Gemach und ein überirdisch Glänzen blende meine Augen.

,Ja, Vater, ja zu tausendmalen!‘ stammelte ich.

‚Und ist Dir sein dunkel Herkommen kein Stein des Anstoßes, vielliebe Tochter?‘

,Nein, o nein! Nur lieber will ich ihn drob halten – für Alles, so ihm fehlet, will ich ihm noch mehr der Liebe geben.‘

‚So werde ich es ihm vermelden, Du aber gehe stracks hinauf in Dein Stüblein und besprich Dich mit dem, der unseres Herzens Gedanken erforschet!‘

Da wankte ich hinaus aus dem Gemach und stieg hastiglich treppauf, und in meinem stillen Kämmerlein, da sank ich auf die Kniee vor dem Bette nieder, barg den Kopf in die Kissen und wußte schier nimmer, was beginnen in meines Glückes Ueberschwang. Schwer dünkete es mich, allein zu tragen die gar so süße Seligkeit, und Conradus weilete doch ganz nahe bei mir in seinem Stübchen; thät er denn nimmer ahnen, daß ich mich nach ihm sehnete? Unstät strich ich das Haar zurücke, so mir über die Stirn gefallen, und öffnete das Fensterlein; kühle Nachtluft aber wehete mich an; tiefschweigend und dunkel lag der Garten; nur aus Conradus’ Fenster fiel ein gar heller Schein auf die Blätter des Buschwerkes, darinnen aber wanderte schier ruhelos ein Schatten auf und ab. Ob er an mich dachte und an die Antwort, so ich geben würde? Ach, mußte er denn nicht allbereits wissen, daß sie nicht anders lauten konnte als ‚Ja‘ und ‚Ja‘ in alle Ewigkeit?

Da hub leise eine Nachtigall an zu schlagen in der Linden, süß und schwermüthiglich klang es; ich aber bog mich weit hinaus; ‚Conrade! Conrade!‘ kam es leise über die Lippen mein, und erschrocken bis in’s Herze hinein hielt ich inne. Aber Niemand antwortete; nur die Nachtigall, die sang fürder und fürder, und ich mußte weinen und wußte schier nimmer warum. –

Langsam vergingen die Tage, und ich frug mich oftmalen, wie der traute Mann nur vermöge an mir vorüberzugehen ohn’ einen Blick, da er mich doch liebete? Sei gelehrter Herren Art, tröstete die Base, da ich ihn auf der Stiegen getroffen mit blasserem Antlitz denn sonsten, und also tief in Gedanken, daß er mich nimmer bemerkte, ob mein Gewand ihn gleich streifete. Sei gelehrter Herren Art, daß sie nicht sonderlich Acht haben auf das, so um sie vorgehet. ,Wirst Dich darein finden müssen, Lammelein,‘ sagte die Alte, ‚ihn nimmer zu stören und fein duldsam zu warten, bis daß es ihn gelüstet, mit Dir zu reden. Ein anderer Mann hat alleweg Zeit zu necken und zu kosen, ist aber nicht paßlich für einen geistlichen Herrn – war Dein Vater doch auch nimmer anders. Hab’s all mein Lebtag gesagt, ist kein leicht Ding eines gelehrten Herrn Weib zu sein.‘

‚Ja,‘ dachte ich derweil bei mir, ‚wird schon recht sein, was die Base da redet‘; denn ob ich mich auch sehnete, sein lieb Antlitz zu schauen, Conradus saß fürder wie hingebannet über seinen Büchern, also daß ich mich schier darob wunderte, wie die Ausarbeitung eines Sermons mocht so gar lange Zeit erfordern. Unterweilen hörete ich ihn laut sprechen; allgewaltig klang zu solchen Stunden seine tiefe Stimme und gar wohllautend, just wie geschaffen für eines Predigers Vortrag, allso daß ich oftmalen auf der Treppe horchte, konnte ich gleich die Worte nimmer verstehen. Und heimlich saß ich und nähete mir ein blau Gewand; das hatte ein rothbraun Sammetstreiflein am Rande, und da die Mutter mich dabei ertappte, da geschah es, daß sie mir zwo silberne Spangen brachte; die waren mit Kettlein an einander gefüget, auf daß das Mieder über der Brust sich fein züchtiglich schlösse. Und lächelnd sagte sie: ‚Die prangeten auf meinem Hochzeitskleide.‘

Hedwige aber, die war still und gar blaß worden seit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_854.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)