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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

übermannete es ihn also, daß er unterlag. – Was mußte nunmehro kommen?

In Wirrniß und Angst schoß Solches durch mein arm Hirn, bis daß ich mich aufraffte und wankend durch das Gemach schritt. Was ich gewollt, ich weiß es nimmer – ich stund auf dem Flur. Wohl dacht’ ich, zu ihm zu gehen, ihm zu sagen, daß sein Glücke höher sei für mich, denn mein eigen, daß ich ihn seines Wortes ledig spräche, daß ich Hedwige segnen wollt, so er sie lieber habe, denn mich. Da ich aber das Thürschloß berührte, sank meine Hand zurücke und hatt nimmer die Kraft, sich wiederum zu heben, und wie im Fieberfrost hockte ich mich nieder auf die Schwelle seiner Thür und starrete in das Dunkel; – wie lange, weiß ich nimmer.

Nichts rührete sich im Hause: nur die alte Dielenuhr, die schwenkte ihren Pendel emsiglich, unbekümmert darob, was ihr Gang bringe, ob süße Lust, ab finstere Schmerzensstunden. Und mählich lichtete sich das Dunkel, und der erste Morgenschein graute durch das Fensterlein über der Stiegen. Da taumelte ich plötzlich empor – mir war, als rege es sich sacht, ganz sachte in Conradus Gemach; dicht an die Wand drückte ich mich; denn itzo öffnete sich seine Thür, und wahrhaftiglich! nun trat er über die Schwelle herfür. Nah an mir vorüber that er gehn nach der Treppen, und dort blieb er stehen und stützte sich auf des Geländers Knauf. In der Dämmerniß aber sah ich sein blaß Gesicht und erkannte Ränzlein und Wanderstab, und langsam und schwer, gleichwie ein übermüder Mann, that er nun den ersten Schritt hinab, und müde und schwer hallten die Tritte sein vom Hausflur herauf; itzo hielt er den Fuß an; dann ging er wiederum fürder; leise klinkte die Gartenthür, und nun nun ward Alles gar still, grauenhaft still allum.

,Conrade! Conrade!‘ wollt ich rufen und vermocht es nimmer. So mag der Bann auf Einem liegen, der da scheintodt zur Gruft getragen wird, fühlend, wie der Tag um ihn schwinde, aber schier ohnmächtig, kund zu thun, daß er annoch lebe. ‚Conrade, Conrade!‘ schrie ich endlich auf, also daß ich mich entsetzete vor dem Klang meiner Stimme, und stürzte in den Garten nunter und eilete die feuchten Wege entlang zur Gartenpforten; die stund halb offen, als habe Jemand in Eil und Hast sie zu schließen vergessen. Einsam lag nun der Weg vor mir, so um die Waldecke führet; in dem grauen Morgenlicht aber gewahreten meine Augen ein weiß Spitzentüchlein; das hing thaufeucht und schwer am Hagedorn neben der Pfordten, und ich kannte das Tüchlein gar wohl, sintemal Hedwige es um den Hals getragen am Tage zuvor.

‚Mitsammen – mit ihr!‘ stammelte ich; es war, als sollten auf’s Neu meine Sinne vergehen, und ich faßte mit meinen zwo Händen in des Strauches Gezweig, nimmer achtend der Dornen, so mich verwundeten: mit todten Augen starrete ich in die Ferne hinaus; das Gefühl erschreckender Leere stieg mählich in mir empor, kalt und gar unheimlich; hinter mir lag meiner Jugend Garten, darinnen die Rosen geblühet bis itzo – vor mir in grauen Dämmernissen gähnete ein endlos weites Nichts –

Und derweilen ward es hell und heller; Purpurgluth lagerte sich im Osten, und eine Lerche, die stieg jubilirend in den Aether empor.

So stund ich, bis die Base mich aufrüttelte und ihr alt treu Antlitz mich entsetzet anschauete.

‚Daß Gott, daß Gott erbarm, Christiane!‘ stammelte ihr Mund schier zitternd. Und da ich aufsah, lag der Garten allum im güldenen Morgenlicht: die Vöglein sungen in den Bäumen, und vom Schloßthurm huben die Glocken zu läuten an –.

‚Pfingsten?‘ fragte ich.

Das alte Weiblein aber ergriff herzinniglich meine Hand.

‚Träumest Du annoch Christel? Weißt Du gar nimmer, was geschehen? Dein Liebster, der ist fort, und mitsammen mit ihm die saubere Dirn, und in der Stuben, da kämpfet Dein Vater alleweil den letzten Kampf. – Besinne Dich, Mädel, und komm, so Du ihn noch lebend willt sehen!‘

Da ich noch immer stund und es nimmer zu fassen vermocht, da zog sie mich schier gewaltsam durch den Garten; denn schon kamen fein festlich geputzte Leut‘ an dem Zaun vorbei, und sie schob mich fürsichtiglich über die Schwelle, da heute früh sein Fuß gegangen, und zerrete mich in des Vaters Gemach, und alldort lag mein Mütterlein vor dem Stuhle, darinnen er ruhete; sein Gesicht war weiß, gleichwie die Tücher, so man ihm unter das Haupt geschoben, und seine Hand hielt ein offen Brieflein krampfhaft zusammengeknittert. – Seitwärts aber harreten mit schier betrübten Mienen des Vaters Stellvertreter im Amtsornate und der Küster mit den heiligen Gefäßen, und der Medicus hielt des Kranken Hand und zählete ängstiglich seine Pulsschläge. Es war ein grauenhaft Schweigen im Gemach.

Da der Vater mich aber gewahrete, hub er an:

‚Mein armes Kindelein, Dir geschah am wehesten.‘

Und wieder ward es gar still. Dann rasselte die Schelle an der Hausthür, und der Sterbende richtete sich mühsamlich empor:

‚Er kommt anitzt – er kommt reuig zurücke! Schaffet Platz für ihn!‘

Da sich aber ungestüm die Thür aufthat, war es Walther, welcher sich weinend neben mich warf und des Vaters Knie umfaßte – und wiederum nach einer Weile, da schlug unseres Vaters Herze nicht mehr.

Draußen aber läuteten die Glocken zum drittenmale, und gar mächtiglich strömete das Volk zur Kirchen, um den Conradus alldort zu hören. Da stund die Base fein leise auf von ihrem Sesselein im Sterbezimmer und ging und verhängete die Fenster und that den Nachtriegel vorschieben an der Hauspfordten, dahinein Schande und Unehre geschlüpfet waren und mit ihnen im gar schweren Geleit der Tod. Und als der Vater war aufgebahret, saß ich in meinem Kämmerlein, davor sich die Linde wieget im Sonnenlicht; beten wollt’ ich – beten. Aber so oft ich auch anhub zu sprechen, stetiglich kam mir das Liedlein auf die Lippen, das Liedlein von Schuld und Sünde: ‚Es stund eine Lind in der Maiennacht –‘


Lange Jahre sind nunmehro dahin geflossen, als wie ein schwerer Traum. Ich war ganz still worden, that allzeit meine Schuldigkeit mit Spinnen und Nähen am Siechbette der Mutter – denn die war krank blieben seit jenem Tag der Schreckniß.

In des Vaters Stuben aber wohnete sein Nachfolger. Der war unbeweibt und duldete gern die Mutter und mich sammt der Base im viellieben Hause meiner Kindheit, also daß wir nimmer hinauszuziehen brauchten in das Wittwenhaus, so klein und unfreundlich unten im Städtlein liegt und annoch von einer hoch betagten Pastorswittib bewohnet ward. War mir Alles schier gleichgültig worden, und wann ein frischer Morgen anbrach und ich erwachte, so lag es gar schwer auf meiner Seelen gleichwie ein Alp: ‚Schon wieder ein Tag!‘ Und Abends freuete ich mich, daß er abermals vorübergegangen.

Walther hatte längsten Weib und Kind und stund als Förster droben in Wolferode; war ein tüchtiger Mann worden, der noch immer mit alter Liebe an uns hing. Nur so er des armen Conradus gedachte, da konnt er’s nimmer lassen, gar zorniglich zu reden und arg dareinzufahren. Dann aber, so sein Zorn verrauchet war, sah er mich an schier wehmüthiglich; ich aber, ich ging fein still hinaus; denn solch Reden that mir wehe.

Conradus! Es war bis annoch kein Tag vergangen, so ich nicht an ihn gedacht. Hatt nimmer Kunde erhalten von ihm und wußt nicht, wohin ihn das Schicksal verschlagen – die Welt ist gar weit und groß. Wollt aber auch keine Botschaft von ihm; thät nur sein Andenken pflegen tief, tief im Herzen als wie das eines Todten, um den zu trauern man nimmer kann aufhören; meinete auch bisweilen, er wäre allbereits todt – und traun! süß und versöhnend war solch Gedanke. –

Stellete ich mir aber für, daß er noch lebe und neben ihr lebe, neben Hedwige, o, dann fraß ein dumpfer Schmerz an meinem Herzen, und heißroth stieg der Zorn und die Eifersucht in mir empor, und in eitel Qual und vielarger Scham rang sich das Geständniß los von meiner Seelen, daß es viel süßer sei, mit ihm in bitter Elend und groß Schanden all Tage zu leben, denn fern von ihm zu sein, ob auch in sicherer Geborgenheit. Dann malete ich mir aus, wie er sie inniglich in seinen Armen wiege und mit ihr fein zärtlich kose, und wie sie ihm die Lieder vorsang, die nämlichen Lieder, so ihn bethöret – wie er für sie sorgete und mit ihr theilete, sei es auch nur ein Stücklein Brod, in Elend und Jammer demüthiglich erbettelt.

Ich war ein herbfinster Weib worden. Konnt es denn anders sein? Blühen denn Rosen in einem Garten, so ein Hagelschlag getroffen?

Im Schlosse war Alles wie eh’. Nach wie vor trieb man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_858.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)