Seite:Die Gartenlaube (1883) 405.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Gesellschaften der Herzogin so anschaulich mit den Worten gezeichnet hat:

„Vermöge der zwanglosen Freimüthigkeit, womit Jeder in Gegenwart der Herzogin Amalie seine individuellen Ansichten aussprechen und vertheidigen durfte, knüpften sich zwischen den hochbegabten Besuchern die geistreichsten Unterhaltungen an, doch gingen diese nur allzu oft in heftige Diskussionen über, bei welchen Wieland’s launenhafte Krittelei, Herder’s persiflirender beißender Witz, sowie Knebel’s unbezähmbare Leidenschaftlichkeit, vor Allem aber Goethe’s dictatorisches Genie kräftig hervortraten und den Streitenden nicht selten scharf verletzende Worte auf die Zungen legten, die den stets vorhandenen Brennstoff in den Gemüthern so gewaltsam anfachten, daß selbst Amaliens Gegenwart und ihre versöhnende Milde nicht hinreichten, die hoch auflodernden Leidenschaften zu dämpfen.“

Das nächste Gemach mit dem kleinen Malertische ist das Malzimmer der Herzogin. Mit Eifer versuchte sie sich in dieser Kunst. Zu Goethe’s „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ malte sie im Verein mit Goethe und Kraus das Gemälde vom „Bänkelsänger“, das nach dem Zeugniß des Fräuleins von Göchhausen „von Kennern und Nichtkennern für ein rares und treffliches Stück Arbeit gehalten wurde“, und sandte später eine kleine Copie desselben nach Frankfurt an Frau Rath „für das Weimarische Zimmer“. Die talentvolle Schauspielerin Christiane Neumann („Euphrosyne“) wurde als Göttin der Gerechtigkeit, als welche sie in ihrem zehnten Jahre einen Prolog von Schiller gesprochen, von der Herzogin in Oel gemalt.

Das Witthums-Palais in Weimar.
Nach einer Photographie.

Das dritte Zimmer war das Musikzimmer der Herzogin. In Braunschweig hatte sie an Fleischer einen tüchtigen Lehrer der Musik gehabt und nährte ihr ganzes Leben hindurch eine leidenschaftliche Liebe zu dieser Kunst. Sie war nicht nur Kennerin der Musik, sie componirte auch selbst. Die Arien zu Goethe’s „Erwin und Elmire“ sind ihr Werk. Als Zeugen dieser musikalischen Studien und Genüsse der Herzogin finden sich hier noch ihre schöne Laute, ihre reich decorirte, doch jetzt saitenlose Harfe, und ihr Clavier, das lange Zeit im Theater bei Proben gedient haben soll, nun aber die alte Stelle wieder eingenommen hat. Ein Heft Noten von Haydn liegt auf dem alten Clavier. Es ist, als ob die Herzogin an den Schöpfungen des Meisters sich soeben erst ergötzt, soeben erst das Zimmer verlassen hätte.

Wir treten endlich in den Saal. In einfach-schöner architektonischer Gliederung, in rothmarmorirter Stückarbeit, mit einer erhöhten Decke, die mit einem großen Gemälde von Oeser geschmückt ist, ist der Saal nicht nur trefflich erhalten, sondern bietet auch in seiner ganzen Ausstattung, in treuer Durchführung des Stiles jener Zeit einen wohlthuenden harmonischen Anblick.

Hier veranstaltete die Herzogin jene Concerte, in denen ihre Kammersängerin Corona Schröter seit ihrem Eintritt in Weimar (16. November 1776) mitwirkte und mit ihrem meisterhaften Gesange die Herzen gewann. Hier erfreute sich Amalie bisweilen dramatischer Aufführungen, z. B wiederholt der „stolzen Basti“ von Gotter, und öfters auch des bunten Maskenscherzes, der zu den liebsten Neigungen der lebenslustigen Fürstin gehörte. Hier war es aber auch, wo Goethe im Jahre 1813 die vollendet schöne Rede zu Wieland’s Todtenfeier hielt, an welche jetzt eine in diesem Saale ausgestellte Büste Wieland’s sinnig mahnt. Hier schuf später Meister Preller seine genialen Odyssee-Bilder. Und als die Wiederherstellung des alten Heims der Herzogin Amalie ihrem Urenkel gelungen war, veranstaltete er, wie zur Feier dieser Vollendung, am 20. Februar 1882 in diesem Saale ein Costümfest, das mit einer Schäferquadrille aus dem Zeitalter des Rococo, mit Anmuth, Lust und Scherz, im Sinne der lebensfrohen Herzogin Amalie deren einstige Räume wieder belebte.

Wir haben unsern Rundgang vollendet, doch unmöglich können wir das Witthums-Palais verlassen, ohne noch einen kleinen Corridor, der mit vielen italienischen Landschaften (zum Theil wohl ebenfalls Erinnerungen an Rom) geschmückt ist, durchschritten und die beiden anstoßenden Mansardenzimmer besucht zu haben. Sie sind mit Herder’s Stuhl, Arbeitspult und Tisch, und mit vielen seltenen Bildern von Personen, die zu dem Kreise der Herzogin gehörten und in deren Palais verkehrten, angefüllt.

Aber mehr als alle diese Gegenstände müssen die Zimmer selbst interessiren; waren sie doch die Wohnung der treuesten Freundin Amaliens, des körperlich unschönen, weil verwachsenen, aber geistvollen und witzigen Fräuleins von Göchhausen, der „Thusnelda“, wie ihr Scherzname lautete. In diesen beiden freundlichen Zimmerchen pflegte sie jeden Sonnabend Vormittag eine bald größere, bald kleinere Gesellschaft zum sogenannten Freundschaftstage zu versammeln, an dem auch von Einsiedel, Heinr. Meyer, Böttiger, Bertuch und Andere, bisweilen auch Wieland, zu lebhafter geistiger Unterhaltung sich einfanden. Hier wurden auch die dramatischen Ausführungen für die Herzogin vorbereitet. Hierher lud sich Goethe, als im Jahre 1800 der Herzogin Amalie zu ihrem Geburtsfeste eine Ueberraschung bereitet werden sollte, bei den Hofdamen zum Frühstück, und zwar auf Punsch ein, versammelte die Personen, denen er Rollen zugedacht, um sich und dictirte dem Fräulein von Göchhausen die verschiedenen Rollen in die Feder, während er selbst im Zimmer gravitätisch auf- und abschritt. War eine Rolle bis auf einen gewissen Punkt dictirt, so mußte sie sofort memorirt und mit der entsprechenden zweiten probirt werden, wobei Goethe auf das Lebhafteste antrieb und vorspielte. So wurde in zwei Vormittagen Goethe’s Festspiel „Paläophron und Neoterpe“ fertig. Fast wäre noch im letzten Augenblick Alles am Gelbschnabel und Naseweiß gescheitert, da die dazu gewählten Kinder sich die Nasenmasken durchaus nicht anhängen ließen; doch Goethe wußte Rath: rasch wurden ein paar Kinder vom Theater eingeübt, und zu höchster Freude der Herzogin Amalie wurde das Festspiel glücklich aufgeführt.

Wir aber, indem wir von diesem erinnerungsreichen Heim der kunstsinnigen Herzogin Amalie scheiden, gedenken des schönen Wortes Leonorens in Goethe’s „Tasso“:

„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_405.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2024)