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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

gekrümmten, unnatürlichen Körperhaltung zwingt, geradezu schädlich. Mit Recht muß es deshalb als eine glückliche Neuerung angesehen werden, daß ein hervorragender Industrieller, E. A. Raether in Zeitz, verstellbare Kindermöbels construirt hat, welche mit Leichtigkeit der Körpergröße von sechs bis vierzehn Jahren angepaßt werden können.

Ein Kinderstuhl (Fig. 2 und 3), der dem Wachsthum des Kindes gewissermaßen Schritt für Schritt folgt und seinem Oberkörper, jeder Beinlänge durch fast mühelose Einstellung immer wieder angepaßt werden kann, ein Schulschreibtisch, der für die ganze Schulzeit paßt, das sind hygienisch und finanziell für jeden Familienvater, der nicht in der Lage ist, immer neue Einrichtungsgegenstände anzuschaffen, durchaus praktische Geräte, die jede Körpergröße sich ungehindert entwickeln lassen.

Fig. 2. Gestellt für 6 Jahre. Fig. 3. Gestellt für 14 Jahre.

Ist doch eine rationelle Hausschulbank noch lange nicht genug in Familienkreisen eingebürgert, und selten nur ist bei Eltern die Energie vorhanden, eine nachlässige, zusammengebaute, schiefe Haltung, wie sie übrigens auch die Mädchen bei Handarbeiten, gleichzeitig mit einseitigem Heben und Senken der Schultern, oftmals zeigen, zu verbessern.

„Es wäre eine große Verkehrtheit“ - sagt Uffelmann mit vollem Rechte - „wenn man die Entstehung der Skoliose allein der Schule schuld geben wollte. Ein sehr großer Theil der letzteren fällt zweifellos auf das Haus.“

Nicht selten wird auch der sogenannte „krumme Rücken“ als „Schulkrankheit“ bezeichnet, und man hat von ärztlicher und hygienisch-technischer Seite sich schon lange bemüht, dem für die Athmungs- und Unterleibsorgane verhängnißvollen Krummsitzen zu steuern. Hueter, Lorinser und Andere haben auf die Bedeutung hingewiesen, welche Rolle eine solche anhaltende Krümmung der Wirbelsäule, durch ungleichmäßige Compression der Wirbelknochen, spielt, indem sie den allmählichen Uebergang zu einer wirklichen Knickung der Wirbelsäule, dem leider unheilbaren „Buckel“ bildet. Orthopäden wie Schreber und Schildbach haben dieser Entstehungsursache des krummen Rückens ihre besondere Aufmerksamkeit zugewendet, und der Letztere schreibt über die „hockige“ Haltung: „Dieser Formfehler zeigt sich hauptsächlich in den ersten Schuljahren. Wenn er nicht rechtzeitig beseitigt wird, so entsteht aus ihm eine dauernde Mißform, welche nicht nur die Wohlgestalt des Körpers, sondern auch die Leistungsfähigkeit der Lungen, besonders ihrer Spitzen beeinträchtigt und dadurch zu ernsten Lungenleiden geneigt machen kann.“

Es ist in der That bedauernswerth und jammervoll, wenn man derartige schmale, schlanke, blasse Schulmädchen, die zu untersuchen man veranlaßt wird, mit einem flachen, ja in den oberen Partien selbst eingesunkenen Brustkasten ausgestattet findet, deren kaum noch Respirations-Hebung und -Senkung zeigende Schlüsselbeingegenden für eine bedenkliche Erkrankung der Lungenspitzen über kurz oder lang den günstigen Boden abgeben müssen.

Bloße „Ermahnungen“ zum „Geradesitzen“ genügen nun, wie schon Schreber, dieser verdienstvolle „Erzieher zur schönen Körperform“, anerkannte, nicht, weder in noch außerhalb der Schule. Um das Schulkind bei seinen häuslichen Arbeiten am Vorwärtsbeugen zu hindern, construirte er einen „Geradehalter“, welcher auf dem Principe beruhte, eine Schranke vor dem schreibenden Kinde zu bilden und diesem dadurch eine schädliche Annäherung der Brust und des Gesichts an die Tischplatte unmöglich zu machen. Der „Schreber’sche Geradehalter“, welcher hier (Fig. 8 und 9) treu nach den Originalabbildungen dargestellt ist,[1] bildet, wie man sieht, eine sehr einfache, leicht verständliche Vorrichtung.

Ein eiserner Doppelwinkel wird an der Kante der „horizontalen Tischplatte“ von unten festgeschraubt, da, wo das Kind arbeiten soll. Das Kind setzt sich nun auf einen gewöhnlichen Stuhl an den Tisch, und die in dem Eisen auf- und abspielende T-förmige Eisenstange wird nunmehr in der für den betreffenden Schüler passenden Höhe derartig durch eine Schraube festgestellt, daß der Querstab etwas unter der Schlüsselbeingegend anliegt. Sobald das schreibende Kind die jetzt herbeigeführte aufrechte Haltung verlassen und sich nach vorn beugen will, drückt der Querstab gegen die oberen Partien der Brust und verhindert das Vorbeugen des Oberkörpers direct, oder durch das unangenehme Gefühl, das der Druck veranlaßt, indirect.

Der Apparat war s. Z., als erste Verwirklichung einer an sich richtigen Idee, unstreitig eine zweckmäßige Neuerung, und da er gleichzeitig sehr solid und fast unzerstörbär war, so fand er eine ziemlich starke Verbreitung und ist noch jetzt in vielen Kreisen beliebt.

Fig. 4. Der Geiger’sche Geradehalter.

Als Abart desselben ist der neuerdings aufgetauchte Theodor Geiger’sche Geradehalter (Fig. 4) zu betrachten. Diese von dem Stuttgarter Mechaniker angegebene Vorrichtung besteht aus zwei verbundenen, mittelst Schraube und Klammer festzuklammernden, nach Tisch- und Kindesgröße verstellbaren Drähten, deren umgebogene Enden zwei gegen die Achseln drückende Ballen aus Eisen besitzen.

Obgleich hier der Druck gegen den Brustkorb nicht in dem Grade, wie bei dem Schreber’schen Geradehalter, stattfindet, so ist hier doch immer das Princip „Druck gegen die vordere Körperfläche“ verwirklicht. Es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Princip, auf dem beide Geradehalter beruhen, nach den heutigen Anschauungen nicht mehr ohne ernste Bedenken festgehalten werden kann. Der Druck auf die oberen Partien des Brustkorbes oder die Schlüsselbeingruben, der das Kind abhalten soll, sich beim Schreiben zu weit vorzubücken, ist offenbar nicht nur unvortheilhaft, sondern geradezu bedenklich. Die Gegend der Schlüsselbeine und der obersten Rippen vor Druck zu schützen, gerade diesem Theil des Brustkorbes und den Lungenspitzen eine freie, unbehinderte Ausdehnung zu ermöglichen, oder solche ergiebige Vorwölbung dieser Partie möglichst zu befördern, ist gegenwärtig eine wohl ausnahmslos anerkannte Nothwendigkeit.

Dies kann und soll der Schreber’sche oder der Geiger’sche Geradehalter ganz offenbar nicht erzielen. Im Gegentheil wirkt er in den meisten Fällen unmittelbar als Druck gegen diese für die Athmungsorgane so allgemein wichtige Körperregion, und es wird nur von der Aufmerksamkeit, der Augenbeschaffenheit, der Körperkraft des Kindes abhängen, ob dieser Druck nur momentan oder dauernd wirkt. Daß aber der Apparat eine Krümmung der Wirbelsäule nicht verhindern kann, liegt auf der Hand; im Gegentheil, wenn Jemand sich unwillkürlich über eine Barrière hinwegzubiegen strebt, muß die Krümmung der Wirbelsäule geradezu sich steigern.

Zwanzig Jahre waren seit der Angabe dieser Geradehalter vorübergegangen, als Soenneken, dem wir die Einbürgerung der Rundschrift, rationelle Reform der Kalligraphie und treffliche Neuerungen auf dem Gebiete der Herstellung und Auswahl des Schreibmaterials verdanken, seine Vielseitigkeit noch in der Angabe eines neuen Geradehalters bekundete.

Die leicht transportable, billige und darum weiterer Verbreitung fähige Vorrichtung (Fig. 5 und 11) besteht in einem federnden


  1. Käuflich bei Joh. Reichel in Leipzig,
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_539.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)