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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wege bahnte, und wanderte dann im Winter 1783 nach Amerika aus. Er zählt zu jenen friedlichen Eroberern, die vor keinem Hindernisse zurückschrecken und den Welthandel in neue Bahnen lenken; Friedrich Kapp bezeichnet ihn als ein kaufmännisches Genie, in welchem sich Verdienst und Glück zu so wunderbarer Harmonie verketten, daß man nicht weiß, wo jenes aufhört und wo dieses anfängt, oder welches von beiden ihn so hoch emporgehoben und auf so stolzer Höhe befestigt hat. Johann Jacob Astor ist bekanntlich der Gründer der Colonie Astoria am Stillen Meere; noch bekannter dürfte die von ihm in der Stadt New-York gegründete Astor-Bibliothek sein, die zu den vorzüglichsten und besten in der ganzen Union gehört. Astor’s Charakter war nicht von allen Schwächen frei, aber er liebte die Gesellschaft geistig hervorragender Männer und sah sie gern als Gäste bei sich. Der Dichter Fritz Greene Holleck war lange Zeit sein täglicher Umgang, und Washington Irving zählte zu seinen intimsten Freunden, wie er denn auch die Colonie Astoria zum Gegenstande eines seiner Werke machte.

Als Johann Jacob Astor, der frühere Trapper und Pelzhändler, schon als Millionär das reinliche und bequeme Geschäft des Couponschneidens betrieb, führte der ältere, seit einigen Jahren verstorbene Vanderbilt noch das beschwerliche Leben eines armen Schiffscapitains. Der jüngere Vanderbilt gilt aber wieder als vornehmer, als Joy Gould, der Eisenbahnkönig, denn dieser hat gar keine Ahnen, sondern ist seines Glückes eigener Schmied. Die Astors sind daher die Führer der „blaublütigen“ Aristokratie von New-York, während die Goulds an der Spitze jenes sogenannten „Shoddy-Adels“ stehen, der nicht im Stande ist, Ahnen aufzuweisen. Es erregte daher kein geringes Aufsehen in der New-Yorker Aristokratie, als unlängst ein Sohn Joy Gould’s es wagte, um die Hand einer Tochter Astor’s zu werben.

„Beim Frühstück.“
Von Carl Kronberger.

Außer der Geldaristokratie giebt es nun in den Vereinigten Staaten noch eine andere Art von Aristokratie, die man gern als die „Aristokratie des Geistes“ (aristocracy of intellect) bezeichnet. Diese Aristokratie findet sich vorzugsweise im Staate Massachusetts, und hier zumeist in Boston und der nahe dabei gelegenen Universität Cambridge. In neuester Zeit hat dieses aristokratische Selbstgefühl allerdings etwas abgenommen, aber man erinnert sich doch gern daran, daß in Boston und Cambridge Männer wie die Historiker Motley und Prescott, George Ticknor, Verfasser eines werthvollen Werkes über die spanische Literatur, die Dichter Longfellow, Lowell und Holmes und die Staatsmänner und Politiker Webster, Everett und Charles Sumner lebten. Der Dichter-Philosoph Ralph Waldo Emerson, der als ethischer Schriftsteller gefeierte William Ellery Channing, der edle freireligiöse Theodor Parker und der lange Zeit in Concord lebende Dichter Nathaniel Hawthorne zählen zu den besten Söhnen von Massachusetts. Die ersten Schlachten im Unabhängigkeitskriege wurden in Massachusetts geschlagen; dort landeten mitten im härtesten Winter 1620 die freiheitsliebenden Puritaner auf der „Maiblume“, und der freisinnige Dichter-Journalist William Cullen Bryant, der Herausgeber der „Evening Post“, in deren Redaction später unser Landsmann Karl Schurz für einige Zeit eintrat, wurde ebenfalls im Staate Massachusetts geboren. Mögen hier die erste und die beiden letzten Strophen des Gedichtes einen Platz finden, in welchem Bryant das erste Jahr des Unabhängigkeitskrieges von 1776 feiert:

0 „Vom Waldland kam die Heldenschaar,
Als durch das frischerwachte Land
Der Freiheit Ruf erklungen war,
Es bot zum Werk des Kriegs sich dar
Des Landmanns nerv’ge Hand.

0 Schon war der Kampf zu heißer Gluth
Auf Concords Ebenen entfacht,
Schon tränkte wie des Regens Fluth
Das frische Gras mit rothem Blut
Bei Lexington die Schlacht.

0 So brach der Tag der Freiheit an,
Durch Blut geweiht in Frühlingsau’n,
Gelöst war unsrer Knechtschaft Bann,
Und herrschend trat kein fremder Mann
Mehr in der Heimath Gau’n.“

Niemand wird die Bürger von Massachusetts darum tadeln, daß sie stolz auf ihr Geburtsland und auf ihre Vorfahren, die „Pilger von der Maiblume“, sind; wenn aber dieser Stolz zu einem aristokratischen Cliquenwesen führt, wie dies zu Zeiten der Fall gewesen ist, so ist dies gewiß nicht zu billigen. Den schneidendsten Gegensatz zu den früheren Sclavenhaltern der Südstaaten der Union bildeten zu allen Zeiten die Einwohner der Neu-Englandstaaten, namentlich von Massachusetts, von den Gegnern gewöhnlich „Yankees“ genannt. In den Jahren vor dem Secessionskriege, welcher der Negersclaverei ein Ende machte, standen sich in der Bundesgesetzgebung der Vereinigten Staaten die Vertreter von Massachusetts und die Repräsentanten der südlichen Sclavenstaaten am schroffsten gegenüber; und dies konnte kaum anders sein. Der freie Bürgerstolz der puritanischen Neu-Engländer, welcher für die freie Arbeit in die Schranken trat, mußte nothwendig mit den aristokratischen Sclavenhaltern, deren Politik eine immer weitere Ausdehnung der Negersclaverei anstrebte, in Conflict gerathen. Und hier war es in erster Linie der oben genannte Charles Sumner, welcher im Bundessenate der Vereinigten Staaten die Sclavenhalterpolitik mit aller Macht, die eine feurige Beredsamkeit verleiht, bekämpfte. Ohne Zweifel war hier die Aristokratie des Geistes, die sich mit dem freien Bürgerthum verband, mehr berechtigt, als die Aristokratie der südlichen Sclavenbesitzer, welche eine Verewigung der Negersclaverei anzubahnen bemüht waren. Die Geschichte hat zu Gunsten der Aristokratie des Geistes und des freien Bürgerthums entschieden, aber von einer vollständigen Aussöhnung zwischen den früheren Sclavenstaaten und den Neu-Englandstaaten kann noch bis auf den heutigen Tag keine Rede sein. Rudolph Doehn.     


Eugen Rouher, der „Vice-Kaiser“, †. Vor sieben Jahren, im Jahrgang 1877 der „Gartenlaube“, konnte uns von einem unserer Pariser Mitarbeiter noch ein Lebensbild des nun todten Mannes aufgestellt werden, welches ihm eine längere Dauer des Daseins versprach. Der damals Dreiundsechszigjährige (am 30. November 1814 geboren) war noch eine stattliche Erscheinung von körperlicher Kraft und geistiger Frische. Er stand, trotz der schweren Niederlage des zweiten Kaiserreichs, an der Spitze einer starken bonapartistischen Partei und konnte bereits, so lange der Sohn Napoleon’s III. die Hoffnung auf das dritte Kaiserreich aufrecht erhielt, als vorläufiger Vice-Kaiser Napoleon’s IV. gelten. Als aber Eugeniens Sohn in Afrika seinen frühen Tod gefunden hatte, brach mit seiner Hoffnung auch die Lebensfreude Rouher’s zusammen. Er zog sich vom öffentlichen Leben und auf sein einsames Landgut zurück, huldigte nur noch seiner unwandelbaren Treue gegen seines Kaisers Wittwe und mußte das traurigste Schicksal für einen vom Glück so hoch getragenen Geist über sich verhängt sehen: er war blödsinnig geworden. In den qualvollen lichten Augenblicken äußerte er den Wunsch, nach Paris zurückzukehren, um dort Heilung zu suchen. Sein Wille ward erfüllt, seine Hoffnung nicht. Als der Tod ihn am 3. Februar von seinen Leiden erlöste, führte er einen für die Welt schon lange vorher Gestorbenen mit sich fort.

Wie über Napoleon III. ist über Rouher ein gerechtes, unparteiisches Urtheil noch nicht möglich. Das Todtengericht über sie erfordert noch eine längere Zeit der Berathung, eine strengere Sichtung des Anklage- und Vertheidigungsmaterials. Frankreich hat von ihnen Gutes und Böses empfangen, und es ist noch nicht einmal ermittelt, welches von beiden sie gewollt und welches sie nicht beabsichtigt haben, und das nun doch mit auf ihrer Wagschale liegt.

Das Eine ist als sicher anzunehmen: Rouher handelte stets aus Ueberzeugung, nicht aus egoistischen Beweggründen. Er war in seiner Jugend Republikaner, aber nur der eben herrschenden politischen Mode

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_123.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)