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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

weißt, es is schon spät in der Zeit – und ’s Schlafen thut uns all’ zwei recht noth!“

Er hängte die Büchse um die Schulter und schob die gekreuzten Fänge der beiden Adler wieder über den Bergstock.

„Machst aber a rechtes Gesicht auf amal!“ schmollte das Mädchen. „Was hast denn? Han, Festei! Ich hab’ Dir doch ’leicht nix ’than?“

„Na, Deandl, na! Gewiß net! Aber schau – weißt – ich bin halt recht müd’.“

„Geh! No schau – da will ich Dich nachher freilich nimmer verhalten, so lieb mir’s gewesen wär’, wann noch a bißl ’plauscht hättst mit mir!“

So nahmen sie mit festem Händedruck und einem herzlichen „Gute Nacht“ von einander Abschied – und wieder blieb Nannei auf der Schwelle stehen, bis sie droben im Jägerhäuschen die Thür poltern hörte.

Eine geraume Weile verging – dann öffnete sich diese Thür wieder, vorsichtig und leise – und lautlosen Schrittes stieg Festei durch die Nacht hernieder.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Volksschauspielerin.


[„]Ein gutes Herz ist viel werth; mehr noch aber ein großes,“ sagte jüngst P. K. Rosegger in einer kritischen Würdigung der verstorbenen Künstlerin. Und er hat Recht. Josephine Gallmeyer[1] besaß ein großes Herz, ein Herz, das die Menschheit zu erfassen vermochte. Sie war mehr als eine Soubrette, mehr als ein weiblicher Komiker; sie war eine große Schauspielerin. Ihr Genie war sich dessen lange nicht bewußt. Und als sie die Kraft fühlte, auch in tragischen Rollen zu wirken, konnte sie nicht mehr die Schwierigkeit bewältigen sich des Dialekts zu entwöhnen. Im Volksstück aber und vor Allem bei unserem herrlichen Anzengruber hätte Josephine Gallmeyer jederzeit ihren Platz in glänzender Weise ausgefüllt. Sie hat das bäurische Gefühlsleben in geradezu unübertrefflicher Weise repräsentirt, weil sie die Volksseele ganz verstanden und mit unmittelbarer Naivetät wiedergegeben hat. – Mit Josephine Gallmeyer ist eine originale, vielleicht nie wiederkehrende Wesenheit, ist ein Stück der österreichischen Volkseigenthümlichkeit, ein Stück unserer Zeit zu Grabe getragen worden. Die Schauspieler sind der Spiegel ihrer Zeit. Wie das heutige Paris, das nervöse, überreizte und übermäßig verfeinerte Paris, durch eine Persönlichkeit, durch Sarah Bernhardt, am treffendsten charakterisirt wird, so war es der österreichische Volkshumor durch Josephine Gallmeyer. Und wie Sarah Bernhardt an allen Orten und auch von Denjenigen verstanden wird, die der französischen Sprache nicht mächtig sind, so wurde auch Josephine Gallmeyer selbst dort verstanden, wo man den österreichischen Dialekt nicht kennt. – Der Unverstand eines Wiener Theaterdirectors, der das Anerbieten der Gallmeyer, umsonst an seiner Bühne zu wirken, mit den Worten erwidert hat: „Es wird sich später vielleicht ein Plätzchen für Sie finden,“ kann nicht als Ausdruck einer allgemeinen Ansicht gelten. Denn Jeder, der Josephine Gallmeyer künstlerisch kannte, weiß, wie viel sie dem modernen Theater bedeutete und was demselben durch ihren Tod verloren gegangen ist. Das hat sich bei der Beerdigung der Künstlerin deutlich genug gezeigt. In so imponirender Weise ehrt eine Stadt nur das Genie. Ganz Wien hat durch die Art und Weise, wie es Frau Josephine Gallmeyer die letzte Ehre erwies, dargethan, daß man sie höher achtete, als einen weiblichen Komiker, daß man in ihr eine große Künstlerin verehrte.

Josephine Gallmeyer.

Wir sind überzeugt, daß die Gallmeyer auch für das ernste Schauspiel hätte gebildet werden können, daß sie, obgleich eine Vierzigerin, bei ihrer eisernen Energie und ihrem großen Fleiße in Kurzem auch das – Hochdeutsche hätte erlernen können. Daß ihr einmal der Versuch mißglückte, eine ernste Rolle im Salonstück zu spielen (die „Desvarennes“ im „Sergius Panin“), ist auf äußere Zufälligkeiten zurückzuführen. Sie selbst hat uns einmal die ganze Geschichte jener verunglückten Rolle erzählt. Man hat sie so lange auf den Proben corrigirt, bis sie ihre Sicherheit und ihre Natürlichkeit verlor.

„Und meine Natürlichkeit ist ja doch Alles,“ sagte sie. „Wie ich gemerkt habe, daß ich nicht mehr natürlich bin, habe ich auch gefühlt, daß ich durchfallen muß.“

Sie drückte die Ueberzeugung aus, daß – wenn ihr nochmals Gelegenheit gegeben würde, die Desvarennes zu spielen – die Rolle gewiß besser ausfallen werde. Sie wolle dem Publicum schon zeigen, daß sie auch ernst spielen könne! Es hat nicht sollen sein! –

Wer das Leben und Wirken der Gallmeyer näher betrachtet, der wird finden, daß sich trotz aller äußeren Lustigkeit, trotz allen Uebermuths doch stets ein großer künstlerischer Ernst in ihr ausgedrückt hat. „Ihr Höchstes wäre,“ sagte sie mir selbst, „dem Burgtheater anzugehören.“

Alle die Parodien tragischer Künstler, die sie in verschiedenen Possen zum Besten gab – was waren sie Anderes, als der Ausdruck eines unbestimmten Dranges nach Besserem, Höherem? Auch hierüber hat sie sich einmal mir gegenüber ausgesprochen. Es war nach dem Sensationserfolge ihrer Sarah Bernhardt-Parodie, als sie mir ihre innere Beschämung gestand, diese geniale Künstlerin parodirt, also verhöhnt zu haben. In ganz ungewöhnlichem Maße habe ihr Sarah Bernhardt künstlerisches Interesse eingeflößt; sie habe sich gewissermaßen zu ihr hingezogen gefühlt, und weil sie ihre Künstlerschaft nicht hätte erreichen können, so habe sie dieselbe parodirt.

Josephine Gallmeyer war unendlich dankbar, wenn man, ihre ganze Bühnenthätigkeit außer Acht lassend, ernste politische oder künstlerische Fragen mit ihr besprach. Sie las gern gute, ja schwierige Bücher und freute sich, über deren Inhalt und ihre Anschauung über dieselben sprechen zu können. Sie war auch kritischem Tadel über ihre Leistungen durchaus nicht unzugänglich. Einmal gastirte sie an einer Provinzbühne und wurde von dem dortigen Kritiker, dem nunmehrigen Bühnenschriftsteller A. Rosen, stark mitgenommen. Kaum hatte sie dies erfahren, so war auch schon ein Racheplan gefaßt. Einer der Mitspielenden sollte ihr am nächsten Abende ein Bouquet Rosen reichen, sie aber wollte dieselben zu Boden werfen, mit Füßen treten und sagen: „Aus Rosen mache ich mir nichts.“

Durch Zufall aber kam ihr die bewußte Kritik zu Händen, sie las dieselbe, fand, daß Vieles darin berechtigt sei, und unterließ nicht nur die Rache, sondern suchte den Kritiker auf und ward mit ihm befreundet. –

Ihr Witz war meist gutmüthig, konnte aber auch diabolisch sein. Einem mehrfach abgestraften Menschen, der ihr seine geschriebenen und gedruckten Beleidigungen überallhin nachsandte, wo sie sich just aufhielt, schickte sie einmal aus einer deutschen Stadt als Antwort eine Photographie mit der Aufschrift: „Das ist die Ansicht des hiesigen Zuchthauses. Wie das in Wien aussieht, wissen Sie ja!“ Der Schurke hat sie seitdem in Frieden gelassen.

Wenn sie ein paar lustige oder boshafte Streiche aufgeführt hatte, oder wenn sie sich zum Jähzorn hatte hinreißen lassen, trat meist eine starke Reaction bei ihr ein. Sie wurde dann wehmüthig und melancholisch; oft weinte sie sogar die heißesten Thränen. Es war ihr stets peinlich, in einer solchen Stimmung von Bekannten überrascht zu werden, weil sie fürchtete, daß man ihre Traurigkeit für Komödie halten könne.

Man hat gesagt, daß Josephine Gallmeyer bigott gewesen sei. Ich bestreite dies. Sie hat häufig mit mir über religiöse Fragen gesprochen und dabei eine seltene Unbefangenheit an den Tag gelegt. Ich lenkte das Gespräch auf Mariazell und auf Wallfahrten dorthin. Sie wußte, wohinaus ich wollte, und sagte mit tiefernstem Ausdruck:

„Darüber kann ich nicht reden! Ich geh’ nach Mariazell, weil mir meine Mutter auf dem Todtenbett ein Gelübde abgenommen hat. Das Gelübde ist mir heilig.“

So gab es einige Punkte im Leben der Gallmeyer, deren Andenken von ihrem Leichtsinn stets unberührt blieb. Unter ihren Zeitgenossen hat sie zwei Männer in geradezu frommer und ängstlicher Weise verehrt. Diese sind Hans Makart und Richard Wagner. Dem Letzteren sollte sie einst im Namen einer Corporation einen Kranz überreichen; aber, als sie dem großen Manne gegenüberstand, fand sie, die immer schlagfertige und bereite Gallmeyer, keine Worte und lief, den Kranz zu Boden werfend, wie ein verschämter Backfisch davon. Mit Makart hat sie in ihrem ganzen Leben nicht verkehrt. Oft und oft bat sie mich, ihr einmal Makart’s Atelier zu zeigen, es aber unter allen Umständen so einzurichten, daß sie dem Künstler nicht begegnen könne. „Ich wüßte mit ihm nichts zu reden.“ Wiederholt wurde eine Stunde festgesetzt, aber immer wieder wurde die Besichtigung verschoben. Sie hatte bei aller Sehnsucht doch wieder eine undefinirbare Scheu vor diesem „Allerheiligsten“. So erhielt ich im Januar 1882 eine Karte:

„Leider geht es mir schlecht; ich bitte daher den Besuch bei meinem Ideal ‚Makart‘ vorläufig zu unterlassen; ich bin jetzt zu nervös.“

An den Namen Makart knüpft sich noch ein charakteristischer Vorfall, der mir mit Josephine Gallmeyer begegnet. Es war während der letzten Internationalen Kunstausstellung in München. Sie bat mich, den Führer zu machen und ihr die interessantesten Bilder zu zeigen. Als ich sie zu dem Architekturbilde Makart’s, jenem viel besprochenen Renaissance-Palast führte, sagte sie mit fast wehmüthigem Ausdruck: „das ist Makart’s

  1. Geboren am 27. Februar 1838 in Leipzig, gestorben am 3. Februar d. J. in Wien.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_154.jpg&oldid=- (Version vom 25.9.2020)