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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die neue Aera der Colonialpolitik.

Historische Randglossen zur westafrikanischen Conferenz.

Die westafrikanische Conferenz in Berlin.0 Originalzeichnung von H. Lüders.

Es gab eine Zeit, und sie liegt kaum ein paar Jahre hinter uns, in welcher eifrige Patrioten warnend ihre Stimme erhoben und von einer „Lebensgefahr der deutschen Nationalität“ sprachen, die in der zunehmenden Ausbreitung der englischen Colonialmacht zu suchen wäre. Die Politiker der alten Schule schüttelten ihre Häupter ob dieser sonderbaren Warnung, denn sie konnten nicht begreifen, daß der wachsende überseeische Einfluß Englands und seine Alleinherrschaft auf dem Meere dem deutschen Volke jemals gefährlich werden könnten. Es erhob sich auch bald ein heftiger Streit, und lange Reden für oder wider deutsche Colonien wurden gehalten und dicke Bücher über die Frage geschrieben. Aber diesmal sollte die neue Strömung nicht spurlos verrinnen, rasch folgte dem Worte die That, und über alle Erwartung schnell war Deutschland in die Reihe der colonialen Mächte eingetreten.

Und die Sache war nicht so schlimm, wie man befürchtete. Die Entfaltung der deutschen Fahne in überseeischen Ländern rief keinen Krieg hervor. Im Gegentheil, am deutschen Herde sammeln sich heute die Völker, um friedlich über die Lösung schwebender colonialer Fragen zu berathen; und nur wenige folgten widerwillig dem Rufe des deutschen Kaisers, als Freunde sind die meisten gekommen, selbst der gallische Erbfeind ist als Bundesgenosse erschienen, und sogar in erster Reihe, denn er war es, in dessen Gemeinschaft Deutschland die ersten Schritte für die Conferenz unternahm.

Im Hause des deutschen Reichskanzlers, wo vor fünf Jahren die Diplomaten über den Frieden des Orients entschieden, wird heute über das Schicksal Afrikas berathen, und denkwürdig für lange, lange Zeiten wird der 15. November d. J. bleiben, an welchem Fürst Bismarck in Berlin die westafrikanische Conferenz eröffnete.

Das schlichte Bild, welches den Anfang unseres Artikels schmückt, spiegelt in der That einen Vorgang wieder, der als Verkörperung einer großen geschichtlichen Wendung gelten muß, einer Wendung, die nicht allein für Deutschland, sondern für die ganze Welt von unberechenbarer Tragweite ist. Denn die Conferenz, an welcher außer europäischen Mächten auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika theilnehmen, hat eine weltumspannende Bedeutung; von ihren Beschlüssen wird in Zukunft das Geschick eines ganzen Welttheils abhängen, und sie ist berufen, ein neues Recht auf einem Gebiete zu schaffen, auf dem bis jetzt zumeist Willkür und Waffengewalt herrschten.

Ein solches Ereigniß fordert unwillkürlich zu geschichtlichen Betrachtungen heraus, denn man kann einen Wendepunkt der Zeit nur dann richtig beurtheilen, wenn man die Vergangenheit kennt und dadurch klar in die Zukunft schaut.

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Die Geschichte der Colonisationsbestrebungen an der Westküste von Afrika datirt nicht von wenigen Jahrzehnten, wie man meinen möchte. „Aethiopien“ war schon einmal das Hauptziel europäischer Kaufleute und der Zankapfel europäischer Staaten.

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden einzelne Theile jener Küste von den Portugiesen entdeckt. Damals sann Prinz Heinrich der Seefahrer im Schlosse Sagres, wie er den Seeweg zu dem Reiche des Erzpriesters Johannes, dem sogenannten dritten Indien, eröffnen könnte. Die von ihm entsandten Schiffe umsegelten zuerst das früher gefürchtete Cap Bojador, entdeckten den Senegal, den berühmten Strom der Schwarzen, und drangen bis zur Goldküste vor. Nach dem Tode des verdienten Prinzen lebte die von ihm angeregte Lust zu Entdeckungen in den Portugiesen fort, und gerade vor vierhundert Jahren entdeckte Diogo Cão, den der Deutsche Martin Behaim begleitete, den großen Fluß Zaire, den heutigen Congo, und gelangte mit seinen Schiffen bis über das Cap Frio hinaus, wo er ebenso wie am Congo steinerne Säulen mit dem portugiesischen Wappen errichtete und durch diese Ceremonie das Land für Portugal in Besitz nahm.[1]


  1. Vergl. „Martin Behaim, der große Kosmograph“. „Gartenlaube“ Nr. 11. dieses Jahrgangs.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_805.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)