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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

ganze Erscheinung umleuchtet von dem Widerschein fürstlicher Vornehmheit, da kam mir das Respektgefühl geradezu überwältigend, und ich schämte mich furchtbar.“

„Da muß ich ja wohl sehr entzückt sein, daß Dir der Onkeltitel nun so flott von den Lippen kommt?“

Sie wiegte lächelnd den Kopf. „Nun weißt Du, so ganz unbedingt ist das nicht zu verlangen. Ich sehe recht gut ein, daß es nicht angenehm sein mag, von einem so alten Mädchen, wie ich bin, ‚Onkel‘ genannt zu werden. Aber ich kann Dir nicht helfen. Wir armen Lamprechts-Kinder sind ohnehin zu kurz gekommen, wir haben nur diesen einen Mutterbruder, und wenn auch nur ein Stiefonkel, mußt Du Dir es doch gefallen lassen, zeitlebens Onkel Herbert zu bleiben.“

„Nun gut, ich bin’s zufrieden, liebe Nichte! – Aber Du wirst nun auch wissen daß Du diesem anerkannten Onkel gegenüber die Pflicht des Gehorsams übernimmst.“

Sie stutzte, aber sofort ging auch ein Strahl des Verständnisses durch ihre Züge. „Ach, Du meinst das!“ Sie legte die Hand, dunkel erröthend, auf die Tasche, in welcher das angekommene Schreiben steckte, und in ihren Augen glomm es wie feindselig auf.

Er sah nur mit halbem Blick hin und schwieg.

„Ja, das ist’s!“ nickte sie mit Bestimmtheit. „Du denkst genau wie die Großmama. Ihr seid stolz auf die Aussicht, die sich mir bietet, und öffnet dem Freier Herz und Arme, ohne ihn je gesehen zu haben. Wozu auch? Kennt Ihr doch seinen Namen – mehr braucht es nicht ... Nun kennst Du aber auch den Querkopf Deiner Nichte, und vielleicht beschleicht Dich die geheime Furcht, daß sie den grenzenlos dummen Streich machen könnte, lieber Grete Lamprecht bleiben zu wollen; da ist ein Recht mehr gegen den Oppositionsgeist von großem Werth für die Familie. Das Haus ‚Marschall‘ ist im Begriff, bis über die Wolken zu steigen, und da verlangt es das eigene Interesse, daß auch die verwandten Lamprechts höher gehoben werden.“

„Es ist erstaunlich, wie scharfsinnig Du bist!“

Sie lachte. „Nein, Onkel, das Kompliment weise ich zurück! Du denkst zu schmeichelhaft von mir. Der da“ – sie hob den kleinen Finger der Rechten – „der sagt mir’s nicht ... Für mich ist die ganze Luft unseres Hauses beseelt und lebendig; aus allen Gängen und Treppenwinkeln wispert und flüstert es mir zu, denn ich bin an einem Ostersonntag geboren und habe mich immer sehr gut mit unseren Hausgeisterchen gestanden. Und wie sie mir früher von den alten Zeiten zuraunten, von den Silberfäden des Lein, die sich draußen auf Handelswegen verwandelt und als eitel Gold in die Truhen meiner Urväter zurückgeflogen sind, so flüstern sie jetzt von einem ganz anderen Glanz, von fürstlicher Huld und Gnade, von der Gunst schöner, blaublütiger Frauen und von dem alten Plebejerblut, das nach jahrhundertelangem Sammelfleiß nunmehr reif sei, in einer höheren Kaste aufzugehen.“

„Ei, das sind ja ganz allerliebste Kobolde mit ihren kleinen Bosheiten, die die Luft vergiften! Man sollte auf sie fahnden –“

„Mit Deinen Gendarmen, Onkel? Das gäb’ aber einen Spaß für die lustigen Kameraden! Sie würden erst recht an meinem Ohr niederhocken und weiter erzählen von dem neuen Theaterstück in Lamprecht’s Hause, in welchem sogar das dumme Ding, die Grete, mitspielen soll – ein Freiherrnkrönchen auf das Struwwelhaar gesetzt, und die Wandlung sei fertig, meinen sie ... Aber weißt Du, Onkel, ein ganz klein wenig Stimme habe ich doch auch dabei, meinst Du nicht? Das kleine Wörtchen ,Ja‘ muß doch auch gesagt werden. Und da nehmt Euch nur in Acht, daß der Vogel nicht davonfliegt, ehe er gesungen hat! Mich fangt Ihr nicht!“

„Es käme auf eine Probe an –“

„Versuch’s, Onkel!“ Sie sah halb über die Schulter nach ihm zurück, und ihre Augen sprühten auf, als sei sie sofort bereit, den Wettlauf der Geister anzutreten.

„Ich nehme die Herausforderung an, darauf verlasse Dich! Aber das merke Dir, habe ich den Vogel einmal, dann ist’s um ihn geschehen!“

„Ach, das arme Ding, da muß es singen, wie Du pfeifst!“ lachte sie. „Aber ich fürchte mich nicht – ich bin eine Spottdrossel, Onkel, und könnte Dich leicht auf den verkehrten Weg locken!“

Sie verbeugte sich graziös, unter heimlichem Lachen, und schritt eiligst nach dem Gange hinter Frau Dorotheens Sterbezimmer, und während sie mit flinken Händen die Spangen des Kleides löste, hörte sie, wie der Landrath den Flursaal verließ. Zugleich wurde aber auch die Stimme ihres die Treppe heraufkommenden Vaters laut. Die beiden Herren begrüßten sich, wie es schien, unter der Thür; dann fiel diese zu, und der Kommerzienrath ging nach seinem Zimmer.

Er war schon in aller Frühe nach Dambach geritten, war über Mittag draußen verblieben und kam eben heim. Es drängte sie, ihn zu begrüßen, um so mehr, als er heute Morgen düster- schweigend, mit verfinstertem Gesicht zu Pferde gesessen und für ihr fröhliches „Guten Morgen“ vom Fenster aus kaum ein leichtes Kopfnicken und kein Wort der Erwiderung gehabt hatte. Das war ihr schmerzlich auf das junge, frohgestimmte Herz gefallen. Aber Tante Sophie hatte sie getröstet. Das sei wieder einmal solch ein schlimmer Tag, wo man sich stillschweigend zurückhalten und ihm aus dem Wege gehen müsse, hatte sie gemeint. Er wisse da selbst am besten, was ihm noththue, um das schwarze Gespenst loszuwerden – das sei ein Ritt in die frische Luft hinaus und Zerstreuung draußen im Fabrikgetriebe. Abends werde er schon „umgänglicher“ zurückkommen.

Die Brokatschleppe der schönen Dore hing wieder in der tiefsten Schrankecke, und Margarete war eben im Begriff, ihr Haar zu ordnen, als sie abermals die Zimmerthür ihres Vaters gehen hörte. Er trat wieder heraus und ging den Flursaal entlang. Er kam rasch näher, und es schien, als schreite er direkt dem Gange zu.

Margarete erschrak. Sie war in Unterkleidern und mochte sich überhaupt nicht hier vor ihm sehen lassen; wußte sie doch nicht, in welcher Stimmung er heimgekommen war und wie er ihr muthwilliges Attentat auf das ehrwürdige Inventarstück des Hauses beurtheilen würde. Ein wahres Angstgefühl packte sie. Unwillkürlich schlüpfte sie in den Schrank, schmiegte sich tief in die Seidenwogen – es war ihr, als versinke sie in rauschenden Gewässern – und zog die Thür leise an sich.

Wenige Augenblicke nachher kam der Kommerzienrath um die Gangecke. Durch die schmale Thürspalte konnte ihn die Tochter sehen. Der Ritt in die frische Luft und das Fabriktreiben in Dambach hatten nicht an das Gepräge schwarzer Melancholie gerührt, welches diese schöne Männererscheinung für Alle im Hause oft so furchterweckend machte. Er hatte einen kleinen Strauß frischer Rosen in der Rechten und schritt achtlos zwischen den Bilderreihen seiner Vorfahren hin. Nur das Oelbild der schönen Dore, welches, schräg zwischen die Schrankecke und die Wand gelehnt, ihm die bezaubernde Gestalt gewissermaßen entgegentreten ließ, schien eine unheimliche Wirkung auf ihn zu üben. Er fuhr zurück und legte die Hand über die Augen, als befalle ihn ein Schwindel. Dieses Erschrecken war begreiflich. Drüben im rothen Salon, hoch an der hellen Wand, trat das Dämonische dieser Schönheit nie so sieghaft hervor, wie hier, im spukhaften Halbdunkel ... Er murmelte leidenschaftliche Worte in sich hinein, packte wie in einem Wuthanfall das schwere Bild und kehrte es gegen die Wand. Der Rahmen schlug hart an das Mauergestein und krachte in den Fugen.

Der erschrockenen Tochter stockte der Athem. War es doch, als schlage aus dem finsteren, melancholischen Brüten plötzlich die Flamme des Irrsinns empor, als müsse die gewaltige Hand zerstörungswüthig das stille Kaufmannshaus zum Schauplatz grauenvoller Ereignisse machen. Aber das Furchtbare geschah nicht. Mit dem Verschwinden der Frauengestalt in der dunklen Ecke schien auch der Sturm in der Seele des aufgeregten Mannes beschwichtigt. Er schritt weiter, dicht an der Tochter vorüber, sodaß sie durch die klaffende Thürspalte sein heftiges Ausathmen zu spüren meinte.

Gleich darauf rasselte der Schlüssel im nächsten Thürschloß. Der Kommerzienrath trat ein, zog den Schlüssel wieder ab und schob drinnen den Riegel vor.

Ein Grauen überschlich die Lauschende. Was that er drinnen, so allein mit seinen dunklen Gedanken in den öden, verstaubten Räumen? – Niemand im Hause ahnte, daß er noch hier verkehrte. Bärbe behauptete, er sei mit keinem Fuße wieder in den Gang gekommen – dazumal müsse ihm doch gar zu arg aufgespielt worden sein, denn für nichts und wider Nichts gäbe kein beherzter Mann so jämmerlich Fersengeld, daß er sich nicht

wieder zurücktraue. Nun war er doch drin – wie vergraben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_146.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2020)