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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

ehrliche Mecklenburgerin, schöngebaut und fromm – Du kennst vielleicht die Rasse –“

„Ja wohl, Onkel. Herr von Billingen hat zwei prächtige mecklenburger Wagenpferde.“ Mit diesem Namen warf sie selbst trotzig den Fehdehandschuh hin. Mochte er nun auf dem Terrain vorgehen wie die Großmama; das war ihr doch lieber, als die unerschöpflichen Lobpreisungen einer Verhaßten anhören zu müssen. Gerüstet war sie ja, sie fühlte eine wahre Kampfbegierde in sich aufglühen.

Er bog sich vor und klopfte seinem Braunen, der unruhig wurde, den Hals. „Zu diesen prächtigen Pferden gehört selbstverständlich ein eleganter Wagen?“ fragte er gelassen.

„Gewiß – ein sehr schöner, selbst in Berlin bewunderter Wagen. Es sitzt sich ganz hübsch im Fond, auf den silbergrauen Atlaspolstern. Herr von Billingen hat Tante Elise und mich öfter ausgefahren –“

„Ein vornehmer, stattlicher Kutscher –“

„O ja, stattlich wohl, wie ich Dir schon einmal gesagt habe! Groß und breit, und weiß und roth wie eine Apfelblüthe! Ganz der norddeutsche Typus, wie z. B. die junge Dame im Prinzenhofe.“

Er warf einen schnellen Blick auf ihren trotzig geschwellten Mund, ihre dunkelgerötheten Wangen und lächelte. „Geh, schließe das Fenster, Margarete! Du wirst Dich erkälten,“ sagte er. „Solche Dinge erzählt man sich am besten am gemüthlichen Theetisch.“ Er neigte sich grüßend und ritt fort, und sie schloß hastig das Fenster.

Auf den nächsten Stuhl niedersinkend, vergrub sie das Gesicht in den verschränkten Armen, die sie auf den Fenstersims legte. Sie hätte weinen mögen vor Erbitterung und Aerger über sich selbst – sie zog seiner lächelnden Ruhe gegenüber stets den Kürzeren. – – –

Gegen Mittag kehrte Herbert wieder zurück, und bald darauf kam die Großmama herunter, um mit großer Feierlichkeit anzuzeigen, daß die Herrschaften im Prinzenhofe sie und die Enkelin heute Nachmittag bei sich zu sehen wünschten.

Nun flog der Schlitten in der dritten Nachmittagsstunde wieder über die weite Schneefläche draußen. Diesmal saß die Großmama neben dem jungen Mädchen, erwartungsvoll und hochaufgereckt; sie strotzte von Sammet und Seide.

Herbert fuhr selbst. Er saß hinter den Damen, und wenn er sich vorbog, da konnte Margarete seinen Athem an ihrer Wange spüren. Heute brauchte sie seinen Pelz nicht; sie hatte sich schleunigst einen warmen Pelzumhang gekauft, und es war ihr vorgekommen, als habe er diese neue Acquisition beim Einsteigen mit sarkastischem Blick gemustert.

Das Rokokoschlößchen rückte wie im Fluge immer näher. Mit seinen mächtigen, sonnenglitzernden Spiegelscheiben lag es in der weiten Schneelandschaft wie ein Schmuckstück auf weißem Sammetpolster … Drüben in Dambach qualmten die Fabrikschlöte, und diese Zeugen der Arbeit stiegen als riesige, schwarze Säulen in den Himmel hinein und verschleierten auf weite Strecken hin sieghaft seine klare Bläue; aber die durchsichtige Luftschicht über dem Prinzenhofe berührten sie nicht. Die Amtsräthin bemerkte das mit hörbarer Befriedigung dem Sohn gegenüber.

„Wir haben augenblicklich Westluft,“ sagte er. „Der Nordwind verfährt nicht so glimpflich; er trägt oft die Rauchspuren bis in die Fenster hinein, wie die Damen klagen.“

„Aber mein Gott, ließen sich denn da nicht Vorkehrungen treffen?“ rief die alte Dame ganz empört.

„Ich wüßte keine anderen, als daß man bei solcher Windrichtung einfach das Feuer ausbliese –“

„Und dann ginge ein Theil der Arbeiter spazieren und hätte nichts zu essen,“ warf Margarete bitter ein.

Die Großmama fuhr herum und sah ihr ins Gesicht. „Ist das ein Ton! … Du bist ja hübsch vorbereitet auf Deine Vorstellung in einem hochadeligen Hause! Ich muß Dich sehr bitten, Dich und uns nicht etwa zu blamiren mit liberalen Gemeinplätzen, wie ich sie leider an Dir kenne! Der Liberalismus ist nicht mehr Mode – Gott sei Dank! – In den Kreisen, in denen ich zu leben das Glück habe, hat er nie Boden gefunden, und wenn hier und da Einer der Unseren mit dem früheren Humanitäts- und Freiheitsschwindel kokettirt hat, so ist er jetzt desto gründlicher kurirt und – will es nicht gewesen sein.“

Herbert ließ in diesem Augenblick die Peitsche auf dem Rücken der Pferde spielen, und mit doppelter Schnelligkeit sauste der Schlitten über die glatte Bahn, um nach kaum einer Minute vor der Hausthür des Prinzenhofes zu halten. – –

„Ach ja, wir wohnen schauerlich einsam hier!“ bestätigte die Dame des Hauses eine dahin zielende Bemerkung der Frau Amtsräthin und sah mit einem tiefen Seufzer in die todtenstille Schneelandschaft hinaus. Die Vorstellung war vorüber, und man hatte sich im Salon niedergelassen.

In den Kaminen der aneinanderstoßenden Zimmer knisterten und knackten die brennenden Holzscheite; man saß behaglich und warm inmitten alter Pracht und Herrlichkeit. Das Inventar des Prinzenhofes war seit Altersher dasselbe verblieben, gleichviel, ob ein apanagirter Prinz oder eine fürstliche Wittwe die jeweiligen Bewohner gewesen waren. Herrliche Möbel aus den Zeiten Ludwig’s des Vierzehnten füllten die Zimmer, und das eingelegte Schmuckwerk ihrer Holzflächen in Silber, Bronze und Schildpatt schimmerte und blitzte heute noch wie vor länger als hundert Jahren. Nur die Polsterbezüge und die Gardinen schien man für die jetzigen Bewohnerinnen erneuert zu haben; sie waren frisch und geschmackvoll, aber sehr einfach.

„Ich habe seit meinem sechszehnten Jahre in der großen Welt gelebt,“ fuhr die dicke Dame fort, „und qualifizire mich absolut nicht zum Eremitendasein. Ich würde thatsächlich hier verkümmern, wüßte ich nicht, daß nunmehr eine Erlösung kommen muß.“ Sie warf dem Landrath einen lächelnden, verständnißinnigen Blick zu, und er neigte zustimmend den Kopf. Die kleine Amtsräthin aber wuchs förmlich unter jenem Blicke. Sie sah entzückt zur Seite, wo die schöne Heloise saß.

Die junge Dame lehnte in ihrem Armstuhl, reich gekleidet und stolz nachlässig wie eine Fürstin. Sie hatte ein paar freundliche Worte zu Margarete gesprochen und verhielt sich seitdem schweigsam. Aber es sprach in der That heute mehr Seele aus ihren Zügen, und das erhöhte ihre Schönheit wahrhaft überraschend. Ziemlich entfernt, aber in gerader Linie hinter ihr an der Schmalseite des Salons hing das Oelbild einer Dame, ein Kniestück. Sie war in schwarzem Sammetkleide; herrliches blondes Haar quoll unter einem Hütchen mit langer weißer Feder hervor, und ihre linke Hand ruhte auf dem Kopfe eines neben ihr stehenden Windspieles.

Die Ähnlichkeit zwischen ihr und der schönen Heloise war eine frappante, und das sprach die Frau Amtsräthin mit bewundernden Blicken aus.

„Ja, die Ähnlichkeit ist groß und leicht begreiflich – es ist das Bild meiner Schwester Adele,“ sagte die Baronin Taubeneck. „Sie war an den Grafen Sorma verheirathet und starb zu meinem großen Schmerze vor zwei Jahren. Und denken Sie sich, mein Schwager, der sechszigjährige Mann, spielt uns jetzt den Streich und heirathet die Tochter seines Gutsverwalters! Ich bin außer mir!“

„Das begreife ich,“ sprach die Frau Amtsräthin ganz empört. „Es ist hart, solche Elemente in der Familie dulden zu müssen, wirklich deprimirend. Aber meines Erachtens sind die modernen Heirathen von der Bühne weg, wie sie die hohen Herren jetzt belieben, doch noch viel schrecklicher. Wenn ich mir denke, daß eine Theaterprinzessin, vielleicht gar eine Ballerina, die noch wenige Tage zuvor im schamlos kurzen Röckchen von der Herrenwelt beklatscht worden ist, plötzlich als Herrin in solch ein altes Grafenhaus einzieht, da schaudert mir die Haut, da empört sich jeder Blutstropfen in mir!“

Der Landrath räusperte sich, und die Dame des Hauses ergriff ein Flakon und athmete den Duft so eifrig ein, als sei ihr übel geworden.

In diesem Augenblicke trat ein Bedienter ein und überreichte Fräulein von Taubeneck auf silbernem Teller einen Brief. Sie ergriff das Schreiben mit ganz ungewohnter Hast und zog sich in das Nebenzimmer zurück, und nach wenigen Augenblicken berief sie den Landrath zu sich.

Margarete saß dem Eckkamine des Salons gerade gegenüber. Der mächtige, etwas nach vorn geneigte Spiegel über demselben warf einen Theil des Salons mit all seinen blinkenden Geräthschaften zurück, aber er fing auch eine Fensterecke des Nebenzimmers auf, einen lauschigen Winkel voll Blumen hinter Tüllgardinen.

In dieser Fensterecke stand Heloise und reichte dem eintretenden Landrath den geöffneten Brief hin. Er überflog den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_242.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)