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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Inhalt und trat noch näher an die junge Dame heran. Sie sprachen leise und eingehend mit einander, und mitten im Gespräche bog sich die schöne Heloise plötzlich seitwärts, brach eine voll aufgeblühte, rothe Kamelie vom Stocke und befestigte sie eigenhändig mit einem vielsagenden Lächeln in Herbert’s Knopfloch.

„Mein Gott, wie blaß Sie sind, Fräulein!“ rief die Baronin in diesem Momente und griff nach Margaretens Hand. „Sind Sie unwohl?“

Das junge Mädchen schüttelte heftig, in sich zusammenfahrend, den Kopf, und alles Blut schoß ihr in die Wangen. Sie sei gesund wie immer, versicherte sie, und das Blaßwerden sei wohl eine Nachwirkung der kalten Fahrt.

Und jetzt kam auch Fräulein von Taubeneck in Herbert’s Begleitung wieder herüber.

Die Baronin hob mit einem Lächeln den Zeigefinger drohend gegen den Landrath. „Was, mein schönstes Kamelienbäumchen haben Sie geplündert? Wissen Sie nicht, daß ich’s eigenhändig pflege? Daß jede Blüthe gezählt ist?“

Heloise lachte. „Die Schuldige bin ich, Mama!Ich habe ihn dekorirt! Und habe ich nicht alle Ursache dazu?“

Die Mama nickte lebhaft zustimmend mit dem Kopfe und nahm eine Tasse Kaffee von dem Präsentirbrett, das ein Bedienter eben herumreichte. Und nun blieben die Kamelien das Gesprächsthema. Die Baronin war eine eifrige Blumenzüchterin, und der Herzog hatte ihr deßhalb einen kleinen Wintergarten einrichten lassen.

„Den müssen Sie sich nachher ansehen, Fräulein,“ sagte sie zu Margarete. „Die Großmama kennt ihn bereits, sie bleibt bei mir, und wir plaudern derweil ein wenig, während der Landrath Sie hinüberführt.“

Herbert kam dieser Aufforderung ziemlich eilig nach. Er ließ Margarete kaum Zeit, eine Tasse Kaffee zu trinken, weil er meinte, es würde sehr bald dämmerig werden. Das junge Mädchen erhob sich, und während Heloise ihre seidenrauschende Gestalt auf den Sessel vor dem geöffneten Flügel sinken ließ und ziemlich ungeschickt zu präludiren begann, verließen die Beiden den Salon.

Sie durchschritten eine ziemlich lange Zimmerflucht, und von allen Wänden sahen Angehörige des Herrscherhauses auf sie herab, im gestickten Hofkleide, oder mit harnischgeschützter Brust, – ein helläugiges Geschlecht mit weißer Haut und blühenden Wangen und einem intensiven Rothgold auf den mächtigen Schnauzbärten oder dem zierlichen Henriquatre.

„In Deiner langen Wollschleppe schwebst Du geräuschlos wie die Ahnfrau der Rothbärte da oben durch das alte interessante Prinzenschlößchen,“ sagte Herbert zu seiner schweigenden Begleiterin.

„Die würden mich nicht anerkennen,“ versetzte sie mit einem über die Bilder streifenden Blicke; „ich bin zu dunkel.“

„Allerdings, ein deutsches Gretchen bist Du nicht,“ meinte er lächelnd. „Du könntest leicht das Modell zu Gustav Richter’s italienischem Knaben gewesen sein.“

„Wir haben ja auch wälsches Blut in den Adern – zwei Lamprechts haben sich ihre Frauen aus Rom und Neapel mitgebracht. Weißt Du das nicht, Onkel?“

„Nein, liebe Nichte, das weiß ich nicht; ich bin in Eurer Hauschronik nicht so bewandert. Aber so wie ich gewisse Charakterzüge an der Nachkommenschaft beurtheile, müssen diese Frauen zum Mindesten Dogentöchter oder sonstige Prinzessinnen aus italienischen Palästen gewesen sein.“

„Schade, daß ich Dir diese Illusion zerstören muß, Onkel! Sie paßt so hübsch zu Deinen und Großmamas Wünschen, und gerade unter diesen stolzen Augen allen“ – sie zeigte nach den Bildern – „wird Dir die Berichtigung nicht angenehm sein; aber daran läßt sich nichts ändern, daß die eine der Frauen ein Fischerkind, und die andere eine Steinmetztochter gewesen ist.“

„Sieh da, wie interessant! Da haben ja die alten gestrengen Handelsherren doch auch ihre romantischen Anwandlungen gehabt! … Aber im Grunde genommen, was geht denn mich die Vergangenheit des Lamprecht’schen Hauses an?“

Eine Art schmerzhaften Erschreckens ging durch die Züge des jungen Mädchens. „Nichts, gar nichts hast Du damit zu schaffen!“ antwortete sie hastig. „Es steht Dir ja frei, die Verwandtschaft zu ignoriren. Mir kann das nur lieb sein; dann habe ich von Deiner Seite keine Einmischung und Quälerei zu fürchten, wie ich sie täglich von der Großmama erleiden muß!“

„Sie quält Dich?“

Sie schwieg einen Moment. Anklagen hinter dem Rücken Anderer war nie ihre Sache gewesen, und hier sprach sie zum Sohne über seine Mutter. Aber die bösen Worte waren ihr nun einmal entschlüpft und nicht rückgängig zu machen.

„Nun, ich war ja auch ungehorsam und habe einen ihrer Lieblingswünsche nicht erfüllt!“ sagte sie, während Heloise drüben aus ihrem Präludium in ein rauschendes modernes Musikstück überging. „Diese bittere Enttäuschung nagt an ihr – das thut mir leid, und ich entschuldige ihre Mißstimmung gegen mich, so viel ich kann. Aber das ist mir unfaßlich, wie sie trotz alledem noch hoffen mag, mich umzustimmen, meine Entscheidung null und nichtig zu machen. Ich kann das leidenschaftliche Verlangen, jenem exklusiven Kreise verwandtschaftlich nahe zu kommen, überhaupt nicht verstehen, und ist es nicht auch Dir verwunderlich, daß die Großmama so selbstverständlich auf das Anathema eingehen mochte, das die Baronin gegen den Eindringling, die Zukünftige ihres Schwagers schleuderte? Was bin ich denn Anderes als diese Gutsverwalterstochter?“

Er lächelte und zuckte die Achseln. „Herr von Billingen ist kein Graf, und die Lamprechts genießen das Ansehen eines alten Patricierhauses, so mag meine Mutter denken, und deßhalb ist mir ihr Verhalten nicht so ,verwunderlich‘. Weniger verständlich dagegen bist Du mir. … Woher die leidenschaftliche Erregung gegen jene Geburtsbevorrechteten, die oft in so erbitterter Weise zu Tage tritt?“

Sie hatten bei diesen letzten Worten den Wintergarten betreten; aber weder die Farbenpracht der blühenden Pflanzen, noch der ihr entgegenströmende Blumenduft schienen für Margarete vorhanden. Sichtlich erregt blieb sie dem Eingange nahe stehen.

„Du beurtheilst mich ganz falsch, Onkel,“ sagte sie. „Nicht jene Exklusiven sind es, mit denen ich zürne – dazu kenne ich sie zu wenig. Ich weiß nur, daß sich von Alters her große Vorrechte und Privilegien an ihre Namen knüpfen, und daß vor ihrer Hochburg ein Engel mit feurigem Schwerte steht. Wie sollte mich das feindselig stimmen? Die Welt ist weit, und man kann seinen Weg gehen, ohne daß Anmaßung und Geburtsdünkel verletzend an Einen herantreten dürfen. Also darin trifft mich der Vorwurf der Verbitterung nicht; wohl aber grolle ich mit Jenen, die meines Gleichen sind, und von denen Unzählige so glücklich sind wie ich, auf eine große Summe bürgerlicher Tugenden in ihrer Familie zurückblicken zu können. Sie sind so gut ‚Geborene‘ wie Jene, sie haben auch Ahnen, von denen verschiedene in tapferer Vertheidigung ihres Eigenthums so manchen hochgeborenen Strauchritter in den Sand gestreckt haben –“

Er lachte. „Und trotzdem weist Eure gemalte Ahnensammlung keinen Mann in Wehr und Waffen auf?“

„Wozu auch?“ fragte sie bitterernst zurück. „Im Leben und Streben ist Jeder ein ganzer Mann gewesen, wie der blühende Wohlstand seines Hauses, sein Ansehen bei den Zeitgenossen bewiesen – braucht es da noch äußerer Abzeichen? – Wäre es immer so geblieben, das Bürgerthum hätte auch seine respektirte Hochburg. Aber die Nachkommen ziehen es vor, zu katzbuckeln, ja sogar in serviler Weise Steine hinzuzutragen, welche jene Anderen zum Wiederaufbau alter, gestürzter Schranken und Postamente brauchen. … Das Genie, der Reichthum, die großen Talente, sobald sie dem bürgerlichen Boden in Aufsehen erregender Weise entsteigen, werden wie von einem Magnet in jene Sphäre gezogen und gehen drin auf, Macht und Ansehen derselben immer aufs Neue stärkend, während die ‚Erhobenen‘ dem geachteten Namen ihrer Vorfahren undankbar ins Gesicht schlagen, um in dem neuen Stande mit Widerwillen und Geringschätzung von den Erbeingesessenen geduldet zu werden.“

Er war sehr ernst geworden. „Seltsames Mädchen! Wie tief geht Dir die Erbitterung über Dinge, die für andere junge Mädchen Deines Alters kaum existiren!“ sagte er kopfschüttelnd. „Und wie hart klingt die Verurtheilung in Deinem Munde! Noch vor Kurzem wußtest Du wenigstens diese herbe, strenge Auffassung unter lächelnder Satire und Grazie zu verstecken –“

„Ich habe seit dem Tode meines Vaters Lachen und Scherz verlernt,“ fiel sie mit zuckenden Lippen ein, und Thränen verdunkelten ihren Blick. „Weiß ich doch, daß gerade ihn Vorurtheil und falscher Wahn verblendet und sein Leben unheilvoll verdüstert haben, wenn ich auch den eigentlichen Grund seiner Seelenqual nicht kenne. Doch genug davon! Ich bitte Dich nur um Eines,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_243.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)