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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

prächtiges Nachtquartier bereitete. Es war dies nur ein Knabe von acht Jahren, aber kein Geringerer als der Erbe des Landes, der einzige Sohn des Landgrafen selber.

Wäre dieser blühende Knabe nicht gewesen, so hätten bei der Wahl einer zweiten Gemahlin die Augen des Landgrafen wohl schwerlich auf die Gräfin Sabine, die in kinderloser Ehe gelebt hatte und nunmehr in reiferen Jahren stand, fallen dürfen, trotz aller sonstigen Vorzüge einer solchen Verbindung. In der Person dieses kräftigen Sprossen aber, der vor aller Augen zum echten Fürsten heranwuchs, war der Landgraf sozusagen seiner Verpflichtung gegen das Land quitt und hatte nach eigenem Behagen und Belieben wählen können. Uebrigens erwartete man von dieser Stiefmutter auch für den jungen Landgrafen das Beste. Er würde sich weit besser befinden an einem Hofe, an dem wieder eine Frau waltete, und sie, von keiner Vorliebe für eigene Nachkommenschaft in Anspruch genommen, konnte, indem sie mütterlich für den Knaben sorgte und sich ihm werth machte, ihm, dem Lande und nicht zum mindesten sich selber nützen.

Noch wurde, in der Vormittagssonne, die heute ungewöhnlich heiß hernieder brannte, eifrig an dem letzten Ehrenbogen, nach dem sogenannten Brüderthore zu, gehämmert, als die Kunde durch die Straßen flog, daß das fürstliche Kind mit seinen Begleitern vor eben jenem Thore im Anzuge und schon ganz in der Nähe der Stadt angelangt sei.

„Wollet uns die Ehre anthun, kleiner gnädiger Herr, und eine Erfrischung annehmen.“ (S. 302.)

Da fuhr ein Schrecken in alle Glieder, denn man war noch gar nicht fertig! unmöglich konnte doch dem Landeserben just bei seinem Eintritt in die Stadt das kahle Gerüst einer Ehrenpforte sozusagen in den Weg gestellt werden! Da hieß es Rath schaffen. Den Anordnern trat der Angstschweiß auf die Stirn während sie die Arbeitsleute antrieben, die nun ihrerseits den Kopf verloren und einer dem anderen in den Weg liefen, ohne daß die Sache merklich gefördert wurde.

Im Gegentheil, es ging Alles verkehrt. Die Guirlanden, die sie allzu eilig anbringen wollten, rissen auseinander unter den Händen; die Wappenschilder kamen an die unrichtigen Plätze und mußten wieder abgenommen werden; die Tuchstreifen, schon abgepaßt und zugeschnitten, erwiesen sich als zu kurz oder zu lang, wenn man sie schon an einem Ende angenagelt hatte. Die eine Seite war endlich doch nothdürftig fertig geworden, die andere aber immer noch das unerfreuliche Holzgerippe, und schon langte ein athemloser freiwilliger Bote nach dem anderen an, halbwüchsige Jungen und Lehrbuben, um zu melden, daß die Herannahenden nun in weniger als einer Viertelstunde hier sein würden.

Da hatte Einer den klugen Gedanken, man möge hinschicken und mit einem der ritterlichen Herren, die den Prinzen begleiteten, ein vernünftiges Wort reden lassen, daß sie vor dem Thore noch einen kleinen Aufenthalt nähmen, bis man zum Empfange des jungen Fürsten ganz bereit sei. Das geschah und war auch wirklich das Beste und Einzige, was man thun konnte.

Von derselben Höhe, auf der vor einigen Monaten Georg Tiedemars und Hans Veit gehalten hatten, war indeß der reisige Zug hernieder gekommen, voran auf einem kleinen kräftigen Pferde der fürstliche Knabe, der unter dem gerade geschnittenen Blondhaar hervor aus hellen Augen lebhaft um sich blickte.

„Seht, Herr Vetter,“ sagte er zu dem neben ihm reitenden Herrn Kurt von Berlepsch, indem er den kleinen stämmigen Arm nach der Stadt hin ausstreckte, „dort der Thurm der St. Martinskirche! den kenn’ ich noch wohl – und rechts ein wenig weiter die Dächer des Schlosses. Hei, ich wollte, wir wären erst dort, denn ich bin durstig!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_301.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2021)