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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

verbitterter Mann bis an sein Lebensende verblieben, wie sein Nachkomme, der vielbeneidete Balduin Lamprecht auch. … Was für ein dämonischer Zug der Seelen mochte die schöne Blanka wohl veranlaßt haben, sich genau so zu kostümiren wie ihre unglückliche Vorgängerin, die den gleichen verhängnißvollen Schritt wie sie gethan und ihn mit ihrem Leben gebüßt hatte? –

Ein betäubender Duft entquoll dem Schranke; rings um das Bild waren Rosen aufgehäuft, Rosenmumien, die wie Weihopfer hier hatten welken müssen. Vor dem Bilde lag auch der letzte kleine Strauß, den Margarete an jenem Nachmittage in der Hand ihres Vaters gesehen – die schöne Blanka mußte Rosen und Rosenduft sehr geliebt haben.

„Nun, das Bild beweist noch nichts!“ rief die Frau Amtsräthin mit vibrirender Stimme in das plötzlich eingetretene Schweigen der Ueberraschung, der Erschütterung hinein. „Es wird so sein, wie ich Dir sagte, Herbert! Bewiesen ist in der That nur, daß der Schwächling allerdings für eine Zeit, in die Netze der Kokette gefallen ist.“

Ohne zu antworten, zog der Landrath an einem der kleinen Schiebekasten, allein derselbe gab nicht nach.

„Der Schrank wird ähnlich konstruirt sein wie Tante Sophiens Schreibtisch in der Hofstube,“ sagte Margarete. Sie griff in das Innere des Schrankes und zog an einer schmalen, vorspringenden Holzleiste; mit diesem einen Ruck waren alle Kasten zur Linken erschlossen.

In den unteren Fächern lagen viele moderne Schmuckstücke, vermischt mit bunten Bandschleifen, jedenfalls lauter Reliquien für den verwaisten Mann; dann kam aber ein mit Papieren gefüllter Kasten an die Reihe. Margarete hörte, wie plötzlich die Athemzüge der jetzt dicht hinter ihr stehenden Großmama tief und schwer gingen; das alte, feine Frauenprofil erschien über ihrer Schulter – es war vollständig entfärbt, und die Augen bohrten sich förmlich in den Kasteninhalt. Nur einige mit schwarzem Band umwickelte Briefpakete machten diesen Inhalt aus; obenauf aber lag ein einzelnes Kouvert mit Aufschrift von der Hand des Verstorbenen.

„‚Dokumente, meine zweite Ehe betreffend!‘“ las der Landrath laut.

Die Frau Amtsräthin stieß einen Aufschrei der Entrüstung aus. „Also doch!“ rief sie, die Hände zusammenschlagend.

„Großmama, sei barmherzig!“ bat Margarete innig flehend.

„Es bedarf keiner Barmherzigkeit, Margarete,“ sprach der Landrath stirnrunzelnd. „Ich begreife nicht, Mama, wie es Dir überhaupt möglich gewesen ist, die Nichtbestätigung zu wünschen. Das sonnenklare Recht des Knaben wäre auch ohne diese Papiere zur Geltung gekommen, und die Welt hätte in der Kürze erfahren müssen, daß ein nachgeborener Sohn aus zweiter Ehe existire. Das Auffinden dieser Dokumente hier hat mithin nur insofern Werth, als es uns, den Nächststehenden, beweist, daß Balduin nicht beabsichtigt hat, die Ehre seines todten Weibes, seines Kindes um des Anathema der vornehmen Welt willen zu schädigen.“

„Das habe ich gewußt!“ rief Margarete mit aufstrahlenden Augen. „Nun bin ich ruhig!“

„Ich aber nicht!“ zürnte die alte Dame. „Mir vergällt dieser Skandal meine letzten Lebensjahre. Schande über ihn, der uns eine so empörende Komödie hat mitspielen lassen! Ich habe bei Hofe sein Lob gesungen, so viel ich konnte. Sein Ansehen bei den höchsten Herrschaften verdankte er mir, mir allein. Wie wird man zischeln und spotten über die ‚blödsichtige Marschall‘, die ahnungslos den Schwiegersohn des alten Lenz in die höchsten Kreise eingeführt hat! … Ich bin blamirt für alle Zeiten! Ich bin unmöglich geworden bei Hofe! … O, hätte ich mich doch nie herbeigelassen, in das Krämerhaus zu ziehen! Jetzt wird man mit Fingern auf dieses Haus zeigen, und wir, die Marschalls, wohnen drin, und Du, der erste Beamte der Stadt – ich bitte Dich, Herbert, nur nicht diese gelassene Miene!“ unterbrach sie sich mit großer Heftigkeit. „Dieser Gleichmuth kann Dir theuer zu stehen kommen! Auch für Dich wird die schmutzige Geschichte möglicher Weise Folgen haben, die –“

„Ich werde sie zu tragen wissen, Mama,“ fiel er mit unerschütterlicher Ruhe ein. „Balduin –“

„Still! Wenn Du noch einen Funken von Sohnesliebe in Dir hast, so nenne diesen Namen nicht! Ich will ihn nie wieder hören, mit keinem Laute will ich je wieder an ihn erinnert sein, welcher uns belogen und betrogen hat, den Meineidigen –“

„Halt!“ rief Herbert, indem er stützend seinen Arm um Margarete legte, die todtenblaß und zitternd sich an der Tischkante festhielt. Die Adern schwollen ihm auf der Stirn. „Keinen Schritt weiter, Mutter!“ protestirte er heftig zürnend, es klang aber auch ein tiefschmerzlicher Ton mit. „Sagst Du Dich so schonungslos, so unglaublich selbstisch los von Balduin und mithin auch von seiner Waise, so stehe ich zu ihr! Ich dulde es nicht, daß noch ein einziges böses Wort fällt, unter welchem sie leiden muß, die ohnehin noch schwer am Trennungsschmerze trägt! … Aber auch Balduin lasse ich nicht länger schmähen! – Wohl, er ist schwach gewesen, und mir ist sein unmännliches Schwanken unfaßlich; allein es liegen Milderungsgründe für seine Handlungsweise vor. … Du selbst beweisest in diesem Augenblicke am schlagendsten, was für Stürme ihn umtobt haben würden, wenn er zur rechten Zeit männlich offen gesprochen hätte. … Er hat sich bethören lassen durch die Lockung, der gesuchte Mann eines exklusiven Kreises zu sein; er hat sich Schritt um Schritt tiefer verstrickt in einem Netze der unnatürlichsten Widersprüche, und ich sage selbst, Dir und allen Denen gegenüber, die so denken wie Du, Mama, hat ein gewisser Muth dazu gehört, plötzlich als ein Mann aufzutreten, der sich von all Euren Vorurtheilen losgesagt hat und dem natürlichen Zuge seines Herzens gefolgt ist. … Dieser Fall in der eigenen Familie sollte Dir doch die Augen öffnen und Dir zeigen, wohin diese geschraubten Ansichten, dieses Verleugnen der Natur, des gesund und richtig empfindenden Menschenherzens führen muß: zu verschwiegenen, entnervenden Seelenqualen, zu Lug und Trug, und gar oft zum Verbrechen. Ein Theil von Balduin’s Schuld fällt auch auf die heutige Gesellschaft, ihn trifft nicht allein der Vorwurf, eine Komödie aufgeführt zu haben!“

Die Frau Amtsräthin hatte sich immer weiter von Herbert entfernt, während er sprach; es war, als wolle sie die Kluft, die sich plötzlich durch den Kontrast der Ansichten zwischen Mutter und Sohn aufthat, auch räumlich erweitern. Mit fest zusammengepreßten Lippen schritt sie zur Thür – dort wandte sie sich noch einmal um.

„Auf Alles, was Du mir eben gesagt hast, habe ich selbstverständlich kein Wort der Erwiderung,“ rief sie mit zornbebender Stimme in das Zimmer zurück. „Ich sollte meinen, mit meinen Principien sei ich bisher ganz leidlich durch die Welt gekommen; sie sind der beste Theil meines Ich, sie sind mein Stolz, mit ihnen stehe und falle ich! … Du aber sieh Dich vor! Dieses Liebäugeln mit dem grundsatzlosen modernen Liberalismus verträgt sich nie und nimmer mit Deiner Stellung! … Doch was rede ich da! Ich bin viel zu taktvoll, um Dir gute Rathschläge geben zu wollen. Draußen im Prinzenhofe und vor den Ohren unserer allerhöchsten Herrschaften wirst Du Dich ohnehin wohlweislich hüten, solche Ansichten laut werden zu lassen.“

„Mit den Damen im Prinzenhofe politisire ich grundsätzlich nicht; der Herzog aber kennt meine Gesinnungen bis auf den Grund, ich habe ihn darüber nie im Zweifel gelassen,“ versetzte der Landrath sehr ruhig.

Sie sagte nichts mehr. Mit einem ungläubigen Auflachen überschritt sie die Schwelle und drückte die Thür hinter sich zu.

Margarete hatte sich währenddem in die nächste Fensterecke zurückgezogen; sie war vorhin erschreckt dem stützenden Arme sofort entschlüpft.

„Du hast Dich mit ihr entzweit um unsertwillen,“ klagte sie jetzt mit schmerzhaft zuckenden Lippen.

„Das darfst Du Dir nicht so zu Herzen nehmen,“ erwiderte er, noch mit der Aufregung kämpfend, die ihn so heftig durchschüttert hatte. „Sei Du ganz ruhig!“ setzte er sanft begütigend hinzu. „Der Riß heilt wieder zu. Meine Mutter wird sich besinnen; sie wird sich erinnern, daß ich ihr immer ein guter Sohn gewesen bin, trotzdem ich mit meinen Lebensanschauungen auf eigenen Füßen stehe.“

Er prüfte die Dokumente und nahm sie an sich.

„Ich gehe jetzt ins Packhaus,“ sagte er. „Jede Verzögerung ist eine Sünde den alten Leuten gegenüber … Das ist ein Weg, um welchen mich alle guten Menschen beneiden müssen! Aber noch Eines: Bist Du Dir auch völlig klar darüber, wie es sein wird, wenn ein Dritter neben Euch, den verwöhnten ‚beiden Einzigen‘ in gleiche Rechte tritt? Wenn der Knabe aus dem Packhause plötzlich zu Denen zählt, die von den Wänden Eures

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_310.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)