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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

war er schon bei ihr und hatte sie mit beiden Armen umfaßt, und ehe sie sich’s versah, fühlte die ehrbare alte Jungfer einen schallenden Kuß auf ihrer Wange.

„Daß sich Gott erbarme, Linden, sind Sie nicht bei Troste!“ rief sie.

„Herzenstantchen, ich kann es nicht für mich behalten, ich ersticke daran. So seien Sie doch nicht böse! Wenn ich meine Mutter hier hätte, ich küßte die alte Frau todt vor Seligkeit. So gratuliren Sie mir doch, Trudchen Baumhagen ist meine Braut!“

Tante Rosa’s halb ärgerliches halb erschrecktes Gesicht ward starr. „Ist’s möglich?“ fragte sie leise; „und die will hier herein heirathen in unser altes Haus? Und die Familie hat’s zugegeben?“

„Eine Baumhagen – ja! Und sie will hier ins Haus heirathen und die Familie hat’s zugegeben, Tante Rosa.“

„Gottes Segen! Gottes reichster Segen!“ flüsterte sie, aber sie schüttelte das Haupt und sah ihn ungläubig an. „Schlafen kann ich nun nicht diese Nacht,“ fuhr sie fort, „ich freue mich sehr, ich freue mich von Herzen, aber Sie konnten mir’s morgen früh sagen. Nun ist’s geschehen. Gute Nacht, Linden; ich freue mich, dem Hause thut die Frau wohl noth. Gott gebe, daß eine rechte Hausfrau einzieht!“ Und sie drückte ihm die Hand und ging.

Auch er ging in sein Zimmer. Auf dem runden Sofatisch brannte die Lampe, und dort lag ein Schreiben. Ach richtig, der verloren gewesene Brief! Er ergriff ihn in halber Zerstreuung; es war Wolff’s Hand. Er legte das Schreiben wieder hin, was konnte der wollen? Irgend etwas Geschäftliches. Sollte er sich die seligste Stunde verderben mit einer unangenehmen, vielleicht einer Sorgen-Nachricht? Mochte der Brief doch warten bis – Aber schon hatte er ihn wieder zur Hand genommen und öffnete das Kouvert.

Ein langes Schreiben fiel ihm entgegen, und beim Lesen biß er die Lippen auf einander. „Erbärmlicher Kerl,“ sagte er endlich laut, „gut daß der Brief nicht früher in meine Hände kam; es wäre nicht so, wie es jetzt ist.“ Und als ekle ihn vor der Berührung des Papieres, warf er es mit spitzen Fingern in den nächsten Kasten seines Schreibtisches. „Schmutzige Seelen, die mit dem Heiligsten Schacher treiben!“

Noch lange saß er still in tiefen Gedanken, und zwischen seinen Brauen stand eine düstere Falte. Dann schrieb er einen langen Brief an seinen Freund, den Kreisrichter, und mählich erhellten sich seine Züge wieder; er erzählte darin von Trudchen.


„Guten Tag, Onkel Heinrich!“ sagte Trudchen, die im Erker am Nähtischchen saß, und sie erhob sich und ging auf den kleinen korpulenten Herrn zu, der eben bei ihr eintrat.

„Es ist ja ein wahres Glück, daß wenigstens Eine von Euch zu Hause ist,“ erwiderte er und putzte nach einem kräftigen Schütteln von Trudchens Händen seine Brille mit dem rothen Schnupftuche. „Ob wohl von dem Weiberzeug einmal Jemand daheim bleiben kann außer Dir! Frau Jenny macht Besuche, Frau Ottilie sind im Kaffee – man sieht’s, hier fehlt eine kräftige Faust, die den Zügel hält.“

Trudchen lächelte. „Onkel, schilt nicht und setze Dich,“ bat sie. „Mir kommst Du sehr recht, ich hatte schon ein kleines Billet an Dich geschrieben, darin ich Dich um eine Unterredung bitten wollte. Ich brauche Deinen Rath.“

„O! Aber nicht gleich, Kind, nicht gleich! Ich komme eben vom Tische,“ wehrte er ab, „und nichts ist da gefährlicher, als angestrengtes Denken. O, la la! So ist’s bequem! Nun erzähle mir etwas Angenehmes, Kind, von Deinem Schatz; zum Beispiel – wieviel Küsse hat’s gestern gegeben? Ehrlich – Trudchen!“ Er hatte sich behaglich in einen Lehnstuhl gestreckt, und die junge Nichte schob ihm ein Bänkchen unter die Füße und legte ihm eine Decke über die Kniee.

„Gar keine, Onkel,“ sagte sie ernsthaft, „danach fragt man nicht, weißt Du. Ich sehe Franz überhaupt selten.“ Sie stockte. „Mama geht so viel aus, und ich kann ihn doch nicht empfangen, wenn sie nicht daheim. Ach, Onkel, das ist’s ja, deßhalb wollte ich mit Dir sprechen. Mama“ – sie stockte wieder – „Mama ängstigt mich mit allerhand Andeutungen über Linden’s pekuniäre Lage; Du weißt, Onkel –“

„Und sie versteht das aus dem Grunde, meinst Du?“ fragte der alte Herr. „Nun natürlich, o, la la!“

„Ja, Onkel. Siehst Du, vorgestern fuhr Mama spazieren mit Jenny, und als sie zurückkehrte, rief sie mich in ihr Zimmer, und schon beim Eintreten merkte ich, daß irgend Etwas vorgegangen sei. Denke Dir, Onkel, sie war in Niendorf gewesen, um, wie Mama sich ausdrückte, den Ort zu sehen, wo ihre Tochter sich zu begraben gedächte. Es wäre ja empörend, sagte sie, eine junge Frau in dieses Bauernhaus führen zu wollen, es sei mehr als bescheiden, sie habe sich gefühlt wie auf einer Pachtung dritten Ranges. Linden habe in einem Zimmer gesessen – sie konnte die Decke mit der Hand erreichen, so niedrig, und Alles schief und baufällig. Kurz und gut, ich dürfe da nicht hinein, und wenn ich auf meiner Caprice bestände, Herrn Linden’s Frau zu werden, so müsse sie erst bauen, denn er – er – nun, er habe es ja allerdings nicht dazu, und es sei auch viel bequemer, sich von der Schwiegermutter ein warmes Nest zurecht machen zu lassen. Jenny, die bei dieser Scene zugegen war, stimmte voll mit ein. – Ach Gott, Onkel, er thut mir so leid, und Alles meinetwegen.“

„Hat denn Deine Mama mit ihm wegen des Baues gesprochen?“ fragte Onkel Heinrich.

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Ich weiß es nicht – ich bin hinaus gegangen ohne zu antworten. Wenn ich es gethan – so – wir kämpfen mit ungleichen Waffen, oder vielmehr, ich darf meine Waffen nicht gebrauchen, sie ist doch meine Mutter.“

Die Augen des Onkels sahen sie mit unverkennbarem Mitleide an; sie war so blaß und um den hübschen Mund lag ein müder Zug. „Du armes Ding; ja, ja, den Brautstand machen sie Dir nicht gerade zum Paradiese,“ dachte er; aber er räusperte sich nur und schwieg.

„Und was kann ich dabei thun?“ fragte er nach einer Pause.

„Das sollst Du gleich hören,“ sprach Trudchen. „Sieh, ich muß Dich schon quälen; mit Arthur stehe ich mich keineswegs so, daß er mir hier rathen könnte. Ich möchte Dich bitten, Onkel, mit Franz zu sprechen; ich will wissen, wie groß seine pekuniären Sorgen sind, und –“

„Ei, Kind, laß den Unsinn!“ unterbrach sie, augenscheinlich peinlich berührt, der alte Herr. „Wozu mich denn da hinein bringen? Pekuniäre Sorgen! Was willst Du dagegen thun? Vorläufig geht Dich das gar nichts an – wirst es früh genug erfahren.“

„Du meinst, weil wir noch nicht Mann und Frau sind?“ fragte sie.

„Na, versteht sich!“ nickte er.

„O, das ist ja ganz gleichgültig, Onkel,“ sprach sie lebhaft. „Von dem Momente an, wo wir uns verlobt haben, betrachte ich mich als zu ihm gehörig, und was Mein ist, als das Seine. Warum soll ich ihn denn, da ich bereits frei über einen Theil meines Vermögens verfüge, nicht aus einer vielleicht sehr unangenehmen Lage reißen?“

„Aber, liebes Kind –“

„Laß mich aussprechen, Onkel; Du weißt, ich habe zehntausend Thaler von Großmama voraus, über die kein Mensch als ich bestimmen darf, und diese zehntausend Thaler sollst Du Linden auszahlen. – Ich glaube, er muß nothwendig bauen, es mag an Diesem und Jenem fehlen draußen, es ängstigt und quält ihn – thue mir die Liebe, Onkel; sieh, ich kann mit ihm über dergleichen nicht reden.“

„Ich werde mich hüten, Jungfer Trudchen!“

„Warum?“

„Weil er es am Ende nehmen würde – oder, er kommt mir vielleicht grob. Danke ergebenst!“

„Er soll es auch nehmen, Onkel!“

Er schwieg. „Wann wollt Ihr denn heirathen, Kind?“ fragte er endlich.

In Trudchens Gesicht stieg wieder die rosige Gluth. „Mama hat sich noch nicht darüber ausgesprochen, Onkel; Franz hofft im April, und – eben mein Empfang soll ihm doch keine Sorgen machen.“

„Schön! Schön! So lange kann er ja warten,“ meinte der alte Herr.

Sie sah ihn enttäuscht an, aber sie antwortete nicht.

„Ich will Dir doch nichts zu Leide thun, Kleine,“ fuhr er fort, den traurigen Blick wohl verstehend, „ich will nur korrekt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_387.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)