Seite:Die Gartenlaube (1885) 388.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

in Geschäftssachen handeln. Schau, wenn Du auf Dein Vorhaben versessen bist, so verbastelt und verbaut und verjuxt Ihr ein schönes Kapital – um Euch das Nest so recht behaglich einzurichten. Amantes amentes – das heißt in unser geliebtes Deutsch übertragen: ‚Verliebt – verdreht‘. Und wenn Gott den Schaden besieht, bist Du in Deinem eigenen Fette gebacken worden – ha, ha!“

Trudchen veränderte keine Miene, es lag ein tiefschmerzlicher Zug um den Mund. Auch er sprach so! Wie oft hörte sie Derartiges jetzt! Selbst an dem einzigen Geschenk, das Linden ihr gemacht, hatte man ihr durch eine ähnliche verletzende Redensart die Freude verdorben.

„Ei, sieh doch nicht so trostlos aus, Kleine,“ gähnte der alte Herr, „was habe ich denn gesagt? Wir Männer, glaube mir, sind alle mit einander Egoisten; – warum willst Du denn Deinen Zukünftigen noch darin bestärken und ihm schon von vorn herein die gebratenen Tauben in den Mund fliegen lassen? Halte ihn knapp, Trudchen, das ist das einzig Richtige; er darf weiter nichts sein, als der Prinz Gemahl – die Regierung behältst Du in Deinen kleinen Fäusten. Alle Wetter, und ich glaube, regieren kannst Du.“

„Onkel!“ sagte das schöne Mädchen weich und trat vor ihn hin. „Onkel, Du bist ja ein Heuchler, Du redest von Dingen, an die Du selbst nicht glaubst. Egoisten seid Ihr Alle? Und ich kenne keinen Menschen, welcher weniger Anlage dazu hat, als Du.“

„Wahrhaftig, Kind!“ betheuerte er lachend. „Ein Egoist bin ich vom reinsten Wasser.“

„So? Wer giebt denn am meisten den Bedürftigen in der Stadt? Wer unterhält denn eine ganze arme Lehrerfamilie in Wohnung, Kleidung, Essen und Trinken? Nun wer, Onkel?“

„Alles Egoismus, nichts als Egoismus!“ rief er mit erhobener Stimme.

„Beweisen, logisch beweisen, Onkel!“

„Na, nichts leichter, Trudchen. Du kennst ja die Geschichte, wie ich meinen Krampf in das Bein bekam und mich in das erste beste Haus auf der Steinstraße schleppte und da auf den ersten besten Stuhl hinsank. Ich wollte gerade zum Diner, hatte mir Gustav Seyfried und August Seemann eingeladen – na, Du weißt ja, die alten Jungen haben in Paris und London gegessen. Also, da saß ich in der niedrigen Stube, die Leute waren beim Mittagsbrot und eine Schüssel dünne Kartoffelsuppe stand auf dem Tische, die kaum für den Mann genügt hätte. Sieben Kinder – ich sage sieben Kinder, Trudchen – rings herum und die Mutter kellte just auf. Vom Jüngsten fing sie an; der Aelteste, ein Bursche von vierzehn Jahren, bekam das Letzte aus der Schüssel; es war nicht viel mehr darin, und ich werde nie den Blick aus diesen eingefallenen hungerigen Augen vergessen, mit denen er den leeren Napf anschaute; es ward mir da so wunderlich mit einem Male. Ich fragte beiläufig, was der Mann denn für ein Gewerbe treibe? Sprachlehrer, die Stunde fünfzig Pfennig! Eine feste Anstellung könnte er kränklichkeitshalber nicht annehmen, bekäme sie auch nicht! Heiliger Gott, Trudchen, durchschnittlich täglich zwei Stunden, macht eine Mark, dazu sieben Kinder! Na siehst Du, wir hatten den Mittag Austern vor der Suppe, sie waren gerade recht theuer und ich rechnete aus, daß ein solch glattes delikates Dingelchen just soviel kostet wie eine englische Stunde, in der der arme Mann seinen kranken Hals heiser sprach; sie wollten mir trotz ihrer Schlüpfrigkeit nicht durch die Kehle gleiten, ich konnte es nicht über ein halbes Dutzend bringen und das war mir doch mehr als unangenehm. Bei jedem Gang dieselbe Geschichte, und wenn der Louis einen Champagnerpfropfen knallen ließ, war’s jedesmal, als flöge er mir direkt auf den Magen. Ich habe nie ein ungemüthlicheres Diner erlebt; hinterher empfand ich Uebelbehagen und mußte Natron nehmen. ‚Hol’s der Henker!‘ dachte ich, ‚das könnte Dir noch öfter so gehen‘, und – Du weißt, Kind, ein gutes Mittagessen ist das reellste Vergnügen auf der Welt für Unsereinen. Also mir blieb nur übrig, sollten mir die Austern wieder schmecken, mich durch den Gedanken zu beruhigen, daß die Kauwerkzeuge der sieben hungerigen Krabben ebenfalls um Mittag herum ihre ordentliche Beschäftigung fänden. Ich schickte also die Hammeln zur Frau Lehrerin und ließ sie fragen, wie viel Wirthschaftsgeld sie wohl monatlich haben müßte, um alle Sieben und sich dazu und den Mann ordentlich satt zu machen? Du lieber Gott, es war am Ende nicht so riesig; und so zahle ich Wirthschaftsgeld, und es schmeckt mir wieder im ‚Deutschen Hause‘. Jetzt beweise mir, daß das nicht vollendeter Egoismus ist.“

„Ei natürlich, Onkelchen,“ sagte das Mädchen mit leuchtenden Augen. „Solche Art Egoismus lasse ich mir gefallen.“

„’s ist alles Eins, Trudchen. Die Hammeln schicke ich jetzt auch aus Egoismus in den Ruhestand, sie wird so dick und breit, daß sie nicht mehr durch die Thür kommen kann mit dem Kaffeebrett. Ich frage Dich nun, soll ich mir, der alten asthmatischen Person wegen, noch einen Diener halten, der ihr beide Flügelthüren öffnet? das wäre mir schön. Heute früh habe ich ihr gesagt: ‚Hammeln, Du kannst Ostern gehen, ich werde Dir Deinen Gehalt als Pension fortzahlen – abgemacht.‘ Sie freute sich wie unsinnig, daß sie nun zu ihrer Tochter ziehen kann.“

„Onkelchen, ich weiß, an wen ich mich gewendet habe, ich darf mich auf Dich verlassen,“ schmeichelte Trudchen. „Nicht wahr, Du sprichst mit Franz?“

„Na ja, ja; werde nur nicht so roth. Siehst Du, nun hast Du mir mit all Deinen Reden den Nachtisch verdorben. Wann kommt denn Serenissima nach Hause?“

„Ich weiß es nicht, Onkelchen,“ erwiderte das junge Mädchen.

„Freilich, diese Klatschkaffees sind zu unberechenbar. Also, da seht Ihr beiden Liebesleute Euch wohl nur bei großen Festivitäten, wie Romeo und Julie am dritten Ort, oder wenn gerade hier bei Euch Gäste sind?“

Trudchen nickte still mit dem Kopfe.

„Es ist die Möglichkeit!“ raisonnirte der kleine Herr und stand auf. „Als ob’s nicht die einzige glückliche Zeit ist im Leben, der Brautstand; nachher kommt nämlich die reine Prosa, mein Kind. Und das verkümmern sie Dir nun so – na, warte! Ich muß aber jetzt zum L’hombre; heute Abend werde ich einmal nachschauen bei Deiner Frau Mama. Lebe wohl, grüße ihn wenn Du schreibst.“

„Adieu Onkelchen, vergiß nicht, daß ich mich auf Deinen Egoismus verlasse.“

Und als der alte Herr die Zimmerthür hinter sich geschlossen, setzte sie sich nieder an den Schreibtisch, nahm einen Brief aus einem der Fächer und begann zu lesen. Der letzte Brief von ihm, heute früh, und es waren Verse:

„Soll ich’s Dir sagen, was Sehnsucht ist?
Kann’s nicht mit Worten erklären;
Unruhe ist es zu jeder Frist,
Glück, was nur Du kannst gewähren.
Weiß im Städtchen am Marktesplatz
Stattlich ein Erkerlein blinken,
Weiß es, darinnen stehet mein Schatz,
Stehet die Sonne versinken;
Weiß, daß zwei Augen so groß und blau
Fragend gen Westen blicken,
Ob nicht von dort, geliebte Frau,
Zwei Lippen Dir Botschaft schicken?

Tickt mir im stillen Zimmer die Uhr,
Thauwind klopft an die Scheiben,
Draußen verrinnet des Winters Spur,
Knospen schwellen und treiben.
Langsam siehet, wer einsam ist,
Stunde auf Stunde werden; –
Eins nur ist Trost mir, daß treu Du bist,
Frühling muß es ja werden!
Eines ist Trost, daß in Ewigkeit,
Wenn Zwei sich in Liebe gehören,
Menschenzungen und Menschenneid
Nicht können solch Bündniß stören.“

Wie sie diese Verse freuten in ihrer Traurigkeit! Nichts in der Welt konnte sie trennen! Ein Glück und eine Noth! Tausendfach wollte sie ihm mit Liebe vergelten für Alles, was er jetzt um ihrethalben erdulden mußte. Mit tausend guten innigen Worten versuchte sie jene Mißachtung vergessen zu machen, die man ihm, dem kecken Eindringling, gegenüber kaum verbarg. Sein Mannesstolz mußte so unendlich leiden; mehr als einmal war ihm jäh das Blut in die Stirn geschossen, und mehr als einmal hatte er sich vorzeitig verabschiedet, als könne er nicht ruhig bleiben und suche des lieben Friedens wegen sein Heil in der Flucht.

„Ich wollte, ich hätte Dich erst in Niendorf, Trudchen,“ sagte er noch beim letzten Abschied, „ich ertrage es schlecht, so ziemlich Luft zu sein für Deine Mutter.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_388.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2021)