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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„Du solltest länger als eine Nacht in diesem Hause bleiben.“

„Hm,“ murmelte der Mann aus der Gesellschaft.

„Siehst Du, Du scheinst heute doch einiges Bedenken darüber zu fühlen,“ meinte Prudens mit leiser, grimmiger Ironie; doch der Jugendfreund rief – und zwar auch nicht ohne eine gewisse selbstsichere Ueberhebung:

„Ganz im Gegentheil, mein Theurer. Ich fühle wirklich die ausbündigste Lust, einen Lastesel vom Zeltpflock meines gegenwärtigen Aufenthaltsortes dort unten unter den Leuten im Alltagsdasein loszulösen, ihn mit meiner dorthin voraufgeschickten Bagage von Neuem zu belasten und ihn vermittelst eines Wälderknaben oder Gebirgsjünglings hier hinauf zu dirigiren, um, wenn nicht für Monden und Jahre, so doch für Tage und Wochen von Deiner Gastfreundschaft Gebrauch zu machen.“

„Da müßtest Du Dir freilich doch wohl etwas genauer von meiner Schwester und mir zeigen lassen, wie wir leben.“

„Da kommt Fräulein Phöbe und Deine Magd mit Tellerkorb und Serviettenbündel. Augenblicklich werden wir ihnen unter dem Fliedergezweig wohl ein wenig im Wege sein. Beginne Du. Zeige mir, wenn nicht Dein ganzes Haus, so doch Dein Privatreich darin, Deine Stube und Deinen Arbeitstisch, während wir den Beiden hier das Feld frei lassen. Vielleicht dämmert es Dir in der Erinnerung mehr und mehr auf aus der Zeit, da wir, wenn nicht Andere, so doch Jüngere waren, wie hartnäckig ein gewisser Veit Bielow in seiner liebenswürdigen Aufdringlichkeit zu sein vermochte.“

Lachend nahm er den Pfarrer unterm Arm und zog ihn gegen das Haus. Es war ihm in der That schwer zu widerstehen, und Prudens widerstand auch nicht. Er ließ sich führen und führte. Mit fröhlicher Behaglichkeit sagte der Gast zu dem jungen Mädchen:

„Ich wünsche vor allen Dingen ganz genau Hausgelegenheit kennen zu lernen, liebes Fräulein.“

„Deines Freundes Schlafgemach ist bereit, Prudens,“ flüsterte Phöbe ihrem Bruder zu.

(Fortsetzung folgt.)

Symposion bei Tizian.

(Mit Illustation S. 449.)


Der Tag neigt seinem Ende zu. Langsamen Schrittes kommt der Abend gezogen. Still ist es weithin, schweigsam gleiten die Gondeln über die Lagunen wie Geisterschiffe geheimnißvollen Inhalts. Natur und Menschen scheinen auszuruhen von der Schwüle der eben verflossenen Stunden. Noch umspielt die Sonne die fünf Kuppeln von San Marco, aber bald wird sie zur Rüste gehen, der Abend wird seine Schleier weben um Venezia la Bella und die Gondolieri werden einander mit ihren Liedern begrüßen – noch nicht mit den Strophen des Tasso, denn zur Stunde ist der Herrliche noch ungeboren. Wir schreiben das Jahr 1532, für Venedig ein Jahr heiteren Lebensgenusses wie ein anderes, aber der Tag ist ein besonderer: der 1. August. Da feiern die Italiener das Ferrare Agosto, und das Volk benutzt den Anlaß, um zu bechern, zu schmausen und lärmender Geselligkeit zu huldigen, vielleicht ohne zu wissen, was das Datum bedeutet. In Rom sind Ferrare Agosto und Petri Kettenfeier gleichbedeutend mit einander, aber hinter dem laufenden Jahrhunderte schiebt sich die Antike vor, und wir erinnern uns, daß „Ferrare Agosto“ nichts Anderes heißt, als Feriae Augustae. Und vom Augustus und vom alten Rom spricht der Künstler, welcher da vor uns sitzt. Das Gespräch gleitet hinüber auf einen anderen Imperator. Tiziano da Vecello heißt der Künstler, Karl V. nennt sich der Imperator.

Ein reizvolles Stückchen venetianischer Erde ist es, wo Tizian einen Kreis um sich versammelt hat. Er freut sich dessen, zumal er noch nicht lange daselbst haust. Bis zum Jahre 1530 bewohnte er die Casa San Samuele dicht am großen Kanale. Dann übersiedelte er in den nordöstlichen Stadttheil, in die „Contrada San Canziano in Biri“. Hier kann der Blick noch frei über die Wasserfläche schweifen bis hinüber nach Murano, ja weit, weit hinweg über das Flachland bei Mestre bis zu den im Aether verschwimmenden Alpen von Cadore, in deren Herzen Tizian geboren worden. Hier giebt es noch Bäume, noch helles Licht, noch freie, nicht von hohen Wänden eingeengte Luft. Hier fühlt der gewaltige Maler sich wohl, und er ist unablässig bemüht, das neue Heim auszuschmücken. Den von den Fluthen bespülten Garten hat er besonders ins Herz geschlossen, hier pflegt er seine Getreuen um sich zu vereinigen, in ernster und scherzhafter Rede sich mit ihnen ergötzend, doppelt froh, wenn nicht nur weise Männer, sondern auch liebliche Frauen seinen Worten lauschen. Zu erzählen weiß er immer viel von Kunst und Leben, von seinem Verkehre mit merkwürdigen Menschen, es ist ein Genuß, ihn zu hören. Und so ist es auch kein gewöhnliches Gastmahl, zu dem er heute seine Freunde geladen; es ist ein echtes Symposion, wie es die Weisen und Künstler des alten Hellas abzuhalten pflegten, indem sie die Freuden der Tafel durch geistige Genüsse zu veredeln wußten.

Heute spricht Tizian immer wieder von seinem hohen Gönner, Kaiser Karl V., der ihm eben Beweise einer schier erdrückenden Gunst gegeben. Zum Pfalzgrafen hat der Monarch ihn ernannt, zum Grafen des Lateranischen Palastes, zum Mitqliede des Staatsrathes. Seine Kinder sollen den Rang von Edelleuten mit vier Ahnen einnehmen. Der Künstler ist außerdem zum Ritter vom goldenen Sporn befördert, und die Kette, die er jetzt trägt, er hat ausdrückliche Erlaubniß, sie anzulegen, ebenso das Schwert, wenn er bei Hofe erscheint. Außerdem geht noch ein ganzer Regen von Privilegien und Beneficien anf ihn nieder, und für die zwei Male, da er den Kaiser gemalt hat (1530 in Bologna, und vor Kurzem in Venedig), erhielt er je tausend Scudi. Ist’s ein Wunder, daß er mit tiefer Dankbarkeit von dem kaiserlichen Herrn spricht? Gar aufmerksame Zuhörerinnen hat er an den Töchtern des Palma Vecchio. Alle drei wenden kein Auge von ihm: eine läßt die Laute sinken, auf der sie gespielt, eine zweite hat ihr Instrument auf den Stuhl gelegt, denn jetzt ertönt ihnen süßere Musik: das Wort des Meisters, der so beredsam sein kann mit dem Pinsel und so malerisch mit der Rede. Reizvolle drei Mädchenköpfe! Selbst der Neger, der eben einige edel geformte Gefäße von der Tafel abräumt, kann sich nicht enthalten, wohlgefällig grinsend auf Palma’s Töchter zu blicken. Zwischen diesen und dem Maler steht Pietro Aretino, die litterarische „Geißel der Fürsten“, der geniale, aber sittlich verderbte Pamphletist. Kaiser und Könige fürchten ihn, er findet die Thüren der Größten und Vornehmsten immer offen, wie sollte er bei Tizian nicht Eintritt erhalten! Er flüstert einer Dame etwas zu: es mag just nichts Bescheidenes und nichts Erbauliches sein, denn Solcherlei ist Pietro’s Art wahrlich nicht. Die Dame aber nimmt ihm nicht übel, was er gesprochen, ja sie reicht ihm eine Blume – vielleicht als Preis dafür, daß er seiner losen Zunge Halt gebiete. Dabei geberden Beide sich ruhig und sehen einander nicht an, denn Tizian spricht, und sie möchten nicht als Störer vor ihm gelten. Wer die Dame ist? Ihren Namen weiß Niemand. Aber zwei große Künstler haben sie gemalt: Palma Vecchio und Tizian, und man nennt sie bei dem Einen wie bei dem Andern „la Bella di Tiziano“, was aber nicht mehr bedeutet, als daß der Meister aus Pieve di Cadore sie für die verkörperte Anmuth erklärt hat. So wie sie hier neben Aretino steht, so hat Tizian sie auf die Leinwand gebannt.

Und nun blicken wir nach links. Gute Gesellschaft: Pietro Bembo, der Dichter und Gelehrte, Jacovo Tatti, genannt Sansovino, der Architekt und Bildhauer, Ludovico Ariosto, der Säuger des „Orlando furioso“. Diese Drei bilden im Augenblicke eine kleine Welt für sich. Sie reden halblaut mit einander, ihr Gespräch dreht sich um ein Sonett Bembo’s, das Dieser ihnen vorgelesen hat. Ein düsterer Schatten liegt anf dem Antlitze des Dichters, der das geistliche Kleid trägt. Entsagung spricht aus seinem Sonett. Er ist müde der Enttäuschungen, die ihm beschieden worden, und ruft nun der eitlen und trügerischen Welt zu:

„Was du versprichst, es trügt und täuscht mich nimmer,
Ich meide dich, du eitle Welt voll Lug!
Daß ich dir je geglaubt, betrübt mich immer –
Ob Leid, ob Lust du giebst, ich hab’s genug.“

Sansovino und Ariosto entzücken sich an seinen Versen. Messer Ludovico meint es gewiß ehrlich mit seiner Freude an dem Rivalen, denn er hat Bembo verewigt als Denjenigen, der durch sein Beispiel gezeigt hat, wie man die „reine und süße“ italienische Sprache emporheben könne über den landläufigen Gebrauch, der sie verunstalte.

Tizian aber läßt sich nicht irre machen. Er berichtet den drei Mädchen von seinen Begegnungen mit Karl V., auch von der ersten in Bologna.

„Dort waren,“ so erzählt Tizian, „der Kaiser und Papst Paul III. zusammengetroffen. Große Dinge wurden berathen, die Stadt befand sich in fieberhafter Aufregung. Ich arbeitete ruhig an einem Gemälde: hoch oben stand ich auf einer Leiter, als Hellebardiere, die Pike in der Hand, eintraten, an den Wänden Spalier bildeten, und ein Page ihnen folgte, mit dem Rufe: ‚Der Kaiser!‘ Schon war der Kaiser da. Ich schickte mich an, herabzusteigen, ließ aber einen Pinsel fallen. Da trat Karl vor, bückte sich, hob diesen auf und sagte: ‚Tizian ist es werth, von einem Kaiser bedient zu werden.‘ Dabei bewahrte er seine fürstlich vornehme Haltung, man sah, daß der Herr der Welt so gehandelt, und ich ließ mich dankbar auf ein Knie vor ihm nieder.“

Noch mehr muß Tizian erzählen: wie der Kaiser sich geberdet und wie er sich bewegt – die Mädchen werden nicht müde, zuzuhören. Aber dann verlangt Tizian von ihnen zum Abschluß des Symposions noch ein süßes Lied. Sie singen es, und die lieblichen Töne zittern hinaus in den märchendurchwobenen Abend. Tizian schlürft die frischen, jungen Stimmen, und nachdem sie geendet, sagt er: „Es giebt doch nichts Besseres, als wenn der Mensch den Menschen erfreut, wenn Jeder das, was er kann, willig darbietet, um dem Anderen eine Stunde zu verschönen. Nicht ohne Wehmuth kann ich daran denken, wie der erhabene Michel Angelo einsam dahinlebt, ohne die Reize einer verfeinerten Geselligkeit zu ahnen.“

Und nun plaudert er auch mit den Uebrigen, und endlich wird eine Gondel herbeigeholt und das Symposion, das auf dem festen Lande begonnen, wird zu Wasser fortgesetzt. Während die Gondel sanft sich schaukelt, wie ein Kind im Mutterarme, ertönt ein vierstimmiger Gesang von Lust und Frohsinn, von Blüthe und Genuß: den Töchtern Palma’s hat „la Bella di Tiziano“ sich singend beigesellt. Ferdinand Groß.     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_451.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)