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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Thür in der Hand – da saß der Amtsrichter am Tische, bestaubt, derangirt von der Brockentour und seelenvergnügt. Aber – wie kam diese Fremde dazu, hier zu schalten?

Das frische brünette Mädchen deckte just den Tisch. Sie hatte über das dunkle Kleidchen eine weiße Schürze gebunden, der Latz schmiegte sich ohne Falten an die volle Brust; sie schob eben mit den runden Armen, die aus den halblangen Aermeln blickten, eine Platte mit kaltem Fleisch auf des Amtsrichters Platz und setzte die Bierflasche neben das Kouvert. Und sie lachte den kleinen wegemüden Freund dabei an, daß alle ihre weißen Zähne durch die Lippen blitzten.

Auch das noch, um die Gemüthlichkeit vollkommen zu machen! Mochte essen wer da wollte! Und nun saß er oben in seinem Zimmer in der Sofa-Ecke; draußen dämmerte die Frühlingsnacht, und eine Mädchenstimme sang um die Wette mit den Nachtigallen dort unten, das mußte die kleine schwarze Adelheid sein; zuletzt scholl es nur noch verhallend aus der Tiefe des Gartens herauf.

Er fuhr erst empor, als der Amtsrichter vor ihm stand.

„Nun möchte ich aber wahrhaftig wissen, Franz – bist Du verhext oder ich? Was ist denn los? Wo ist Madame? Die kleine Schwarze da unten, die wie vom Himmel gefallen scheint, sagte: ,Fort!‘ – Fort? Was heißt das?“

„Fort!“ wiederholte Franz Linden. Es klang so wunderlich, daß der Freund stutzig wurde.

„Es ist etwas passirt. Franz – die Alte, die Schwiegermama hat’s angerichtet. O, diese Weiber!“

„Nein, nein! – Die Sache mit dem Wolff.“

Der Amtsrichter stieß ein gut deutsches Schimpfwort aus, dann setzte er sich neben Linden und schlug ihm auf die Schulter. „Den kriegen wir, Franz,“ tröstete er, „und sie wird wiederkommen, muß wiederkommen, sie wird gar nicht gefragt darum. Aber sie hat das Dümmste gethan, was sie thun konnte, indem sie davonlief.“ Und er begann eine Auseinandersetzung über einen Proceß, der kürzlich in Frankfurt am Main gespielt auf Grund böswilliger Verlassung.

Linden sprang empor. „Bleibe mir mit dem Gesetze vom Leibe!“ sagte er barsch. „Denkst Du, ich werde sie mit Gewalt zurückführen?“

„Und wenn sie nicht von selber kommt, Franz?“

„Sie wird kommen,“ erwiderte er kurz.

„Und der Ehrenmann, dieser Wolff?“

Franz Linden präsentirte dem Freunde eine Cigarre und nahm selbst eine, aber zündete sie nicht an, und indem er sich wieder setzte, sagte er: „Das fragst Du? Habe ich mir schon je etwas gefallen lassen, Richard?“

„Nein, aber worauf stützt sich nun der Mann eigentlich?“

Franz zuckte die Achseln. „Ich sagte Dir schon, daß er erklärte, als ich ihn quasi hinauswarf, er werde sein Recht zu finden wissen. Uebrigens ist der Gentleman krank,“ setzte er hinzu.

„O, das ist fatal!“ bedauerte der Amtsrichter. Er verstummte, denn eben scholl wieder die volle tiefe Mädchenstimme herauf:

„Du hast mir viel gegeben. Du schenktest mir Dein Herz;
Du nahmst mir Alles wieder und ließest nur den Schmerz.“

„Es muß recht schwer sein, Franz!“ flüsterte der Freund nach einer Weile tiefsten Schweigens. „Sehr schwer – ich meine: das Richtige bei den Weibern zu treffen. Wie wirst Du Dich benehmen? Mit Strenge oder mit Milde? Schreibst Du ihr einen groben Brief, oder dichtest Du sie an? Es ist heute so ein Abend, ich könnte selbst Verse machen. Weißt Du, Franz, zünde Licht an und laß uns die Zeitung lesen!“

„Richard,“ sagte der junge Mann laut und stand auf, „wenn Du mir bei der Sache gegen Wolff Deinen guten Rath leihen willst, nehme ich es dankbar an, aber laß meine Frau aus dem Spiele, das ist meine Sache allein!“

(Fortsetzung folgt.)




Burgen in Bozens Umgebung.

Von Ignaz Zingerle.      Mit Illustrationen von Richard Püttner.

Der „gescheibte Thurm“.

Wolfgang Menzel nannte das Etschland von Meran bis Bozen die burgenreichste Gegend, so weit die deutsche Zunge klingt. Und mit vollem Rechte: das von Kastellen und Warten so reich geschmückte Rheinland kann sich mit der Meraner und Bozener Gegend in dieser Beziehung nicht messen, und selbst das schöne Vinschgau steht den Rheingegenden an Schlösserzahl nicht nach.

Die Geschichte erklärt uns das Räthsel dieser Fülle von befestigten Bauten. Schon vor den Römern hatten die Rhätier hier ihre wehrhaften Plätze; als später die Römer den Widerstand der früheren Bewohner gebrochen hatten und Herren des Landes an der Etsch und am Eisack geworden, bauten sie eine Kette von Kastellen und Wartthürmen. Die romanischen und vorrömischen Namen derselben haben sich bis auf unsere Zeit erhalten und geben Zeugniß für das Alter und die Abstammung vieler Burgen. Als endlich Deutsche die Macht der Weltbeherrscher im Gebirge gebrochen hatten, ließen sich Gothen, Langobarden, Bayern und Franken im eroberten Gebiete nieder, saßen in den alten Kastellen oder bauten sich neue Burgen.

Die Wege den Eisack und die Etsch entlang oder über Chur waren die beliebtesten nach Italien und wurden Völkerstraßen. Bozen wurde der berühmteste Handelsplatz zwischen Deutschland und Italien, Meran war seit der Gründung Tirols durch Meinhart II. die Hauptstadt des Landes. Kein Wunder, daß sich alte mächtige oder junge hochstrebende Geschlechter hier im reichgesegneten Etschlande, wo die Traube glüht und die Feige schwillt, mit Vorliebe ansiedelten, alte Burgen erwarben oder neue Schlösser und Edelsitze erbauten!

Meran ist von einem Kranze solcher ehrwürdigen Bauten umgeben, wie das Handel treibende Bozen. Wer kennt deren Namen! – manche Ruine liegt vergessen und verklungen, wie Dornröschens verzauberte Burg, im dichten Gestrüppe oder unzugänglichen Waldesgrunde.

Einst hatte meine Freundin Johnnna von Isser den schönen Plan gefaßt, alle Burgen Tirols zu zeichnen, und über vierhundert Aufnahmen liegen sorgfältig ausgeführt vor. J. von Hormayr, der bekannte Historiker, wollte den Text dazu schreiben. Einige Hefte dieses preiswürdigen Unternehmens erschienen in London – aber bald ward das Fortschreiten der „Ansichten von Tirol“ gehemmt. Sollte der weitgreifende Plan der geistreichen Frau nicht wieder – aufgegriffen werden?

Wir bewegen uns in engerem Kreise und beschauen die bedeutenderen Burgen in Bozens Umgebung. Ich lade meine Leser zu einem kleinen Spaziergange an die Talfer ein.

Durch die enge Fleischgasse wandern wir zur Talferbrücke, von wo aus wir das hochragende Ravenstein, das weltberühmte Runkelstein, die verfallende Haselburg, das uralte, weitgedehnte Sigmundskron, das fernblickende Hocheppan am Fuße der Mendelwand und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_474.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)