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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Eindringling bekämpften, welcher an einem geistlichen Haupte nicht geduldet werden dürfe.

Einen höchst interessanten Beleg hierfür liefert der Proceß wider den Prediger Schulz in Gielsdorf in der Mark, später bekannt unter dem Namen „der Zopf-Schulz“. Er wurde bei dem Konsistorium verklagt unter Anderem auch deßhalb, weil er vor seiner Gemeinde im Zopf predige, anstatt in einer Perücke, oder in sorgfältig gelocktem oder gekräuseltem Haupthaar. In der wider ihn eingeleiteten sehr umfangreichen Untersuchung wurde die Thatsache des Zopfes festgestellt, im Uebrigen aber sein Wandel unsträflich befunden. Das Kammergericht sprach ihn frei. Aber der berüchtigte Minister Wöllner, der ja bekanntlich auch den großen Philosophen Kant mit „unangenehmen Verfügungen“ bedroht hat, veranlaßte König Friedrich Wilhelm II., das Urtheil zu kassiren, die gewissenhaften Richter mit der „allerhöchsten Ungnade“ heimzusuchen und den guten „Zopf-Schulz“ abzusetzen und in die Untersuchungskosten zu verurtheilen.

Noch 1742 wurde in Halle an der Saale der Doktor Franke, der Sohn des hochverdienten und frommen Pastors August Hermann Franke und Nachfolger seines Vaters in der Leitung der berühmten Stiftungen des Waisenhauses etc., mißliebig, weil er statt der Perücke einen Zopf trug, und nur sein hinreichend bekannter gottesfürchtiger Charakter und seine Stellung vermochten ihn vor der Anklage der „Freigeisterei“ zu schützen.

Und dieser Zopf, der 1741 für das Sinnbild der „Freigeisterei“ galt, galt 1841 ebenso unzweifelhaft für das Sinnbild der altfränkischen Abgeschmacktheit und des bornirten Rückschritts – kurz, für das Symbol der „Verzopftheit“. Er war derselbe geblieben, aber die Ansichten der Menschen hatten gewechselt.

Betrachten wir nun noch kurz, wie der Zopf nach und nach gesunken ist und wie er endlich gefallen.

Den ersten Todesstoß erhielt er durch die französische Revolution und dann den zweiten durch Napoleon I. Als der Letztere 1806 in dem Innern Deutschlands erschien, kam er, im Gegensatze zu der bisherigen noch vielfach herrschenden Mode, nicht in kurzen Hosen, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, sondern in langen Beinkleidern (Pantalons) und Stiefeln. Er ging ohne Zopf, ohne Haarbeutel und ohne Puder – einfach im rund und kurz geschorenen eigenen Haare, was man damals „Titus-Kopf“ nannte. Viele Deutsche folgten seinem Beispiele. Aber erst im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts ist in Deutschland der Zopf gänzlich verschwunden. Die großen Perücken sieht man auf dem Kontinente schon lange nicht mehr. Man findet sie nur noch jenseit des Kanals bei den englischen Richtern und dem Sprecher des Unterhauses.

Einer der letzten Zopfträger in Deutschland war Friedrich Nicolai, der als unermüdlicher Vorkämpfer der Aufklärung bekannte Schriftsteller und Buchhändler in Berlin (er hat auch eine ganz hübsche „Geschichte der falschen Haare und Perücken“ geschrieben, 1800), und dessen Schwiegersohn Hofrath Parthey. Der Sohn des Letzteren und Enkel des Ersteren, Gustav Parthey, hat in seinen „Jugend-Erinnerungen“, die leider nicht in den Buchhandel gekommen, uns die „Geschichte des letzten Zopfes“ sehr anschaulich und anmuthig beschrieben.

– „Das gepuderte Haar“, so erzählt Gustav Parthey von seinem Vater, dem Hofrathe Parthey, „trug er aus der Stirn zurückgekämmt und hinten in einen Zopf zusammengebunden. Er erzählte uns manchmal, daß am Ende des 18. Jahrhunderts die eleganten Herren mit ihren Zöpfen einen förmlichen Luxus getrieben. Besondere Gestalten von Zöpfen kamen in die Mode und wurden wieder verlassen. Es gab vornehme und gemeine, falsche und halbgefütterte Zöpfe etc. Lichtenberg in Göttingen verspottete Lavater’s Physiognomik in einem witzigen Aufsatze: ,Fragment von Zöpfen’, das mit vielem Beifalle aufgenommen wurde.[1]

Ein recht starker Zopf galt, wie jetzt ein starker Bart, für ein Zeichen der Männlichkeit. Der Zopf meines Vaters war so stark, daß er meist für falsch gehalten ward. In Kurland begegnete es ihm mehr als einmal, daß man seiner Versicherung über die Echtheit nicht eher Glauben schenkte, als bis er das Zopfband löste und eine gewaltige Fülle blonden Haares herabwallen ließ.

Die französische Revolution hatte die Zöpfe abgeschafft, vorzüglich deßhalb, weil sie beim Guillotiniren hinderlich waren. Da nun in jener Zeit fast jeder Franzose in dieser Gefahr schwebte, so schnitt man die Zöpfe lieber vorher ab.

In Deutschland hielten sich die Zöpfe länger. Daß noch im Jahre 1800 Jean Paul den Helden seines ,Titan‘ mit einem falschen Zopfe ausstattete, kommt uns jetzt komisch vor, war es aber damals nicht. Während des französischen Krieges (1806–1807) wurden die meisten Civil-Zöpfe in Berlin abgeschnitten, vielleicht mit aus ökonomischen Gründen, um eine Ersparniß an Puder, Pomade, Zopsband, Haarbeutel und Zeit eintreten zu lassen.

Dem Frisirtwerden meines Vaters habe ich oft, auf dem Fußbänkchen am Fenster sitzend, mit Aufmerksamkeit zugesehen; es dauerte sehr lange. Zuerst trat der Bediente Wilhelm, das Frisirzeug unter dem Arme, ins Zimmer, breitete eine weiße, leinene Decke von wenigstens sechs Fuß im Quadrat auf dem Teppich aus, setzte einen Stuhl darauf und sagte: ,Herr Hofrath, wenn’s gefällig wäre‘. Mein Vater stand vom Schreibtisch auf, fuhr in den aufgehaltenen Pudermantel, nahm die Zeitung zur Hand und setzte sich. Der Zopf des vorigen Tages wurde gelöst und das volle Haar vielfach durchgekämmt. Dann nahm Wilhelm aus einer weißen Porzellanbüchse eine ansehnliche Menge wohlriechender Pomade und salbte den ganzen Kopf. Bei dieser Operation erregten seine fettglänzenden schnalzenden Hände mir immer einen innerlichen Abscheu. Hierauf drehte er mittelst eines hölzernen Cylinders, dessen technischer Name mir entfallen, über jedem Ohre eine lange horizontale Locke, Taubenflügel oder ,Aile de Pigeon‘ genannt, deren Hältniß durch besonders hinzugefügte Pomade gefestigt ward.

Nun folgte das Pudern. Wilhelm öffnete eine große blecherne Büchse voll des feinsten Weizenmehles, tauchte den aus den zartesten Federn bestehenden Puderquast hinein und verbreitete durch Auftupfen um den ganzen Kopf eine dichte weiße Staubwolke, die nicht nur an dem gefetteten Haare hängen blieb, sondern auch in weitem Kreise sich niedersenkte und von dem Zeitungsblatte durch wiederholtes Abklopfen entfernt werden mußte. Dieser trockne Qualm war mir nicht weniger zuwider als die vorher angewendete Schmiere, und ich suchte den Athem so lange anzuhalten, bis der ärgste Dunst sich verzogen.

Darauf wurde der Zopf dicht am Nacken mit einem weißen Bande, dessen eines Ende Wilhelm zwischen den Zähnen hielt, zusammengebunden, dann mit einem feinen schwarzseidenen Bande sorgfältig umwickelt.

Ein elegantes Zopfband gehörte zu den kleinen Luxusgegenständen; es war für junge Männer, wenn es als Geschenk von lieber Hand kam, ein süßes Angedenken. In Blumauer’s travestirter Aeneide erhenkt sich Dido an dem Zopfbande des geliebten Aeneas. Zu Guterletzt reichte Wilhelm meinem Vater das Pudermesser; er trat vor den Spiegel und entfernte vorsichtig mit der stumpfen Klinge den Puder von der Stirn bis an die Haarwurzeln hinauf.

Das so vollendete künstliche Gebäude war eigentlich nur auf einen Chapeaubas berechnet, den man gar nicht aufsetzte, sondern unter dem linken Arme trug. Damals wurden aber allgemein dreieckige und runde Hüte getragen, die bei jedem Aufsetzen und Abnehmen den Bau zerstörten und sehr bald von Fett starrten. Ging daher mein Vater in eine Abendgesellschaft, so wurde entweder der Puder erneuert, oder das ganze langweilige Geschäft des Frisirens bei Lichte wiederholt.

Vor dem Schlafengehn verwahrte Wilhelm die Seitenlocken in Papillotten, vertauschte das feine Zopfband mit einem weniger guten und schob den Zopf mit geschickter Wendung unter die bereitgehaltene weiße baumwollene Zipfelmütze.

Als nun während des Krieges von 1806 die Zöpfe in Berlin immer mehr in Abnahme kamen, da sprach mein Vater auch davon, den seinigen abzuschneiden. Wir waren anfangs alle dagegen: denn des Vaters Zopf gehörte mit zu seiner Person, und wer möchte an einem geliebten Wesen irgend etwas entbehren? Doch bald änderte sich die Stimmung, denn in der Schule, wo bereits die unbezopften Lehrer in der Mehrzahl waren, wurden die wenigen bezopften mit allerlei Ekelnamen belegt; da figurirte der Schreibelehrer als Selleriewurzel, der Singlehrer als Regenwurm etc.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_491.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2022)
  1. Dies ist ein Irrthum. Allerdings hat der witzige Göttinger Lichtenberg die Physiognomik Lavater’s verspottet, aber nicht mit „Zöpfen“, sondern mit „Schwänzen“, namentlich von Schweinen, aus welchen er schließt, wie die Mettwurst wird, die man aus dem Fleisch jedes dieser Thiere bereitet. Siehe Lichtenberg’s „Vermischte Schriften“ (Göttingen 1844), Band III, S. 79; Band IV, S. 111 u. ff.