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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

eine Antwort bekam sie ja nur in den seltensten Fällen auf ihr Geplauder. So aß man schweigend und trennte sich so rasch wie thunlich, nachdem „gesegnete Mahlzeit!“ gesprochen war.

Aber Franz hatte doch wenigstens noch Arbeit, er konnte nicht immer denken und grübeln und auf die festgeschlossene Thür blicken, die in Trudchens Stube führte; das kam Abends erst im stillen Zimmer, wenn unten die Stimme der kleinen schwarzen Adelheid allerlei schwermüthige Lieder sang, von Liebe und Sehnsucht. Und wenn es um Mitternacht ganz still wurde, wenn Alles schlief in Haus und Hof und nur noch ein verlorner Hundeblaff vom Dorfe herüberschallte, da wanderte er im Zimmer auf und ab, bis die Lampe trübe wurde und erlosch, und selbst dann noch.

Er wartete nicht mehr auf ihr Kommen; Tage, Wochen lang hatte er es gethan. Anfangs war er in verzehrender Sehnsucht bis an die Mauern ihres Gartens geschritten; er wollte da sein, wenn sie hinaustrat aus der Pforte, beim ersten Schritt schon wollte er ihr entgegentreten. Es war umsonst, sie kam nicht.

Einmal hatte ihn das Gesinde mit seltsam rothen Augen gesehen. „Der Herr weint nach der Frau,“ war scheu die Rede gegangen in der Küche.

„Warum holt er sie sich nicht?“ meinte der Kutscher, „ich würde keine Thräne vergießen, wüßte schon, wie ich solch’ hübschen Trotzkopf kriegen thät!“ Und er machte eine nicht mißzuverstehende Gebärde. „Grobian!“ erklärte das Hausmädcheu wegwerfend, und das ganze weibliche Personal wandte ihm den Rücken.

Ach, und es war ein Erntejahr, wie seit langer Zeit nicht; die Scheuern faßten kaum den Gottessegen. Von den Wiesen kam der Duft des Heues herüber und vermischte sich mit den tausend Centifolien im Garten; auf dem Hofe blühte die große Linde, und eine Legion kleiner goldgelber Kücken ließ sich von der Frau Mutter spazieren führen. Droben im Storchneste auf der Scheune wuchsen die Jungen heran; wie eingesponnen lag das alte traute Haus im üppigen Grün, und die Waldreben krochen hinauf zu den Fenstern und sahen in leere Zimmer, und die Schwalben, die unter dem Dache bauten, erzählten in Stadt und Land umher: „Sie ist fort von ihm! Sie ist fort von ihm!“

Ja, man wußte sie überall, die traurige Mär. Trudchen Baumhagen hat sich von ihrem Mann getrennt. In den Kaffeegesellschaften erzählte es flüsternd Eine der Andern, auf der Kegelbahn und am Stammtisch sprach man davon, und an der Table d’hôte im „Deutschen Hause“ war es die stehende Unterhaltung. Genau wußte man ja nicht, weßhalb? Tausend Vermuthungen der wunderbarsten Art wurden laut:

„Er habe etwas gar zu willkürlich über die Mitgift der Frau verfügt –.“

„Sie sei davon gegangen, weil er in bodenloser Heftigkeit die Hand gegen sie erhoben –.“

„Die Schwiegermutter habe etwas dazwischen gebracht –.“

„Gott behüte! Sie ist eifersüchtig – da soll eine kleine schwarze Kousine im Hause sein –.“

„Nicht doch! die junge Frau ist dahinter gekommen, daß er beim Freien um sie eine ‚Vermittelung‘ zu Hilfe nahm. Auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege.“

„Ah, bah! darum läuft ein Weib nicht davon!“

„Alle Wetter, da kennen Sie Trudchen Baumhagen schlecht. Thatsache ist’s, sie ist fort von ihm.“

Ja, Thatsache war es! Und Trudchen saß in ihrem einsamen Hause, in ihrem wunderlich stillen düsteren Zimmer wie eine lebendig Begrabene. Sie las auch nicht mehr, es war, als ob sie mit wachenden Augen schliefe. Zuweilen brachte Johanne ihr Kind, und die Augen der jungen Frau folgten mechanisch dem kleinen Würmchen, wenn es ungeschickt durch die Stube rutschte oder sich am Stuhlbein aufzurichten versuchte, aber anrühren that sie es nicht, selbst wenn es hinfiel und schrie. – Gegen Abend aber kam immer dieselbe unerklärliche Unruhe über sie; dann ging sie im Garten umher in stürmischem Schritt, lange Zeit, bis sie endlich auf dem Luginsland ankam; und dort blieb sie stundenlang und sah den Thurmberg an, bis der Thau ihr Haar und Gewand feuchtete.

„Paß auf, ich werde krank,“ sagte sie zu Johanne, „hier oben.“ Und sie wies nach dem Kopfe.

„Ich glaub’s,“ nickte diese; „man kann sich wissentlich soweit bringen.“ – –

Es war ein Tag zu Ende Juli, furchtbare Schwüle brütete über der Welt, und die junge Frau litt entsetzlich darunter, selbst in ihrem kühlen Zimmer. Regungslos lag sie nach Tische im Sessel am Fenster, ein heftiger einseitiger Kopfschmerz quälte sie, wie so oft jetzt.

Johanne setzte ihr die Tasse mit starkem schwarzen Kaffee auf das Tischchen und legte das Buch hin, in dem schon seit drei Tagen die nämliche Seite aufgeschlagen war. „Hier ist auch ein Brief,“ fügte sie hinzu.

Trudchen hatte förmlich Scheu bekommen vor Briefen. Sie überwand sich aber doch, es waren Jenny’s kritzlige Schriftzüge, und Jenny schrieb nur leichtes oberflächliches Zeug, ein Blick in den Brief genügte da schon. Zwei Blätter fielen ihr entgegen.

„Wir haben schon lange nichts von Dir gehört,“ las sie, „daß es uns angst ist um Dich; bist Du noch immer in ,Waldruhe‘? Gestern lernte ich den Rechtsanwalt K. auf der Reunion kennen, denselben, der in dem bekannten Ehescheidungsproceß des Herzogs von P. mit der Gräfin Y. Vertreter der Letzteren war. Ich redete ihn scherzhaft darauf an, ob man sich von seinem Gebieter trennen könne, wenn man erfährt, daß dieser bei der Werbung mehr unser irdisches Gut als unsere Person im Auge hatte, deutete ziemlich genau die Situation an und sprach von einer Freundin, die in dieser Lage sei. Er erwiderte: ‚Sagen Sie Ihrer Freundin, sie soll ganz still wieder zu ihrem Gatten schleichen, denn sie zieht jedenfalls den kürzeren!‘ Er drückte sich noch unartiger aus, er ist ja bekannt als Grobian.

Na, da hast Du das Urtheil einer Autorität. Mache der Sache ein Ende, denn längeres Zögern könnte Dich so bitter gereuen, wie Du es in Deinem gegenwärtigen hoheitsvollen Zorn Dir gar nicht auszumalen vermagst. Wenn mich nicht Alles täuscht, liebst Du ihn ja wirklich? Nun, es giebt Dinge – aber es ist schwer, darüber zu schreiben. Lies den beigefügten Brief, den Mama mir vor ein paar Tagen sandte. Vielleicht ahnst Du, was ich sagen will.

Ich wünschte, Du wärst mit in Paris gewesen, oder jetzt hier in Baden-Baden, Du würdest einsehen, daß wir deutschen Frauen mit unserer dickfelligen Tugendhaftigkeit, unserm spinnewebzarten himmelblauen Idealismus uns das Leben recht unnütz schwer machen. Ich bin überzeugt, eine Französin hielte sich die Seiten vor Lachen, erführe sie die Ursache Deines ehelichen Konfliktes.

Arthur ist sehr liebenswürdig und parirt aufs Wort. Zur gestrigen Reunion erfreute er mich mit einer Pariser Toilette; sobald er herauskommt aus unserm Nest, ist er wie verwandelt. Adieu, nimm die Sache nicht zu tragisch.
 Deine Schwester.“

Langsam nahm die junge Frau den zweiten Brief; es waren die spitzigen Schriftzüge der Tante Stadträthin, und an Frau Baumhagen gerichtet.

„Liebste Ottilie! Hier ist Alles beim Alten. Ich war gestern in Deinem Hause; Sophie ist auf dem Platz, hat erst wieder große Mottenjagd gehalten. Dein Papagei hat ein schlimmes Auge, geht aber wieder ganz gut. Von Trudchen hörte ich nichts, man wird ja nicht vorgelassen bei ihr, Du wirst wohl Nachricht haben. Ueber Niendorf schwirren allerlei Gerüchte in der Luft. Gestern Abend kam mein Alter aus dem Kegelklub, – es soll ja eine Kousine da draußen sein, die die Wirthschaft führt, Stadtrath Hanke will sie gesehen haben in der Linden’schen Equipage – sehr brünett, sehr apart und unendlich aufgeputzt. Na, Du weißt, die Leute sagen immer gleich viel, aber ich will damit nicht Oel ins Feuer gießen. Einmal sah ich auch Linden, ich erkannte ihn erst, nachdem er beinahe vorüber war, er kam von der Bank. Der Mann hat ja schon graues Haar an den Schläfen; er erschien mir überhaupt als ein ganz Anderer, so – wie soll ich sagen – verkommen.“

Trudchen ließ den Brief sinken, dann sprang sie empor, es ruckte und schüttelte sie in allen Gliedern.

Mit furchtbarer Gewalt zwang sie sich, ruhig zu sein und vernünftig zu denken. Was wollte sie denn auch? Sie hatte sich getrennt von ihm in alle Ewigkeit. Aber das Herz! das Herz krampfte sich zusammen, es that so weh auf einmal und klopfte so laut in der todtenhaften Stille, die sie umgab, daß sie glaubte es zu hören. „Johanne!“ schrie sie auf, aber Niemand antwortete;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_502.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2021)