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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

nunmehr vordemonstriren zu können: ‚Siehst Du, Kind, wie gut Du es bei mir immer hättest haben können, wenn Du nicht seiner Zeit ebenfalls auf den schönen Bart und sonstige Renommage auf dem Schützenhof hereingefallen wärest!‘ Aus purem blanken Hochmuth hab’ ich der Gemeinde die Last mit dem armen Geschöpf und ihren Krabben abgenommen und für ein nothdürftig Unterkommen und Abfütterung schlecht genug gesorgt.“

„Das haben Sie nicht gethan, Spörenwagen! Mein Bruder und ich sind damals noch nicht hier im Dorfe eingezogen gewesen; aber ich weiß doch Alles, und Sie dürfen nicht so zu mir sprechen.“

„Na, Fräulein, dann wird es ja auch wohl in diesem Falle der Hobel, der große Kommunehobel gewesen sein, den ich mir aus der Fremde mitgebracht habe. Der Herr hier wird wohl ein besseres Wort für das haben, was ich meine. Der Hobel hat mir auch über den Dank des Räkels fortgeholfen, als er mir nachher die Faust unter die Nase hielt und mich anschnauzte: ‚Was hast Du Dich wieder eingemischt, wo Dich Keiner gerufen hat, Du feiner Kopf? Und dem Weibe werde ich das Spiel auch schon eintränken, was sie hier in der Freiheit mit Dir getrieben hat, während sie mich da unten hinter Schloß und Riegel hatten! Der Satan danke Dir Deine Gutherzigkeit; – mein einziger Trost da unten im Institut ist gewesen, daß ich den ganzen Bau eingegangen wiederfinden würde; – da wäre uns Allen in der richtigen Weise geholfen gewesen?‘“

„O Freund, guter Freund, so habe ich Sie noch niemals hiervon erzählen hören!“ rief Phöbe, zitternd, die gefalteten Hände erhebend.

„Und herzlich leid thut mir das auch, mein liebes, liebstes Fräulein,“ sagte jetzt der Meister Tischler leise und mit völlig verändertem Ton. „Sie haben Recht, ich bin eben toller in meiner Weltweisheit gewesen, als der Volkmar in seiner angeborenen Wüstheit. So sollte vor Ihnen Niemand reden; und es ist auch wohl nur die nächtliche Arbeit gewesen – diese schlimme Arbeit hier für die Anna, die mir Sinn und Gedanken und Rednerei so in Verwirrung gebracht hat. Der Herr Professor wird’s auch wohl wissen; man mag mit dem großen Hobel noch so gut umzugehen gelernt haben in der Welt, man trifft immer noch einen Knorren vor sich, und zumal in einem solchen Sargbrett, über welchem Einem der Schweiß ausbricht und das Handwerkszeug Einem die Faust blutrünstig drückt. Wie hätte ich mir gestern Abend gegen die Nachricht aus der Fieberköthe auf der Vierlingswiese anders helfen können, als daß ich mich mit meiner besten Kunst an dieses letzte Liebeswerk für die Fee begab?!“

Veit von Bielow mit dem Gefühl, sich gegenwärtig in der besten Gesellschaft der Erde zu befinden, reichte dem armen Dorftischler die Hand über seine Hobelbank:

„Führen Sie Ihren Hobel weiter – hier weiter, wie Sie das draußen unter uns gelernt haben, Meister. Sie sind ein vornehmer Mann geworden auf Ihrer Wanderschaft, Meister Spörenwagen!“

„Das sagen Sie wohl nur so, lieber Herr. Bitten Sie lieber gleichfalls dieses liebe Fräulein für mich um Verzeihung für mein Aufbegehren eben. Aber einen Gefallen könnten Sie mir wohl thun.“

„Jeden, so weit es in meiner Macht steht.“

„Nämlich, ich bin natürlicher Weise auch die letzten Tage durch in meinen Gedanken um die Hütte auf der Vierlingswiese gegangen, habe auch sonst meine Nachrichten von dort und weiß, wie die Sachen dort stehen. Den Fuchs kenne ich leider nur zu gut und weiß, daß ihm das nicht leicht auszutreiben ist, was er sich in seinen wilden Sinn gesetzt hat. Nun möchte ich gern – auch von wegen meiner schweren Arbeit hier für ihn – das Mittel kennen lernen, was Sie heute Morgen angewendet haben, um ihm in seiner Verwirrung den letzten Ruheplatz für sein Weib unter seiner Feindschaft annehmbar zu machen.“

Phöbe sah einen Augenblick auf ihren Begleiter; dann antwortete sie für ihn:

„Meines Bruders Freund hat dem Räkel angeboten, zur Rechten und Linken von seiner Frau zwei Ruhestellen in Gottes Frieden, wenn nicht für ihn selber und seine Kinder, so für uns vorzubehalten.“

Da legte Spörenwagen seinen Hobel auf das Brett vor ihm nieder und strich mit der flachen Hand über den letzten Astknorren in seinem edlen Werke.

„Herrschaften,“ murmelte er, „und ich dachte mir was Großes dabei, daß ich ihm heute Abend in der Dunkelheit mein Machwerk vor die Thür karren und ihn mit Gelassenheit bitten wollte, mir zuzulassen, ihm sein Weib mit darein zu betten. Lieber Herr, Sie sind noch weiter in der Welt herumgewesen als der arme Tischlergeselle. Sie haben es doch noch besser gelernt, mit der Konfusion und Rath- und Hilflosigkeit von Unsereinem umzugehen, als Unsereiner!“


12.

Meister Spörenwagen ging wieder zu seiner Arbeit, nachdem er den Beiden von seiner Hausthür aus nachgesehen hatte, bis das Gestrüpp und Gestein sie seinen Blicken entzog. Er hatte muntere, klare blaugraue Augen; aber dieselben blickten jetzt sehr ernst unter den zusammengezogenen buschigen Brauen hervor, als er nun murmelte:

„Ueber das liebe Fräulein, mein Fräulein Phöbe, verliere ich weiter kein Wort hierbei; aber – der Herr, – ein nobler Herr – der gelehrte Mann, der vornehme Mann, weiß er es für alle Zeit ganz genau, was er da auf sich genommen hat heute Morgen?“

Kopfschüttelnd ging er zu seiner Arbeit – seinem Antheil an der christlichen Wohlthat, dem gesellschaftlichen Liebeswerk für den Räkel und seine Frau, zurück; Veit und Phöbe aber erreichten die Pfarre wieder und fanden den Freund und Bruder, den Pastor Prudens, immer noch in verdrießlich-sorgenvoller Rathlosigkeit in seiner Stube auf und abschreitend.

„Ihr seid lange ausgeblieben! Nun, was habt Ihr erreicht?“

Sie sagten ihm in den einfachsten Worten, wie sie ihr schweres Werk ausgerichtet hatten, und auf welche Art der wilde Mann von der Vierlingswiese überredet worden war, die Leiche seines Weibes nicht zu einer Waffe in seinem Kampfe mit der Gesellschaft zu machen.

Betroffen, staunend, erschrocken sah der Pfarrer von dem Freunde auf die Schwester. Zum ersten Mal in seinem Leben überkam ihn wohl die volle Deutlichkeit davon, welch’ ein Lebensweg dazu gehört haben mußte, dieses junge, kindliche Mädchen so ruhig todessicher zu machen. Er hatte auch wohl noch nie in seinem Leben ihren Namen so weich und zärtlich betont, als da er jetzt rief:

„Phöbe! Phöbe, welch’ eine seltsame Auskunft! Und Du, Veit? Der Mann von den Pfaden der Welt, der hier nur vorübergeht und wohl nie wieder den Fuß an diesen Ort setzen wird! … Laßt mich das doch erst überlegen – zurechtlegen! Hat das Euch der Herr auf die Zunge gelegt und in die Seele gegeben, so wird es gewiß so recht sein, aber –“

„Meine Seele ist jetzt ganz ruhig, lieber Bruder,“ sagte Phöbe lächelnd. „Und Spörenwagen will den Sarg so schön als möglich machen und kein Geld dafür annehmen, weder von der Gemeinde, noch von – Deinem – unserem Freunde.“

„Der Meister Spörenwagen? des Mannes bitterster Feind?“

„Ein Gentleman-Socialist, ein weiser und ein guter Mensch in der Wüste, Prudens!“ rief Veit. „Wir fanden ihn schon an der Arbeit; und er hat über seinem Hobel mir eine Vorlesung über Gesellschaftslehre gehalten, wie sie mir nie von einem Katheder und nur höchst selten vielleicht auf der Landstraße, an einer Straßenecke, auf dem Schiff oder bei sonstigen Zufallsgelegenheiten vorgetragen wurde. Dieser Meister Tischler hat mir ungemein gefallen, und ich bin gern mit meiner Bereitwilligkeit gegen sein früheres und besseres Anrecht zu diesem melancholischen Liebeswerk zurückgetreten. Es ist mir eine Ehre gewesen, diesem Mann die Vorhand zu lassen, und ich danke Deiner lieben Schwester herzlich dafür, daß sie mir das Vergnügen seiner Bekanntschaft vermittelt hat.“

„So geschehe Dieses nach Eurem und Gottes Willen, ich werde mit dem Kantor und dem Todtengräber reden,“ rief der Pastor unruhvoll. „Du mein Freund hast Dir für Deine ferneren Schritte durch dieses Leben einen seltsam stillen Ruhepunkt in diesem Bergdorf zum Eigenthum gemacht. Möge Dir Dein Erwerb zum Segen gereichen und das Gedenken an ihn nie zu einer Last werden!“

„Amen!“ rief der Gastfreund heiter. –

(Fortsetzung folgt.)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_511.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)