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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Cylinder,“ antwortete er. Seine Aufregung schien sich etwas zu legen. Als mein Freund das gewahrte, sagte er: „Wenn Sie den Hut konfisciren, dann lassen Sie mir doch das Band und die Schnalle, sie sind ein Andenken.“ Da gerieth der Polizeidiener von Neuem in Zorn. „Ja gerade die Schnalle! Das ist es, das ist das geheime Abzeichen!“; und er warf den Hut sammt Schnalle auf die Erde und trampelte darauf herum, wie wüthend. Ich sah, daß da nichts zu machen war, nahm meinen Freund am Arm und führte ihn in den nächsten Hutladen. Da kauften wir für ihn einen Cylinder. Mit dem ersten Zug fuhren wir weiter. Wir verzichteten darauf, unsere akademischen Erinnerungen aufzufrischen.

Während in Heidelberg mein Freund E. das Opfer seines Schlapphuts wurde, wäre ich sechs Jahre später in Pest beinahe das Opfer meines Cylinders geworden. Damals regierte in Wien Alexander Bach als allmächtiger Minister des Innern, und der Cylinder galt (was ich freilich nicht wußte) in Ungarn für das Symbol antinationaler, centralistischer, Bach’scher, oder wie man damals sagte „schwarzgelber“ Gesinnung. Die nationalgesinnten Männer trugen statt dessen das niedrige runde ungarische Hütchen.

Als ich nun meinen ersten Rundgang durch das schöne Pest antrat, hörte ich hinter mir allerlei Töne, sowohl in magyarischer als auch in deutscher Zunge, welche mit Flüchen und Verwünschungen eine gewisse Aehnlichkeit hatten; und als mir ein dortiger Freund auf Befragen erklärte, das gelte nicht mir, sondern meinem Cylinder, da vertauschte ich die Angströhre mit einem Schlapphut, wie sechs Jahr früher mein Freund den Schlapphut mit dem Cylinder vertauschen mußte.

Zwanzig Jahr später, im Sommer 1876, war ich wieder in Budapest als Mitglied des internationalen Kongresses für Statistik. Der Erzherzog Joseph gab uns ein Fest auf der ihm gehörenden Margarethen-Insel. Der ungarische Minister Bela Wenkheim lud uns auf die Ofener Burg ein. Natürlich sah man da Cylinder aller Nationen. Sie wurden nicht mehr beanstandet. Denn der freie Ungar hatte zwischenzeitig Frieden geschlossen mit seinem „König“ und suchte deßhalb das Bach’sche Regiment thunlichst zu vergessen. Was kümmerte ihn da noch der Cylinder? War es ja doch nicht mehr der Bach’sche Cylinder, sondern der europäische Cylinder — der Cylinder aller Welt und aller Nationen!

Und um dieselbe Zeit, wo der Cylinder seinen reaktionären Geruch verlor, verlor auch der Schlapphut seinen revolutionären. Niemand fühlt sich mehr demokratisch, wenn er einen Schlapphut, Niemand mehr legitimistisch, wenn er einen Cylinder trug.

Selbst der deutsche Reichskanzler, welcher im Dienst die gelbumstreifte Mütze oder den blinkenden Helm trägt, führt während seines Bade- und Landaufenthalts einen mächtigen, breitrandigen schwarzen Schlapphut.

Man sieht also, die vormals so feindlichen Brüder Cylinder und Schlapphut sind ausgesöhnt miteinander, und sie würden sich gerührt in die Arme sinken, wenn sie welche hätten.

Zum Schluß aber muß ich wieder auf eine ungarische Geschichte zurückkommen:

Auf einem ungarischen Jahrmarkt hatte ein Zigeuner eine goldgestickte rothe Mütze gestohlen. Erst als er sie in seiner halb unterirdischen Lehmhütte in Sicherheit gebracht hatte, kam ihm ein Bedenken: er hatte die Mütze zum Zwecke der Befriedigung seiner Eitelkeit gestohlen, aber nun fiel ihm der Gedanke schwer aufs Herz, er könne doch, ohne sich der Gefahr der sofortigen Entdeckung und Züchtigung auszusetzen, die Mütze nicht öffentlich tragen und somit den Zweck, der ihn zum Diebstahl verleitet hatte, nicht erreichen. Aber schlau, wie er ist, fand er einen Ausweg. In der Nacht verließ er das eheliche Lager, setzte die kostbare Mütze auf sein blauschwarzes Haar und stolzirte so auf und ab in dem engbemessenen Raum seiner Hütte. Seine Ehehälfte erwachte darüber und fragte:

„Jaschku, hast Du den Verstand verloren, was marschirst Du da zur Nachtzeit herum in der dunkelen Hütte?“

„Weib dummes“, erwiderte der beleidigte Jaschku, „weißt Du denn nicht, daß man nicht tragen kann bei Tag helles draußen in Welt weites Mütze gestohlenes rothes?“

Diese Anekdote beweist uns, daß Professor von Ihering Recht hat, wenn er in dem zweiten Bande seines geist- und umfangreichen Buches „Der Zweck im Recht“ behauptet:

„Das Kleid ist nicht bloß äußerlich Stimmungsträger, sondern auch innerlich Stimmungswecker.“

Die gestohlene goldgestickte Mütze konnte der Zigeuner nicht dazu verwenden, seine Stimmung nach außen zu tragen und zu bekunden — wohl aber dazu, sich selbst in eine gehobene Stimmung zu versetzen, wenn auch nur im engen unnd dunkelen Raume. So ist es jetzt noch.

Ich hoffe aber, in Zukunft wird es anders sein. Das Kleid wird die Stimmung nicht mehr machen. Das Geschick von Schlapphut und Cylinder läßt uns dies hoffen; und dann wird auch Jaschku keine rothe Mütze mehr stehlen.


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Fischtreppen und Fischpässe. Nicht allein Menschen und Völker beherrscht der Wandertrieb. Auch für zahllose Thierarten bildet er ein eisernes Naturgesetz, vor dem sie sich beugen müssen. Hoch in den Lüften ziehen alljährlich Vögelschaaren neuen Brut- oder Nahrungsquartieren entgegen, und in den Tiefen der Meere und in den Betten der Flüsse und Ströme spiegelt sich jenes geheimnißvolle Bild der Massenwanderung wieder.

In langen Zügen verlassen einzelne Fischarten die unermeßliche See, um auf den Wasserstraßen des Festlandes bis an die Quellen der Flüsse zu gelangen. Von der Nordsee bis in die klaren Gebirgsbäche der Alpen in einer Höhe von 2- bis 3000 Fuß über dem Meeresspiegel kann man jenes rastlose Wandern, Schwimmen und Springen verfolgen.

Und es ist wohl von größerer Bedeutung, die dunklen Fischwege genau zu kennen, als die interessanten Zugstraßen der Vögel zu bestimmen, denn viele von den wohlschmeckenden Fischen, deren Fang eine wichtige Quelle des Erwerbes bildet, gehören zu jenen kühnen Wanderern.

Der wohlschmeckendste unter ihnen ist unstreitig die Forelle; an wirthschaftlicher Bedeutung wird sie jedoch von dem majestätischen, rosafarbigen Lachs übertroffen, welcher besonders im westlichen Nordamerika und in Norwegen zu den Volksnahrungsmitteln gehört und dessen Lebensgewohnheiten auch am besten bekannt sind. Zu diesen von den Feinschmeckern hochgeschätzten Wasserbewohnern gesellt sich unter Anderem der gleichfalls wandernde, geheimnißvolle Aal, dessen Fortpflanzungsweise noch immer so gut wie unbekannt ist.

Weßhalb wandern nun diese Fische? Was bewegt sie zu der beschwerlichen Reise? Woher kommt es, daß sie das gesteckte Wanderziel mit einer Hartnäckigkeit sonder Gleichen verfolgen? Nun, bei dem Lachse, der Forelle und den meisten Touristen unter dem Fischvolke ist es lediglich der Fortpflanzungstrieb, die Sorge für die überzahlreiche Nachkommenschaft, welche sie zur Wanderung antreiben. Diese Fische bedürfen nämlich zum Laichen die klaren, schnellfließenden Kiesbäche des Hügel- und Gebirgslandes. Sind sie endlich dem Quellgebiete nahe, so legen sie den Laich zwischen die groben Kieskörner, worauf sie die Rückreise antreten, bald gefolgt von der aus dem Ei geschlüpften jungen Brut, und im Meere bis auf Weiteres verschwinden.

Umgekehrt verfahren die Aale. Sie wandern aus den Flußgebieten in das Meer, um dort zu laichen, und zwar sind es fast nur Weibchen, während die Männchen anscheinend die salzige Fluth niemals verlassen. Auch reisen die Aale nur einmal, weil sie nach Abgang des Laichs, ebenso wie die Neunaugen, zu sterben pflegen. Nachdem die Jungen eine Länge von fünf bis fünfzehn Centimeter erreicht haben, wandern sie in dicht gedrängten, manchmal Tausende von Metern langen Zügen, die in Frankreich moutée genannt werden, den Flüssen zu. Bei Tage bleiben sie meistens im Kies und Schlamm versteckt und setzen ihre Wanderung fort, wenn die Schatten der Nacht ihre wehrlose Schaar den gierigen Augen ihrer Feinde entziehen. In alle Nebenflüsse und in deren Seitenläufe bis in die entferntesten Bäche und stehenden Gewässer verästelt sich der große Schwarm. Die Rückreise treten die Aale erst an, wenn sie sich gehörig gemästet haben, weßhalb die Gesetze den Fang der aufsteigenden Aale in der Regel verbieten. Früher bildete der Fang junger Aale ein lukratives Geschäft, und Redi berichtet, daß im Jahre 1667 im Arno bei Pisa an einer einzigen Stelle innerhalb fünf Stunden drei Millionen Pfund solcher Aale von drei bis zwölf Centimeter Länge gefischt wurden. Nach Karl Vogt wurden in Frankreich noch in jüngster Zeit die kleinen Fische mit Sieben und Schöpfern gefangen und meist mit Eiern zu Pfannkuchen gebacken.

Wir sprachen oben von der Hartnäckigkeit, mit welcher die Wanderfische ihr Ziel verfolgen. In einer auf Veranlassung des Deutschen Fischerei-Vereins von H. Keller herausgegebenen kleinen Schrift „Die Anlage der Fischwege“ (Berlin, Verlag von Ernst und Korn), welcher wir die Abbildungen zu diesem Aufsatze entnehmen, werden einige merkwürdige Beispiele von der Ausdauer der Fische aufgeführt.

Der Lachs überwindet die Stromschnellen des Topdallsflusses in Norwegen, deren Gefälle 16 Meter beträgt; er nimmt den fünf Meter hohen Karratunkfall in Nordamerika springend und schwimmend; ebenso bekanntlich die sehr reißenden Stromschnellen des Rheins bei Laufenburg.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_523.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)