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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ja ja,“ fuhr der fort, wie ein Mann, der wohl weiß, wie er eine bedenkliche Botschaft zu hinterbringen hat, „das wären ungefähr so die Augen, die er stellenweise in seinen Phantasien um sich zu sehen glaubt und von denen er uns seltsame Geschichten erzählt. Der Haken sitzt ziemlich tief im Fleisch und hat in gewohnter Weise den Intellekt mitgefaßt. Wir können und sollen eben nicht Alle verlangen, daß Madame Ansteckung und Monsieur Thanatos, auf Deutsch Freund Hain, jedesmal Spaß verstehen oder – den Ernst gelten lassen, wie – bei Unsereinem, Fräulein Phöbe.“

Nun blickte auch der Pfarrer betroffener auf.

„Von wem reden Sie da eigentlich, Doktor?“ rief er. „Bitte, nehmen Sie uns, meine Schwester und mich, für das was wir sind – Leute, die nicht leicht Räthsel rathen.“

„Von wem ich eigentlich rede? Nun, zum Henker, von wem denn sonst, als Eurem intimen Freunde und neulichen Gastfreunde!“ rief Doktor Hanff, nicht ohne einigen Grimm die Faust mit dem Maserpfeifenkopf schwer auf den Tisch fallen lassend. „Räthsel aufgeben? ja wohl, da kommt man mal wieder auf die Kosten seiner Humanität, wenn man die Gefühle seiner guten Bekannten wie rohe Eier anzufassen wünscht! Räthsel rathen? durchaus nicht nöthig. Drunten liegt er, Euer Freund, Kommilitone – was weiß ich, – der Musjeh, wie nennt er sich doch gleich? Freiherr – Doktor – Professor – von Bielow. Wie oft er ungestraft unter Palmen promenirte, ist mir nicht bekannt: aber unter den Tannen der Vierlingswiese hat er jedenfalls nicht straflos gewandelt. Eine recht nette Brühe hat uns der leichtsinnige Mensch da unten an den Braten gegeben – sämmtliche Hautevolée auf die Beine, in die Hôtelwagen und auf die Eisenbahnzüge gebracht – Papiere der Aktiengesellschaft für diesmal um fünfzig Procent gesunken, und meine dito mit – ich danke dem Herrn Baron und Professor aller möglichen Staatswissenschaften ganz gehorsamst.“

Der Pfarrer hatte sich erhoben; Phöbe hatte nur ihre Arbeit auf dem Tische niedergelegt und ihre Hände flach darauf. So saß sie regungslos und blickte mit den Augen, die der Kranke in seinem Fiebertraume vor sich sehen sollte, immerzu auf den schreckensvollen Boten aus dem Säculum, das Wort an ihn der ganzen Welt – jedem Andern lassend.

„Veit Bielow?!“ rief Prudens Hahnemeyer.

„Leider der selbige Herr, den ich meine! Zugleich ein Sänger und ein Held!“ seufzte Doktor Hanff, wirklich bekümmert den Kopf schüttelnd. „Glauben Sie nicht, meine Verehrten, daß ich hier dem Manne Uebles nachzureden wünsche. Im Gegentheil! Der Fall frißt selbst Unsereinem noch durch die Haut. Der brave Kerl hat seine letzten lichten Augenblicke nicht etwa nur dazu nach der gewohnten Art benutzt, seinen Gefühlen Luft zu machen und seine sonstigen Verhältnisse zu ordnen, sondern er hat nach Kräften in Betreff seiner eigenen möglichsten Unschädlichmachung verfügt und seinen Willen hierin sogar auch schriftlich, wenn auch bereits etwas unleserlich und konfus von sich gegeben. Zu der Familie Fuchs wünschte er geschafft zu werden; er redet viel von dem Räkel und der Fee. Auf der Vierlingswiese wollte er in Pflege gegeben sein, und es hat schwer gehalten, ihm begreiflich zu machen, daß das nicht angehe. Er beruft sich immer noch dabei auf Sie, Phöbe, und spricht von seiner Berechtigung hier oben bei Euch! Wohin wollen Sie, Fräulein? nur Ruhe – ruhig Blut. Den Umständen nach haben wir den armen Teufel nach seinen Wünschen bestens versorgt. Pekuniäre Mittel im Ueberfluß zur Verfügung – Zimmer im Hôtel ausgeräuchert, abgekratzt, neu tapeziert – Alles, was dazu gehört, nach dem neuesten Stande der Wissenschaft – Kaliseifenlauge, Karbollösung, Bromdampf. Wollen Desinfektionslehre doch nicht blos in ihrer Anwendung auf die Praxis hier bei Euch studirt haben, Pastore –“

„Und der Kranke selbst?“

„Nun, da traf es sich denn recht angenehm, daß das alte auf Abbruch verkaufte Siechenhaus drunten noch nicht abgebrochen war und also für einen Patienten mit den nöthigen Mitteln zur komfortabeln Einrichtung für den Fall zu freiester Verfügung stand. Ich habe immer in den Gemeindesitzungen und im Kurkommissariat dafür gesprochen, daß man mit dergleichen Nothbehelfen, selbst zum Besten des Ortssäckels, nicht zu leichtfertig umspringen solle – und da haben wir’s nun in deutlichster Weise demonstrirt gekriegt! Wie kommt ein solcher Glanz in meine Mauern? kann heute das alte, ruppige, niederträchtige Gebäu mit Recht fragen. Villa Bielow mag es sich von jetzt an bis zum Ende seiner Tage nennen. Die Uebersiedelung des Kranken ist ohne Anstand vor sich gegangen. Was gute, wenn auch schreckhaft aufgeregte Bekannte an Theilnahme zu bieten hatten, ist geboten worden; für die ersten nothwendigen Bequemlichkeiten brav gesorgt, für die am Ort mangelnden nach allen Richtungen hin geschrieben und telegraphirt. So weit wäre das so ziemlich in Ordnung, und den Umständen nach ist das ja auch wohl immerhin ein Trost. Na, es redet wenigstens Niemand ihm und mir in die Sache hinein, und das ist jedenfalls und unbedingt ein Vorzug, den nicht jedes von Zärtlichkeit und Liebe umgebene Krankenbett sowohl dem Patienten, wie dem behandelnden Arzte bietet.“

Zögernd fragte Phöbe: „Seine Freunde – seine Freunde sind doch um ihn geblieben? sie haben ihn doch nicht allein gelassen in seiner Noth?“

Da aber wies Doktor Hanff’s Gesicht nach einander so ziemlich sämmtliche Affekte, zu deren Darstellung so eine wohl gegerbte alte Landdoktorenphysiognomie noch fähig war, bis sich ein ganz merkwürdiges Gegrinse über alles hinlegte und fest liegen blieb.

„Um ihn geblieben? Ihn nicht in seinem Pech allein gelassen? Kind, Kind, natürlich könnte ich diesen ganzen Sommertag lang von der Komödie im Einzelnen und im Ganzen erzählen! Schade nur, daß man selber zu hauptsächlich drin mit zu spielen hatte, um völlig objektiv und genußfähig bleiben zu können. Eh, Phöbe – gute, kleine, kluge Kollegin aus Halah, meinen Sie wirklich, daß Das aus anderem Teig gewälzt ist, als unsere Leute hier im Dorfe? Der Herr erleuchte Ihre unschuldige Seele, Herzenskind! Wie unsere Leute hier im Dorfe die Fee mit ihrem Räkel und ihren Jungen, so haben jene braven Freunde und Nachbarn den Herrn Professor, Freiherrn Veit von Bielow in die Hand Gottes und auf die Vierlingswiese abgeschoben. Nur mit etwas anderem Pathos! Gedrückt haben sie sich, ausgerissen sind –“

„Alle?“ fragte Phöbe mit bebender, kaum vernehmbarer Stimme „Alle sind sie von ihm gegangen?“

„Nun, gerade wie hier bei Euch im Dorfe, wo auch wohl Einige vorhanden waren, die bei dem Volkmar Fuchs und seiner Fee ausgehalten hätten; aber doch durch die und die Umstände daran verhindert wurden.“

„Alle!“ murmelte Phöbe.

„Da war die liebe, heitere Excellenz. Ich habe selten einen so außer sich gerathenen Menschen gesehen, wie den Herrn Geheimrath da unten! Und der gute Onkel Anton, den unser diesjähriger Stern, das gnädige Fräulein – Fräulein Valerie, aus mir unbekannten Gründen gewöhnlich als ‚meinen Onkel Toby‘ einzuführen pflegte. Ich habe nie einen Mann unter meiner Sommerklientel gehabt, der mir beim Abschiede am Eisenbahnkoupé mit gleichbewegter Hand die Dose präsentirt und mit gleich affektionirter Stimme gesagt hätte: Wir verlassen uns ganz auf Sie, Doktor; – ich bitte Sie um Himmelswillen, thun Sie Ihr Bestes und geben Sie uns jedenfalls Nachricht! Ei, und die Damen! was soll ich Ihnen von den Damen sagen, Phöbe? ‚Aufgelöst‘ ist das einzige Wort, was ich für sie habe; – freilich, Komtesse Alice fand die Art und Weise, wie der Herr von Bielow diese entsetzliche Katastrophe über das ganze reizende und so vom schönen Wetter begünstigte Zusammensein so muthwillig herauf beschworen habe, auch nach meiner Meinung nicht ohne Grund, wenig gerechtfertigt.“

„Es war Eine neulich – vor vier oder fünf Tagen, wahrscheinlich aus jenem Kreise – hier bei uns,“ sagte Pastor Prudens. „Sie kam, ohne recht zu erklären, weßhalb; und einen angenehmen Eindruck hat sie nicht auf mich gemacht, aber sie schien selbstbewußt und willenskräftig im Sinne der Welt, und sie führte sich bei uns ein als meines Jugendfreundes gute Freundin oder Bekannte –“

„Fräulein Valerie selbstverständlich!“ rief Doktor Hanff. „Ich war der Erste, dem sie von ihrem Ausfluge hierher Mittheilung machte, und zwar unter dem Eindrucke meiner Mittheilungen an sie. Ja, ich fühle noch ihren Griff hier am Oberarme, obgleich sie sonst unter allen Umständen recht gut Fassung zu behalten wußte. Ein Prachtmädel! Von Gottes Gnaden dazu geboren, ihren liebsten Verwandten am liebsten die grüne Welt blau, und die rothe gelb vorzuführen! Wie oft habe ich ihretwegen Papa Excellenz seinen Kopf mit beiden Händen halten sehen! wie häufig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_560.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)