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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

des Orkans vom Oktober 1876 volle fünf Tage lang, wie sie sich von Süden durch Westen nach Norden längs des Horizonts vorschob, während sonst der Himmel meist heiter war. Steigt nun die Wolkenbank mit Annäherung des Orkans höher, so löst sich ihr bis dahin scheinbar kompakter Rand in einzelne Regenwolken auf, die rasch über den Scheitelpunkt hinwegeilen und dabei Sprühregen, Schauer und Böen bringen. Im äußeren Theile des Orkans, sagt Niñes, regnet es oft stundenlang fein und dicht, dann kommen häufiger starke Schauer mit zunehmend heftigen Böen, die Wolken werden finsterer und hängen tiefer herab, und nahe beim Centrum des Orkans stürzt der Regen zuletzt fast in zusammenhängenden Massen herab, die oft Ueberschwemmungen erzeugen. Geht das Centrum selbst über den Beobachtungsort hinweg, so zeigt die dicke Wolkenmasse eine Oeffnung, durch die in der Nacht Sterne sichtbar sind. Bei allen Wirbelstürmen herrscht im Centrum fast Windstille, aber nachdem es weitergeschritten, bricht der Orkan aus entgegengesetzter Richtung mit erneuerter Wuth hervor, bis sich seine Kreise von dem Beobachtungsorte entfernen.

Fig. 1.0 Die Bahn eines Hurricans.

Betrachten wir jetzt nochmals unsere Fig. 1. Wir sehen hier das Centrum des Orkans in der Richtung des großen Pfeiles einen Bogen beschreiben, während gleichzeitig die Luft als Sturm in der durch die Pfeilspitzen der vier kleinen Kreise angezeigten Richtung rotirt. Nehmen wir nun an, ein Schiff befinde sich im Bereiche dieser Kreise, so genügt eine kurze Ueberlegung, um einzusehen, daß die Gefahr für dieses Schiff in den einzelnen Theilen des Orkans eine sehr ungleiche ist. Am gefährlichsten ist die Lage auf der Vorderseite des Wirbels am inneren Theile der Krümmung der Sturmbahn, ungefähr da, wo in den kleinen Kreisen die Pfeilspitzen gezeichnet sind. Dasselbe gilt auch für die Orkane der südlichen Erdhälfte, wovon Fig. 2 ein Beispiel vorführt.

Fig. 2.0 Die Bahn eines Mauritiussturmes.

Man sieht nämlich leicht, daß ein Schiff dort sich mehr und mehr dem Sturmcentrum nähern muß. Es bleibt also nicht nur länger in den Kreisen des Orkans, sondern wird auch den heftigsten Windstößen ausgesetzt, im Centrum selbst aber ein Spielball der Wogen sein, die dort aus allen Richtungen durch einander rollen. Der erfahrene Seemann muß deßhalb unter allen Umständen versuchen, vom Centrum des Orkans abzukommen, überhaupt den sogenannten „gefährlichen Halbkreis“ an der innern Seite der Sturmbahn zu vermeiden. Um dies thun zu können, ist vor allen Dingen erforderlich, daß der Seefahrer weiß, in welcher Richtung das Sturmcentrum liegt. Wenn wir voraussetzen, daß der Wind in Kreisen um dieses Centrum weht, so ist es nicht schwer, dessen Lage zu erkennen, man braucht nur dem Winde den Rücken zu drehen, so liegt auf unserer Erdhälfte der Mittelpunkt der Cyklone genau links vom Beobachter, auf der südlichen rechts. Auch über die Annäherung oder Entfernung des Centrums kann sich der Schiffer orientiren. Je näher dasselbe herankommt, um so mehr fällt das Barometer, und gleichzeitig dreht auf der rechten Seite des Wirbels der Wind von Südost durch Süd gegen Südwest, auf der linken Seite von Nordost durch Nord nach Nordwest.

Nehmen wir jetzt, unsere Figur 2 zu Grunde legend, an, ein Schiff befinde sich östlich von der Insel Madagaskar und wolle den Indischen Ocean durchqueren. Das Fallen des Barometers verbunden mit dem Aussehen des Himmels lassen den Führer erkennen, daß eine Cyklone herannaht. Er beachtet nun sehr sorgfältig den Wind und bemerkt, daß derselbe in starken Böen aus Südost einsetzt und mit fallendem Barometer allmählich gegen Süd dreht. Unter diesen Umständen kann kein Zweifel mehr sein, daß das Sturmcentrum dem Schiff näher kommt, aber noch östlich von ihm liegt. Würde daher der Führer des Schiffs versuchen seinen östlichen Kurs fortzusetzen, so würde er geradezu dem Sturme in den Rachen laufen und aus dem sogenannten „handlichen“ in den gefährlichen Halbkreis des Orkans gerathen. Seine Position ist dagegen selbst eine relativ günstige, indem er bequem nach Nord und Nordwest ausweichen kann.

Befände sich das Schiff dagegen östlich von der Sturmbahn auf der Route nach der Südspitze von Madagaskar, so wäre seine Lage eine viel schlimmere. Dem Kapitän bliebe dann wenig anderes übrig, als den Versuch zu wagen, zu „lenzen“, das heißt vor dem Winde zu laufen, um die Bahn der Cyklone zu passiren, ehe das Centrum herankommt, oder auf Backbordhalsen beizudrehen, das heißt den Sturm auszuhalten, wobei der Wind von links her über das Schiff weht. Unter der obigen Voraussetzung einer genau kreisformigen Bahn der wirbelnden Luft um das Orkancentrum hat man schon vor einem Vierteljahrhundert specielle Tabellen für den praktischen Seemann aufgestellt, nach denen er bei jeder möglichen Lage eines Wirbelsturmes zu manövriren hat. Diese speciellen Tabellen sind jedoch verwerflich, denn wie wir heute wissen, weht der Wind durchaus nicht in kreisförmiger Bahn um das Centrum, sondern die Luft strömt in Spiralen diesem entgegen, ja in mehreren Fällen wehte der Sturm geradezu in das Centrum hinein. Natürlich ist es dem Schiffsführer ganz unmöglich darüber klar zu werden, wie groß in einem gegebenen Falle die Abweichung der wahren Bahn des Windes um das Centrum von der kreisförmigen ist, er wird sich daher der oben bezeichneten Bequemlichkeitstabellen nicht bedienen dürfen. Ueberhaupt kann man nicht nachdrücklich genug betonen, daß es nach dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft nicht erlaubt ist, specielle Vorschriften für die Navigirung in Cyklonen aufzustellen. Nur allgemeine, auf dem durchschnittlichen Charakter der Luftbewegung und der Bahn dieser Stürme beruhende Ausführungen, nach Art derjenigen, welche im Vorhergehenden gegeben wurden, können die Grundlage bilden, auf der sich das Urtheil des Kapitäns aufbaut, wie er im gegebenen Fall zu steuern hat.

Auch über die Entstehungsweise der Cyklone ist die Wissenschaft noch nicht zu festen Ergebnissen gelangt. Sicher ist, daß im Centrum dieser Orkane eine lebhaft aufsteigende Luftströmung stattfindet; ist diese einmal eingeleitet, so wird die rings herumlagernde Luft gewissermaßen eingeschlürft, sie steigt empor und ihre Feuchtigkeit stürzt in Gestalt von Regen herab. Daß der Vorgang nicht so bald ein Ende findet, dafür sorgt die Umdrehung der Erde, denn sie ist es, welche die Wirbelbewegung verursacht.

Wie wir gesehen haben, sind manche Erscheinungen, welche die Stürme darbieten, noch unklar, ja wichtige Fragen kaum erst erörtert. Dennoch darf man im Rückblick auf das schon Gewonnene sagen, daß die Wissenschaft von heute auch bereits das Dunkel der Sturmnächte erhellt und dem Schiffer im Kampfe mit Wind und Wellen ein wichtiger Führer geworden ist.[1] Dr. Klein.     


  1. Eine Anfangs Juni im Golf von Aden aufgetretene Cyklone ist es wohl auch gewesen, welche das bis jetzt vermißte deutsche Kriegsschiff „Augusta“ heimgesucht hat. Nach einem in der Weserzeitung erschienenen Berichte des deutschen Frachtdampfers „Donar“, welcher der Bahn des Orkans in größerm Abstand vom Centrum nahe kam, scheint es, daß die „Augusta“ wahrscheinlich 100 Seemeilen östlich von Perim, von dem Wirbelsturme ereilt wurde. Ob das Kriegsschiff darin seinen Untergang fand oder nicht, entzieht sich Mitte September, wo wir diese Zeilen niederschreiben, jeder Beurtheilung; vielleicht hat das Schiff nur an der Maschine schwere Havarie erlitten und der Kommandant den Versuch gemacht, die Reise unter Segel fortzusetzen; doch ist die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme, offen gesagt, nur gering.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_635.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2024)