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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

alle Tage, denn Hradscheck kommt nicht alle Tage von Berlin. Ich denke deßhalb, wir machen noch eine Bowle: drei Mosel, eine Rheinwein, eine Burgunder. Und nicht zu süß. Sonst haben wir morgen Kopfweh. Es ist erst halb zwölf, fehlen noch fünf Minuten. Und wenn wir uns ’ran halten, machen wir um Mitternacht die Nagelprobe.“

„Bravo!“ stimmte man ein. „Aber nicht zu früh; Mitternacht ist zu früh.“

Und Hradscheck erhob sich, um Ede, der verschlafen im Laden auf einem vorgezogenen Zuckerkasten saß, in den Keller zu schicken und die fünf Flaschen herauf holen zu lassen. „Und paß auf, Ede; der Burgunder liegt durcheinander, rother und weißer, der mit dem grünen Lack ist es.“

Ede rieb sich den Schlaf aus den Augen, nahm Licht und Korb und hob die Fallthür auf, die zwischen den übereinander gepackten Oelfässern, an der einzig frei gebliebenen Stelle, vom Flur her in den Keller führte.

Nach ein paar Minuten war er wieder oben und klopfte vom Laden her an die Thür, zum Zeichen daß alles da sei.

„Gleich,“ rief der wie gewöhnlich mitten in einem Vortrage steckende Hradscheck, „gleich“, und trat erst, als er seinen Satz beendet hatte, von der Weinstube her in den Laden. Hier schob er sich eine schon vorher aus der Küche heranbeorderte Terrine bequem zurecht und griff nach dem Korkzieher, um die Flaschen aufzuziehn. Als er aber den Burgunder in die Hand nahm, gab er dem Jungen, halb ärgerlich halb gutmüthig, einen Tipp auf die Schulter und sagte: „Bist ein Döskopp, Ede. Mit grünem Lack, hab ich Dir gesagt. Und das ist gelber. Geh und hol’ ne richtige Flasche. Wer’s nich im Kopp hat, muß es in den Beinen haben.“

Ede rührte sich nicht.

„Nun, Junge, wird es? Mach flink.“

„Ick geih nich.“

„Du gehst nich? warum nich?“

„Et spökt.“

„Wo?“

„Unnen … Unnen in’n Keller.“

„Junge, bist Du verrückt? Ich glaube, Dir steckt schon der Mitternachtsgrusel im Leibe. Rufe Jakob. Oder nein, der is schon zu Bett; rufe Male, die soll kommen und Dich beschämen. Aber laß nur.“

Und dabei ging er selber bis an die Küchenthür und rief hinaus: „Male.“

Die Gerufene kam.

„Geh in den Keller, Male.“

„Nei, Herr Hradscheck, ick geih nich.“

„Auch Du nich. Warum nich?“

„Et spökt.“

„Ins Dreideibels Namen, was soll der Unsinn?“

Und er versuchte zu lachen. Aber er hielt sich dabei nur mit Müh’ auf den Beinen, denn ihn schwindelte. Zu gleicher Zeit empfand er deutlich, daß er kein Zeichen von Schwäche geben dürfe, vielmehr umgekehrt bemüht sein müsse, die Weigerung der Beiden ins Komische zu ziehn, und so riß er denn die Thür zur Weinstube weit auf und rief hinein: „Eine Neuigkeit, Kunicke …“

„Nu, was giebt’s?“

„Unten spukt es. Ede will nicht mehr in den Keller und Male natürlich auch nicht. Es sieht schlecht aus mit unsrer Bowle. Wer kommt mit? Wenn zwei kommen, spukt es nicht mehr.“

„Wir alle,“ schrie Kunicke. „Wir alle. Das giebt einen Hauptspaß. Aber Ede muß auch mit.“

Und bei diesen Worten eines der zur Hand stehenden Lichter nehmend, zogen sie mit Ausnahme von Woytasch, dem das Ganze mißhagte, brabbelnd und plärrend und in einer Art Procession, als ob einer begraben würde, von der Weinstube her durch Laden und Flur und stiegen langsam und immer einer nach dem andern, die Stufen der Kellertreppe hinunter.

„Alle Wetter, is das ein Loch!“ sagte Quaas, als er sich unten umkuckte. „Hier kann einem ja gruslig werden. Nimm nur gleich ein paar mehr mit, Hradscheck. Das hilft. Je mehr Fidelité, je weniger Spuk.“

Und bei solchem Gespräch, in das Hradscheck einstimmte, packten sie den Korb voll und stiegen die Kellertreppe wieder hinauf. Oben aber warf Kunicke, der schon stark angeheitert war, die schwere Fallthür zu, daß es durch das ganze Haus hin dröhnte.

„So, nu sitzt er drin.“

„Wer?“

„Na wer! Der Spuk.“

Alles lachte; das Trinken ging weiter, und Mitternacht war lange vorüber, als man sich trennte.

(Schluß folgt.) 


Eine verlassene Wüstenstadt.

Mittheilungen über römische Steinbrüche in der ostägyptischen Wüste.
Von G. Schweinfurth.


Wem es vergönnt gewesen, fern von der vielbefahrenen Wasserstraße des Nils einen Einblick in die menschenleere Felswüste und in die starren Gebirgswildnisse zu gewinnen, welche sich auf der Ostseite Aegyptens bis an das Rothe Meer erstrecken, den wird die Seltenheit von Bauresten, Inschriften und anderen daselbst erwarteten Ueberbleibseln aus der alten Kulturwelt überraschen. Nur in dem Wüstenstriche, der in gerader Linie zwischen Theben und der nächsten Meeresküste gelegen ist, nur auf dem wahrscheinlich ältesten Wege, der Aegypten mit der Außenwelt in Verbindung setzte und auf welchem auch die erste Einwanderung in das Nilthal geschah, begegnen wir noch heutigen Tages Zeugen jener großartigen Thatkraft, die an der Ueberwindung von Naturhindernissen ihre Freude hatte.

Auf diesem alten Wege, der heutigen Qeneh-Qosseir-Straße, gelangt man, halbwegs zwischen Nil und Rothem Meere, in das Thal von Hamamat, wo zahlreiche Inschriften aus verschiedenen Epochen von den Thaten der alten Könige berichten. Hier waren die Steinbrüche in Betrieb, die bereits unter der elften Dynastie die Tempel des Nordens mit jenem schwarzen, bunten und feinkörnigen Porphyrgestein versahen, aus welchem Statuen, Sarkophage und andere Bildwerke gehauen wurden, die sich unter den alten Trümmern an allen Tempelstätten vorfinden.

Die alten Aegypter müssen vor der Wüste eine Art heiliger Scheu empfunden haben, dieselbe galt ihnen als das Reich des Todes. Noch heute verrathen die Nilthalbewohner eine eigenthümliche Furcht vor den Schrecken jener Einsamkeit und Menschenleere, welche ihre Einbildungskraft zum Sitze aller bösen Geister gestaltet. Die Beduinen spotten häufig über diese Furchtsamkeit der Aegypter. Gespenstergeschichten in unserem Sinne sind zwar den Letzteren fremd, ihnen graut keineswegs vor Gräbern und dunklen Gewölben, aber um keinen Preis wäre Mancher von ihnen zu bewegen, allein die Nacht in einer Felshöhle der Wüste zu verbringen. Die übertriebene Bewunderung und Verehrung, welche man im 4. und 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung den Anachoreten, jenen frommen Männern zollte, die, abgeschieden von aller Welt, in entlegenen Wüstenthälern und, wie man glaubte, unter beständigem Kampfe mit allen Anfechtungen der Dämonenwelt ihr Dasein verbrachten, finden in diesen Vorstellungen der Aegypter ihre Erklärung.

In ähnlicher Weise läßt sich auch die Frage beantworten, weßhalb die alten Aegypter nicht wenigstens direkte Wege von verschiedenen Punkten des Nils zum völkerverbindenden Meere erschlossen. Die dazu erforderlichen Brunnenanlagen, Fangdämme und ähnliche Wasserbauten hätten einen geeigneten Gegenstand für ihre Thatkraft abgeben können. Das geschah aber erst später unter den Ptolemäern bei zunehmender Handelsbewegung auf dem Rothen Meere. Als dann die Römer Herren des Landes geworden waren, begann in allen Richtungen eine Erforschung der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_650.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)