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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Stimme. „Wie wäre es, wenn – menn Sie eine Erzählung schrieben? Jch mochte nämlich gern wissen, ob das ewige Aktenstudium die Beschäftigung mit der reinen Vernunft Jhnen einen ‚Rest‘ Poesie gelassen haben – das ist das Ganze.“

Eine Erzählung, mir fiel ein Stein vom Herzen; zwar war mir dieses Thätigkeitsfeld neu, doch hoffte ich, es leidlich bebauen zu können. Jch hatte immer ein Stück von einem Poeten in mir getragen, und in früheren Zeiten – sie lagen freilich weit hinter mir – unterschiedliche liebliche Verse verbrochen, die mich immer sehr gerührt hatten, ich glaubte also in „Prosa“ mit der „Poesie“ mich so ziemlich zu befreunden . . . Welches Thema aber behandeln ...

„Welcher Art soll nun dieses litterarische Kunststück sein?“ begann ich vorsichtig zu tasten. „Befehlen die Damen hochtragisch oder mehr humoristisch? sentimental oder realistisch-modern? Bleiben wir bei den Idealen stehen oder geht es auch ohne diese? Darf man sich an einen bereits vorhandenen Stoff anlehnen, oder muß das Ding ganz Original sein? Mein Talent befähigt mich, in dieser Hinsicht allen Ansprüchen gerecht zu werden.“

„,Sein‘ oder nicht ‚sein‘ – Eigenthum nämlich – das ist hier die Frage,“ lächelte die Gräfin fein.

„O, das wäre noch schöner,“ protestirte Virginie lebhaft. „Natürlich muß das, was ich im Auge habe, ein Beweis Ihres Talentes sein und nicht von den Gaben eines Anderen Zeugniß ablegen. Erfindung streiche ich dabei ganz, denn vor allen Dingen soll die Erzählung auf Wahrheit beruhen, Ihr Talent soll sich nur in der poetischen Art zeigen, in der Sie diese Wahrheit zu Papier bringen; auch was Sie sich bei dieser oder jener Stelle denken, sollen Sie ganz ehrlich beifügen. Die Hauptbedingung bleibt jedoch eine Handlung, die auf Thatsachen beruht; aus der Art, wie Sie diese ‚wahre Geschichte‘ erzählen, kann man schon ein – ein Urtheil gewinnen.“

„Aber das ist furchtbar leicht!“ jauchzte ich auf. „Die Erfindung der Handlung ist immer das Schwerste!“

„Wir wollen Sie dadurch vor litterarischem Diebstahl bewahren, der ja in Ihrer Stellung unverzeihlich wäre,“ erklärte Virginie. „Man kann von einem Anfünger nicht sofort das Schwerste verlangen. Sie sehen, wir sind sehr gütig. Doch noch eine Bedingung: Sie sollen den Stoff aus Ihrem Leben nehmen. Sie müssen doch so mancherlei schon erfahren haben. Wie, wenn Sie ...“ hier senkte sich ihr Köpfchen abermals tief nach dem kleinen Schirm herab, mit dem sie die alten, mystischen Zeichnungen im Sande wieder begann, „in einer fesselnden Art klar legten, warum Sie bisher unvermählt geblieben sind. Die Geschichte könnte die Ueberschrift tragen: ‚Wie ich ein alter Junggeselle wurde‘, gewiß ein vielversprechender Titel! Sie müßten das Ganze fein säuberlich aufschreiben und die betreffenden Gründe in glaubwürdiger Weise darlegen – und nun kommt noch eine Bedingung, die letzte: der Termin der Ablieferung darf nicht bis in die graue Zukunft verschoben werden, spätestens in acht Tagen müssen Sie fertig sein und denken Sie sich die Aufgabe nicht gar zu leicht. Eben darin, daß Sie das Ganze in eine fesselnde, poetische Form bringen und doch streng bei der Wahrheit bleiben sollen liegt die Schwierigkeit.“

Als ich mit dem Versprechen schied, die Arbeit in der verabredeten Zeit zu beenden und abzuliefern, sagte Virginie noch einigermaßen verlegen, indem sie mich ernst anblickte und der mir bekannte zartrosige Schimmer wieder über ihr feines Gesicht huschte: „Und versprechen Sie, das Thema nicht zu wechseln – ein anderes mird nicht acceptirt – und – und ehrlich, Herr Legationsrath, nichts hinzufügen und nichts davon thun – Sie wissen, kein Roman, sondern eine wahre Geschichte.“

Ich küßte ihr die Hand und versprach Offenbarung meiner Herzensgeheimnisse und unbedingte Wahrhaftigkeit. Dann setzte ich mich vor Zacharula’s Bild und blickte ihr in die treuherzig- schalkhaften Augen, und die Erinnerung an jene seligen Tage überkam mich mit solcher Gewalt, daß ich von ihr hingerisen, die einmal begonnene Erzählung, ohne aufzustehen in einem Zuge niederschrieb. Stunde auf Stunde verrann, und erst als meine Uhr Mitternacht zeigte, stand ich, im Innersten bewegt, auf. Die Beichte, welche den Anfang dieser Zeilen bildet, war fertig.

Die Vorlesung der „wahren Geschichte“ hatte durchschlagenden Erfolg; mehr als die anspruchslose Erzählung verdient. Virginie saß, als ich wieder aufblickte, mit abgewandtem Antlitz da und schien eigenthümlich ergriffen. Die Gräfin reichte mir dankend die Hand und lobte: „So war’s recht, mein Freund, Sie haben Ihr Versprechen ehrlich gelöst und werden es nicht zu bereuen haben.“

Sie blickte dabei auf ihre schöne Tochter, welche sich jetzt mit feuchten Augen zu mir wandte, und Virginie folgte dem Beispiel ihrer Mutter. Leise bebend, wie ich zu bemerken glaubte, lag ihre schlanke, feine Hand zwischen meinen Fingern, und die langen, seidenen Wimpern vermochten das nasse Auge nicht zu verbergen, als Sie lächelnd und bemüht, einen leichten Ton zu finden, hinwarf: „Ich hätte nie geglaubt, daß ein Mann in dieser Weise über einmal Verlorenes sprechen könnte. Ich meinte bisher, nur in der Gegenwart könne der Mann leben. Es ist brav von Ihnen, noch in dieser Weise von jenem – thörichten Mädchen zu sprechen, das sein eigenes Glück und das Ihre aus weiblichem Eigensinn zerstörte.“

Diese Worte Virginiens aber verletzten mich fast. Ich hatte das Gefühl, das Jeder empfindet, wenn in seiner Gegenwart eine ihm theure Person mit Recht oder Unrecht angegriffen wird, und ich vertheidigte meine erste Liebe in etwas heftiger Weise. Ich entschuldigte ihr Verhalten damit, daß ja doch in meinem Vorgehen eine gewisse Geringschätzung dessen gelegen habe, was Zacharula zu bieten gehabt, und daß ich von ihrem Standpunkte aus ihre Entrüstung sehr wohl begreife, daß ich überhaupt von einem Weibe wenig halte, das ohne jedes Selbstgefühl sei und das man nur schwer beleidigen könne, daß ich aber die Macht der Verhältnisse heute noch beklage, die mich um das Glück meines Lebens gebracht hätten.

Am Ende dieser Vertheidigung fiel mir erst ein, daß junge Mädchen in der Regel das Lob einer Abwesenden in ihrer Gegenwart nicht gern zu hören pflegen – ich dachte daran, wie theuer mir doch auch Virginie war, ich erschrak bei dem Gedanken, daß in meinem Innern eine Art Doppelliebe lebte – und das Alles verwirrte mich in einer Weise, daß ich erst nach längerer Zeit wagte, einen forschenden Blick auf mein schönes Gegenüber zu werfen – aber merkwürdig, Virginiens Augen begegneten den meinen leuchtend und zustimmend, es lag in ihrem Blicke eine Wärme und Herzlichkeit, die sie mir gegenüber noch nie gezeigt, und als sie mir abermals die Hand reichte und anerkennend versicherte: „Ich beabsichtigte nicht, Ihrer einstigen Freundin zu nahe zu treten und Ihnen wehe zu thun, Herr Legationsrath,“ glaubte ich einen leisen Druck ihrer Hand zu verspüren ... Ich begriff mich und sie – ja ich begriff die ganze Welt nicht mehr, und was wir noch weiter geredet haben an jenem Abende, ist mir nie so ganz klar gewesen. Ich war wie im Traume. Zacharula oder Virginie? – oder Beide? – War ich nicht auf dem besten Wege, die Institutionen eines Mormonenstaates in meinem Herzen praktisch zu bethätigen?

Ich ging mit seltsam getheilten Gefühlen nach Hause; nie hatte ich mit wärmerer Innigkeit meines verlorenen Lieblings gedacht und doch hatte ich dabei die Empfindung, Virginie könne mir einst die Verlorene ersetzen. Längere Zeit fand ich jedoch nicht den Muth, mich zu erklären, obgleich ich innerlich überzeugt war, daß auch Virginie meine Neigung theilte. Je länger ich sie kannte, desto mehr fühlte ich, wie der geheimnißvolle Reiz, den sie auf mich ausübte, gerade von den immer wiederkehrenden, wenn auch immer flüchtig vorüberrauschenden Aehnlichkeiten herrührte, die sie mit Zacharula hatte, und desto schwerer wurde es mir, die beiden Königinnen meines Herzens aus einander zu halten. Dieser Umstand war es auch, der schließlich die Entscheidung herbeiführte.

Ich erzählte Virginie ein drolliges Erlebniß aus China, und sie lachte darüber so herzlich und silberhell, so ganz meinem Liebling ähnlich, daß ich unwillkürlich laut ausrief: „Zacharula!“ Sie erschrak heftig und sah mich, die Hand auf das Herz pressend, mit großen Augen ängstlich an. Ich bat sie wegen des verursachten Schreckens um Verzeihung, und dann – ja dann machte ich eine Liebeserklärung, so ungereimt und verworren, wie sie der Klügste von uns zu machen pflegt, wenn er wirklich verliebt ist, eine jener Erklärungen, die, wortgetreu stenographirt, ein merkliches Kopfschütteln aller vernünftigen Leute erregen würden. Aber Virginie hörte mir hochathmend, erröthend und glückselig lächelnd zu, ja sie drückte mir zärtlich die Hand, als ich ihr in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_659.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)