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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 42.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Edelweißkönig.

Eine Hochlandsgeschichte. Von Ludwig Ganghofer.


Grüß’ Dich Gott, Finkenbauer! Schaust Dir Dein’ Hof an!“ rief der Jäger, der von den Bergen her des Weges kam, dem Bauer zu, welcher mit gekreuzten Armen, die qualmende Pfeife zwischen den Zähnen, am Zaune seines Gehöftes lehnte. „Aber hast schon Recht! Da is auch ’was dran zum Schauen!“

Damit hatte nun wieder der Jäger Recht; denn der Finkenhof mit dem stattlichen, zweistöckigen Wohnhause, dessen braunrothes Dach die mit Schnitzwerk gezierten Balken weit hinausreckte über die Giebelwand, mit dem hübschen, blaßblau bemalten Austraghäuschen, mit dem Gesindetrakte, mit dem Back- und Waschhause, mit der eigenen Schmiede, mit den Stallungen, Scheunen, Heustadeln und Holzschuppen, bildete gleichsam ein Dörflein inmitten des Dorfes. Ein langer, brauner Staketenzaun mit einem breiten Gitterthore und einem kleinen, zum Wohnhause führenden Pförtchen schied das Gehöfte von der Straße; ein gleicher Zaun umhegte den an die Rückseite des Hauses sich anschmiegenden Gemüsegarten, während graue Bretterplanken die hügelanziehenden Wiesen von den Nachbarhöfen trennten. Höher und höher stiegen diese Planken empor, bis sie im dunklen Wald der steilen Berge sich verloren, die mit ihrer wildzerrissenen Kontour in weitem Bogen das Dorf umspannten. Dicht und weiß lag noch der Schnee auf allen Felsenkuppen, und wie mit bleichen, eisigen Fingern griff er durch alle Schluchten und Schrunden niederwärts gegen das Thal. Die Almenlichtungen, welche sich zwischen Wald und Felsen dehnten, waren wohl zum größten Theile schon frei von Schnee, aber ihre Grashänge zeigten noch ein mattes, todtes Gelbgrün; die Lärchenbestände jedoch, die sich von ihnen dem dichteren Gehölze zusenkten, waren bereits von zartem, lichtem Grün leicht überhaucht, und auch die tiefer stehenden Tannen begannen schon jene hellere Färbung anzunehmen, welche die frischen Triebe des Frühjahrs den dunklen Nadelbäumen verleihen. An den Kastanienbäumen aber, welche das Wohnhaus umringten, war voll und dicht bereits das Laub ersproßt – und die jungen Blätter schwankten und rauschten im lauen Frühlingswinde.

Mit ihrem Rauschen vermischte sich das fröhliche Schwatzen der Sperlinge, das Gurren der Tauben und das Glucksen und Gackern der Hühner. Aus der Schmiede tönte klingender Hammerschlag und aus den Ställen das Brüllen der Rinder und das Klirren der Ketten. Knechte und Mägde kreuzten in geschäftiger Eile den Hof, und aus einer offenen Scheune klang, von einer frischen, kräftigen Mädchenstimme gesungen, die trauliche Weise eines volksthümlichen Liedes. Ein röthlich goldiges Licht lag ausgebreitet über dieses friedsame Bild; denn die Sonne war schon dem Sinken nahe. In zarter Bläue blickte der Himmel hernieder durch die lautere, würzige Lenzluft, in die sich vom Kamine des Finkenhofes der Rauch emporkräuselte mit langsamen Wirbeln.

Ein zärtlich stolzer Blick war es gewesen, mit dem der Bauer auf die Worte des Jägers hin sein Gehöft überflogen hatte, und während er nun lächelnd vor sich

Italienische Traubenhändlerin. Nach dem Oelgemälde von A. Charodeau.
Nach einer Photographie im Verlage von Ad. Braun u. Co. in Dornach (Vertreter Hugo Grosser in Leipzig).

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_681.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2023)