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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

der Stadt, kein Verplaudern in lieber Gesellschaft. Wenn seine Mariann’ gesagt hatte: zu der und der Stunde komm’ ich – dann kam sie auch – oder –

Bei diesem Oder stockte der Bauer, als scheue er sich, den Gedanken auszusprechen, der sich für ihn an dieses Oder knüpfte. Aufseufzend näherte er sich einem der Fenster und riß es auf, als würde es ihm zu schwül in der Stube. Dann schob er sich hinter den Tisch, stützte die Arme auf und legte den Kopf zwischen die geballten Fäuste. Plötzlich wieder fuhr er auf:

„Hätt’ ich nur ’s Madel net mit fortlassen – im Herbst! Wär’ ich nur mei’m ersten Willeu g’folgt! Aber natürlich – wie’s halt so ’kommen is! Wenn so a fürnehme Frau vor ei’m dasteht und allweil in ei’n ’neinredt, da mußt am End’ Ja sagen, denn grob sein kannst ja doch net. Und – an d’ Hanni selber hab’ ich halt auch a bißl ’denkt. Sie is halt amal schon so ’worden, daß ’s ihr bei die herrischen Leut’ besser taugt als wie unter unserei’m. Weißt es ja selber.“

Der Jäger nickte; er wußte es freilich; während der sechs Jahre, die er nun im Dorfe war, hatte er es ja zum Theile mit angesehen, „wie das so gekommen“. Und was jener Zeit vorausgegangen, das hatte er so nach und nach aus Gespräch und Gespräch erfahren. Und wie viel des Guten hatte er dabei über die selige Finkenbäuerin gehört, die an dem Tage dahingegangen war, an dem sie der Hanni das Leben geschenkt hatte. Wenige Wochen später waren dem alten Finkeubauer von eiuem schlagenden Pferde die Rippen der Herzseite zerschmettert worden; lange Monate mußte er in schwerem Siechthume liegen, ehe der Tod ihn von seinen Leiden erlöste. Von ihm hatte Jörg, der bei seinen dreiundzwanzig Jahren schon ein „strammes resolutes Mannsbild“ war, als der Erstgeborene unter den fünf Geschwistern das Regiment auf dem Finkenhofe mit kräftigen Händen übernommen. Aber gleich im ersten Jahre seiner Herrschaft kam schwere Kümmerniß über den jungen Bauer, der mit einer seltenen Zuneigung an seinen Geschwistern hing. Es schien, als hätte der Tod in dem freundlichcn Hause sich heimisch gefühlt. Noch trauerte Jörg mit ehrlichem Herzen um die geschiedenen Eltern, da mußte er auch die beiden Geschwister zu Grabe tragen, die im Alter zwischen ihm und Ferdl standen; in der gleichen Woche waren sie an den schwarzen Blattern gestorben. Als die Krankheit bei ihnen ausgebrochen war, hatte Jörg die beiden jüngsten Geschwister aus dem Hause geschafft. Seinen „Ferdlbuzzi“, der damals ein Bürschlein von sechs Jahren war, hatte er zu einem Verwandten der Mutter gebracht, in ein fünf Stunden vom Dorfe entferntes Gehöft. Doch ehe noch eine Woche vergangen war, erschien eines Abends der Knabe im Finkenhofe, allein, über und über verstaubt und triefend von Schweiß – „ganz verlechzt und derlegen“, wie der Finkenbauer zu erzählen pflegte, wenn er auf diese Geschichte zu sprechen kam, die er zumeist mit den Worten schloß: „Und weißt, was er g’sagt hat, der kleine Loder, wie ich ihn in mei’m ersten Schrecken völlig angefahren hab’, weßwegen als er durchbrennt wär’ bei seine Vetterleut’? Da hat er so aufg’schaut zu mir mit nasse Augen – und g’rad g’stößen[1] hat’s ihn, wie er g’sagt hat: ,Ich – ich hab’s nimmer ausg’halten – weil – weil’s mich gar so b’langt[2] hat nach mei’m Jörgenbruder!‘ Da hab’ ich ihm aber schon a Bussel ’naufdruckt, das er g’spürt hat a vierzehn Tag’ – und seit der Stund’, da is Dir das Büabl mein Auf und Nieder g’wesen – da hat’s fein nix mehr ’geben!“

Und dieser Geschichte pflegte der Finkenbauer in lächelndem Bruderstolze manchmal die Vermuthung beizufügen, daß wohl auch sein „Hanniderl“ so zu ihm gelaufen gekommen wäre, wenn es damals überhaupt schon hätte laufen können.

Das kleine Hanniderl hatte in jenen bösen Tagen eine „gar hochwürdige Unterkunft“ gefunden. Die alte Schwester des Pfarrers, die das Kind aus der Taufe gehoben, hatte es zu sich in den Pfarrhof genommen – und da wurde das herzige Wesen in kurzer Zeit das lachende Licht des sonst so stillen Hauses, der gehätschelte Liebling des hochwürdigen Herrn und seiner ehrwürdigen Schwester. Als dann der Finkenhof wieder rein war von dem verderblichen Odem jenes finsteren Gastes, entspann sich zwischen Jörg und der Schwester des Pfarrers ein hartnäckiger Kampf: der eine wollte das Kind bei sich im Hause haben, die andere wollte den Liebling nicht aus ihrer Pflege entlassen. Und Jörg war es, der am Ende nachgab – aus verständiger Zuneigung zu dem Schwesterlein. Er mußte sich sagen, daß er bei all seiner Liebe das Kind selbst nicht warten konnte, daß er ihm eine fremde Person halten müßte, die dem Kinde doch gewiß nicht jene zärtliche Fürsorge widmen würde, deren es bei jenen beidcn alten Leuten sicher war, die es liebten wie eigenes Blut. So verblieb denn das Hanniderl im Pfarrhofe; alltäglich wurde es in den Finkenhof zu Besuch getragen, bis es diese Besuche auf eigenen Füßen abzustatten vermochte; an groben Wetterlagen und auch sonst an manch einem Abende kam Jörg mit dem munter sich streckenden Ferdl auf ein Plauderstündchen in den Pfarrhof, und niemals kam er, ohnc dem Kinde einen Leckerbissen oder ein Spielzeug mitzubringen.

Die Jahre vergingen, und aus dem Hanniderl wurde das kleine Hannerl, ein liebliches, bescheidenes, wohlerzogenes Mädchen, das in der Schule stets auf dem ersten Platz saß, dem alle Bewohner des Dorfes freund waren, obwohl sie es bald nicht mehr als ihres Gleichen betrachteten und ihm jene respektvolle Behandlung angedeihen ließen, als wär’ es ein Kind „fürnehmer“ Leute. Vielleicht lag die erste Ursache dieser Behandlung nur in der städtischen Kleidung, die das Mädchen auf Anordnung seiner Pathin zu tragen bekam; bald aber fanden sich weitere nachhaltige Ursachen hierfür in der Art und Weise, in der sich Hanni’s Wesen entwickelte. Der alte Pfarrer, ein edel gearteter, fein gebildeter Mann, der außer der Bibel auch andere Bücher nach ihrem Werthe gelten ließ, hatte seinen und seiner Schwester Liebling auch zu seiner Schülerin gemacht. Dadurch kam es, daß Hanni gar bald in allem und jedem ihre Altersgenossinnen weit überragte, in denen die hierdurch erweckte Scheu jede gespielsame Vertraulichkeit erstickte. So sah sich das Mädchen in den sommerlichen Ferienwochen und in den spärlichen Freistunden der übrigen Zeit auf den Verkehr mit ihrem Bruder Ferdl beschränkt, der mit einer abgöttischen Verehrung an seiner Schwester hing. Wenn sie kam, um mit ihm durch Wiesen und Wald zu streifen, dann warf er gar eilig Holz und Messer in die Ecke, diese beiden Dinge, die ihm doch in der Schule schon über Tafel und Griffel und selbst über Essen und Trinken gingen. Späterhin aber fand das Mädchen noch einen zweiten Gespielen in Ferdl’s „noblem Kameraden“, in dem mit diesem gleichalterigen jungen Grafensohne aus dem Schlosse droben, einem hübschen, schlank gewachsenen Knaben von feinem, traulich munterem Wesen.

Von der Stunde an, in welcher Luitpold mit seinen Eltern auf dem Schlosse zur Sommerfrische eintraf, war er von Ferdl fast unzertrennlich, tobte und tollte mit ihm, ließ sich von ihm leiten und führen und verführte ihn wohl auch selbst zu kecken Streichen, die dann stets, wie sie auch ausfallen mochten, an Jörg einen lächelnden Vertheidiger fanden. Der junge Bauer war ordentlich stolz auf den „nobligen Umgang“ seines Herzbuben. Und doch – wenn man den Verkehr der beiden Knaben in ihrem Zusammensein mit „Hannchen“, wie Luitpold das Mädchen nannte, des genaueren beobachtete, mochte es fast den Anschein gewinnen, als pflegte das junge Herrchen die Kameradschaft mit dem Bauernsohne nur um dessen kluger, lieblicher Schwester willen, die in seiner Sprache mit ihm redete und seine Gedanken mit ihm dachte.

Dieses trauliche Zusammenleben nahm ein plötzliches Ende, als Ferdl mit sechzehn Jahren nach Berchtesgaden zu einem tüchtigen Holzschnitzer in die Lehre gebracht wurde. Es war das des Knaben eigener, heißer Wunsch gewesen – und doch kostete ihm der Abschied von Bruder und Schwester bittere Thränen. Auch Luitpold blieb in den nächsten Jahren dem Dorfe ferne, da er die Sommermonate in einem Seebade verbrachte, welches sein Vater zur Stärkung seiner Gesundheit besuchen mußte. Hannchen schien diesen doppelten Verlust recht schwer zu empfinden; sie wurde so seltsam still und in sich gekehrt. Darin änderte auch der Wechsel ihrer äußeren Lebensweise nichts, der bald nach Ferdl’s Abreise vor sich ging. Schon seit Jahren hatte es Jörg alljährlich ein paarmal versucht, sein Hannerl aus dem Pfarrhofe zu entführen – aber immer wieder hatte er sich durch die Bitten der Pfarrersschwester die Bewilligung neuer Fristen abschmeicheln lassen. Unerbittlich jedoch wurde er, als er sein Begehren durch den Vorhalt unterstützen konnte, daß das Mädchen nun auch im elterlichen Hause in guter Pflege und unter geziemender Aufsicht stehen würde – als nämlich auf dem Finkenhofe eine junge Bäuerin

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_699.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)
  1. vor Schluchzen gestoßen.
  2. verlangen, sehnen.