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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

ihren Einzug gehalten hatte. Es war das gar rasch gekommen, mit dieser „Freit“ – und es war dabei gar einfach zugegangen. Es war da eines Tages auf dem Finkenhofe eine junge, saubere, blonde Dirne in Dienst getreten, die Mariann’, auch eine Waise, die nur noch einen Bruder hatte, der tief in den Bergen ein kleines Häuschen besaß und als Holzknecht, Pechsammler und Schachtelmacher sein und seines Kindes Leben fristete. Von allem Anfang an war Jörg über die Maßen zufrieden mit seiner neuen Oberdirne, die bei jeder Arbeit so herzhaft zugriff, mit so stillem Fleiße im Hause waltete, immer und überall den Vortheil ihres Herrn zu wahren bestrebt war, als wär’ es ihr eigener. Da begann denn Jörg gar bald zu denken: die Mariann’ gäb’ einmal eine richtige Bäuerin ab – und von diesem Gedanken war nur noch ein kleiner Schritt zu dem andern: die Mariann’ wär’ die richtige Bäuerin für mich! Auf Geld brauchte er ja nicht zu sehen, er, der Finkenhofbauer, den die Leute im Dorfe den „Goldfink“ nannten. Eines Abends nun, als Mariann’ den jungen Bauer auf einen Uebelstand in der herkömmlichen Milchwirthschaft aufmerksam machte und wohlmeinend beifügte: zu so etwas gehöre halt eine Bäuerin her – da lächelte Jörg und sagte: „No, da is ja leicht g’holfen! Werd’ halt Du mein’ Bäuerin!“

Der Mariann’ schoß das Blut bis unter die Haare, und ganz starr schaute sie den Bauer an: dann verließ sie wortlos die Stube – und am andern Morgen kündigte sie den Dienst auf. Jörg nickte nur und ließ sie gehen; es war ihm völlig recht so, denn er konnte seine Bäuerin doch nicht geraden Wegs aus dem eigenen Gesindehause holen. Drei Tage später aber fuhr er der Mariann’ nach, die zu ihrem Bruder gegangen war, und wiederholte in aller Form seinen Antrag. Zwar erröthete die Mariann’ auch jetzt wieder bis unter die Haare – aber sie blieb nicht wortlos, wenn es auch nur ein einziges Wörtlein war, das sie sagte: „Ja!“

Und die Mariann’ wurde dem Jörg, was er sich von ihr versprochen hatte, eine treffliche Frau – dazu noch eine gute Mutter der zwei hübschen kräftigen Kinder, mit denen sie ihn beschenkte. Jörg wurde der Frau, die er sich eigentlich doch nur aus verständiger Ueberlegung genommen, von Herzen gut – und auch sie war ihm gar zugethan, wenn sie dies auch nie in Zärtlichkeiten äußerte. Ihr Mann stand für sie immer über ihr, sie schaute zu ihm auf, sein Wille war der ihre, sein Wort ihr Gesetz, sie dachte, wie Jörg dachte, und that, was er gethan wissen wollte. Auch ihr Gefühl für seine junge Schwester, welche bald nach der Hochzeit in das heimische Haus übersiedelte, war in erster Linie Verehrung; sie behandelte das Mädchen, so herzlich dasselbe der Schwägerin auch entgegenkam, stets wie einen vornehmen Gast. Freilich, Hanni verbrachte auch jetzt den größten Theil des Tages im Pfarrhause, wo sie lernte und lernte, was der alte Pfarrer und seine Schwester sie nur zu lehren wußten. Nur wenn der Ferdl zu Besuch ins Dorf kam, dann erhielten Hanni’s Bücher und Hefte Ferienzeit – und da sah man die Beiden fast nie ohne den Jörg, und den Jörg fast nie ohne die Beiden, so daß man sie im Dorfe nur die „verliebten G’schwister“ nannte.

Auch die Mariann’ betrachtete dieses Zusammenhalten mit lächelndem Gesichte, sie selbst und ihre Kinder kamen ja dabei nicht zu kurz – und der Ferdl war nun einmal die Freude ihres Mannes, die Hanni sein Stolz. Aus dem Ferdl war aber auch ein Bursche geworden, an dem man seine Freude haben konnte: schmuck und stramm, und ebenso wohlgerathen im Charakter, wie in seinem Aussehen. Und gar, als er zum ersten Male in der knappen, kleidsamen Soldatenuniform erschien, als er heimkehrte aus Frankreich, geschmückt mit dem eisernen Kreuze und der goldenen Medaille, da rannte das ganze Dorf zusammen, um den Ferdl anzustaunen. Bei jedem seiner Besuche brachte er als Geschenk für den Bruder ein schönes Schnitzwerk mit, und diese Arbeiten, welche in Hanni’s freundlichem Stübchen aufgestellt wurden, zeigten von Besuch zu Besuch, wie Ferdl aus einem Handwerker ein Künstler in seinem Fache zu werden begann. Häufig, wenn er im Dorfe anwesend war, äußerte er der Schwester gegenüber, wie sehr es ihn freuen würde, seinen Jugendkameraden, den „Grafen Luitpold“ wieder einmal zu sehen.

Immer schwieg die Schwester zu solchen Worten – kaum daß sie ein wenig mit dem Köpfchen nickte; dennoch aber meinte Ferdl ihr anzumerken, daß sie seinen Wunsch theilte, wenn sie es auch mit keiner Silbe verlauten ließ. Das war überhaupt so ihre Art geworden: von allem, was sie bewegen und erregen mochte, kam nur wenig über ihre Lippen. Ihre Denk- und Empfindungsweise ging weit über das Leben hinaus, von dem sie umgeben war. Im Hause des Bruders fand sie wohl Liebe und Verehrung in Fülle, aber wenig Verständniß; das machte sie schweigsam und verschlossen; gesprächig wurde sie nur im Pfarrhofe, wo sie in der letzten Zeit der kränkelnden Schwester ihres alten Lehrers die einst genossene Pflege mit gleichem Dienste vergelten konnte. Unwillkürlich übte sie jene Wortkargheit nach und nach auch gegen Ferdl, wenn er zugegen war – und der hätte sie vielleicht doch in so manchem verstanden, was sie vor ihm in sich verschloß.

Als Ferdl nach abgedienter Militärzeit das letzte Mal im Finkenhofe zu Besuche gewesen war und vom Grafenjäger erfahren hatte, daß Luitpold, der im Munde der Schloßleute bereits „der junge Herr Graf“ geworden war, im nahenden Sommer die Eltern wieder einmal in das Dorf begleiten würde, da war auf seinen Lippen mit dem Luitpold kein Ende gewesen. Alles was er von Gidi über ihn erfahren konnte, hinterbrachte er wieder der Schwester: daß Luitpold nun seine Universitätszeit vollendet habe, daß er während der letzten Jahre nicht habe kommen können, weil er alljährlich die Ferienmonate dazu benutzt hätte, die Hauptstädte fremder Länder zu bereisen, und daß er nun einer von jenen großen Herrn zu werden gedächte, die über das Wohl und Wehe der Staaten mit einander zu verhandeln haben.

Da war es nun dem Ferdl bitter leid, daß er die Ankunft des Vielbesprochenen nicht abwarten konnte, da er sich für Georgi bereits wieder nach Berchtesgaden verdingt hatte, wo sich die Meister um den außergewöhnlich tüchtigen Gesellen förmlich rauften. Zwei Monate nach seiner Abreise trafen sie ein, die Gräfin, der Graf, von dem die Leute meinten, daß er während des letzten Winters recht „zusammengegangen“ wäre, und Luitpold, den man kaum wieder erkennen wollte. Als sie am Finkenhofe vorüberfuhren, lief alles an den Zaun, was Füße hatte – nur Hanni war in ihrem Stübchen verblieben; sie hob nicht einmal die Augen von ihrem Buche, als drunten der Wagen rasselte. Am andern Morgen schon kam Luitpold in den Finkenhof, brachte dem Bauer Grüße vom Vater und frug nach dem „Ferdinand“ und nach dem „Hannchen“. Mit breitem, behäbigem Stolze erzählte Jörg von seinem Ferdl. Dann holte er die Hanni herbei; er hatte so merkwürdig gelächelt, als er nach dem „Hannchen“ fragen hörte. Nun erschien sie unter der Thür – und da standen sich die Beiden gegenüber und starrten sich an mit so seltsamen Blicken – das Mädchen den Jüngling mit der vornehmen, hochgewachsenen Gestalt, mit dem feinen, stolzen Kopfe und den edlen Zügen – er das Mädchen mit dem madonnenhaft schönen Gesichte und den tiefen, seelenvollen Augen, in dem geschmackvoll schlichten, grauen Gewande, das sich in weicher Glätte um die sanften Formen des jungfräulichen Körpers schmiegte.

Jörg in seinem Bruderstolze weidete sich an der „Ueberraschung“ seines Gastes, der Mühe zu haben schien, für das Mädchen, für „Fräulein Johanna“, ein paar freundliche Worte zu finden. Nach kurzem Verweilen entfernte sich Luitpold mit einer fast auffälligen Eile. Als er einige Tage später der Johanna im Dorfe begegnete, schritt er an ihr vorüber, indem er sie wortlos grüßte; dabei aber zog er den Hut so tief, als wäre sie seines Gleichen. Vielleicht hatte Johanna nur den ersteren Umstand beachtet, und nicht auch den letzteren, vielleicht sah sie darin die Aeußernng eines Stolzes, der sie wohl kränken konnte – sie begann dem jungen Manne auszuweichen, und häufig, wenn sie ihn allein oder in Begleitung des Jägers die Straße einher kommen sah, trat sie unter einem rasch ersonnenen Vorwande in das nächste Haus.

Da war es nun Luitpold’s Mutter, welche die Beiden wieder in nähere Berührung mit einander brachte. Die Frau Gräfin hatte eines Sonntags die Johanna in der Kirche singen hören. Das Mädchen besaß eine Altstimme von wunderbar weichem Klange und ergreifender Innerlichkeit – und wenn diese Stimme während des Hochamtes vom Chore niederzitterte durch den weiten Kirchenraum, dann sagten die Bauern, daß sich dabei zehnmal leichter und besser beten ließe, als wenn der alte Schulmeister

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_702.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)