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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Röthe und Blässe wechselten auf Veverl’s Wangen; sie brachte die Augen nicht von den Dielen los; sie hörte nur, wie er hinter dem Tische hervorsprang – jener Andere – wie er nahm, was der Jörgenvetter ihm reichte – wie er sich dem Bruder an den Hals warf und wie er schluchzte: „Jörg – Jörg – b’hüt Dich Gott, mein Jörg – bet’ Du für mich an unsrer Hanni ihrem Grab – und – der liebe Herrgott soll uns a Wiederfinden geben!“

„Fort – fort – fort – fort –“ das war das einzige Wort, welches Jörg noch über die Lippen brachte. Mit beiden Armen schob er den Bruder der Thür zu; nun kamen sie an Veverl vorüber, die das thränenüberströmte Gesicht verborgen hielt in den zitternden Händen; sie sah es nicht, sie fühlte es nur, wie jener Andere vor ihr die Schritte verhielt, als wollte er zu ihr sprechen – aber nur das stammelnde „Fort, Ferdl – fort – fort –“ des Bauern bekam sie zu hören, der den Bruder mit sich hinausriß über die Schwelle, während der Hund mit unruhigem Gewinsel ihnen voraussprang in den finsteren Flur.

Die Schritte verstummten – dann herrschte Stille, und nur der träge, schläfrige Pendelschlag der Wanduhr war noch zu hören.

Veverl wollte sich der Holzbank nähern; aufkreischend aber fuhr sie zurück. Unter schweren Faustschlägen dröhnte der Fensterladen, die Stimme fast übertönend, die draußen im Hofe den Namen des Bauern rief.

Mit angstvollen Augen starrte das Mädchen um sich; da sah es den Jörgenvetter lautlos unter der Thür erscheinen: mit beiden Armen stützte er sich an die Balken, seine Augen glühten, und fahle Blässe deckte sein Gesicht; er schien es nicht zu hören, als am Fenster die hallenden Schläge sich wiederholten; den Kopf über die Schulter zurückgeneigt, lauschte er der Tiefe des Hauses zu; jetzt flog ein Zucken über seine Mienen, und ein lang anhaltender Athemzug schwellte seine Brust.

Zum dritten Male dröhnte der Fensterladen unter rascheren, heftigeren Schlägen.

Straff richtete Jörg sich empor und trat in die Mitte der Stube.

„Was giebt’s da draußen – wer will was von mir – jetzt in der Nacht?“

Vor dem Fenster wurde ein kurzes Wispern hörbar, dann ließ eine fremde, scharfklingende Stimme sich vernehmen. „Georg Fink – im Namen des Gesetzes – öffnen Sie die Thür!“

Jörg nahm die Lampe vom Tische – ihre gläserne Glocke klirrte, so zitterte seine Hand – und verließ die Stube.

Veverl wollte sich im Finstern der Bank entgegentasten, doch ehe sie dieselbe noch erreichte, sank sie schluchzend auf die Kniee. Draußen rasselte der Riegel, die Thür knarrte – und dann hörte das Mädchen den Jörgenvetter sagen:

„Die Thür’ is offen – aber – aber eh’ daß wer an Fuß über mein’ Schwellen setzt, möcht’ ich wissen, was das alles zum bedeuten hat? Was hat a Schandarm in der Nachtzeit zum suchen in mei’m Haus?“

„Nix für ungut, Finkenbauer, nix für ungut,“ klang die sprudelnde Stimme des Kommandanten.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren!“ wurde Herr Wimmer von jener fremden, scharf und ungeduldig klingenden Stimme unterbrochen. „Georg Fink, ich fordere Sie auf, mir anzugeben, was Ihnen über den gegenwärtigen Aufenthalt des Unterofficiers Ferdinand Fink bekannt ist, der sich vor zwei Tagen widerrechtlich –“

Die Stimme verstummte, als lausche derjenige, der da sprach, dem heiser kläffenden Gebell, das von der Gartenseite des Hauses her plötzlich erscholl. Jetzt erlosch es mit einem stöhnenden Heulen – und gleich darauf bogen eilende Schritte um die Hausecke.

„Herr Kommandant, hab’ zu melden –“ schlugen keuchende Worte an Veverl’s Ohr, „drin is er g’wesen, drin im Haus – und durch’n Garten hat er fort wollen – ich hab’ ihn g’nau derkennt, an der Uniform, an der ich die Knöpf’ hab’ blitzen sehen – aber wie ich ihm nach will, fallt das Hundsvieh über mich her – und natürlich, bis ich mir da Luft g’schafft hab’ –“

Ein dumpfer Schlag, dem ein schmetterndes Klirren folgte, übertönte die Stimme und die enteilenden Tritte der Gendarmen.

Jammernd stürzte Veverl hinaus. in den jählings verfinsterten Flur und fand den Bauer neben der zerschellten Lampe wie leblos hingestreckt über die Steine. Während sie sich an seiner Seite niederwarf, füllte sich die Thür mit den herbeieilenden Mägden und Knechten; Emmerenz erschien mit einem Lichte; allen andern voraus aber drängte sich Dori:

„Ja was is denn – um aller Heiligen willen – Veverl – es wird doch Dir nix g’schehen sein?“

„Hilf, Dori, hilf, hilf – da schau – der Jörgenvetter –“ schlnchzte das Madchen.

Draußen vor der Thür aber ließ sich Valtl’s Stimme vernehmen. „Sauber! Sauber! Schandarmen und Haussuchung – und a Spitzbua unterm Dach. Da kann sich der Finkenbauer jetzt sein’ Kampl[1] scheren lassen. Goldfink? Ja, schön – ‚beim Mistfink‘ soll man’s heißen auf dem Haus.“ Und mit rohem Gelächter schritt der Knecht über den Hof hinweg der Straße zu.


Still und schwarz lag noch die Nacht über dem Dorfe, nur einzelne Bergspitzen hoben sich mit mattem, fahlem Schimmer aus dem alles umhegenden Dunkel – auf jenen Höhen ruhte noch der Blick des Mondes, dessen Scheibe dem Thale längst schon hinter dem waldigen Grate der Höllenleithe entschwunden war.

Mit sachtem Rauschen zog ein kühler Wind hernieder über die finsteren Gehänge, spielte um die Erker und Thürmchen des Schlosses, machte die Wetterfahnen knarren und singen und plauderte durch die kärglich belaubten Bäume des thalwärts ziehenden Parkes, als Gidi das an die Parkmauer angebaute Jägerhaus verließ und rüstigen Schrittes durch das schlummernde Dorf dahinwanderte.

Still und dunkel lagen die Häuser, nur am Wohnhause des Finkenhofes sah Gidi hellen Lichtschein durch die herzförmigen Ausschnitte der Fensterläden dringen.

Er frug sich, was wohl die Leute da drinnen so früh schon aus den Federn getrieben haben konnte, denn er wußte noch nicht, wem am verwichenen Abende der Ton der Todtenglocke gegolten hatte.

Lange hingen seine Blicke an dem dunklen Gesindehause, und besonders lange an einem kleinen, eng vergitterten Fenster des oberen Stockes.

„Ah ja!“ seufzte er endlich und dachte dabei an einen gewissen Morgen des verwichenen Frühjahrs, an welchem Emmerenz kurze Wochen nach ihrem Eintritt auf dem Finkenhofe die Bründlalm auf dem Höllberge bezogen hatte. Er wandte sich wieder der Straße zu, die er bald verließ, um dem über die steilen Wiesen der Höhe des Bründlkopfes zuführenden Steige zu folgen.

Mit eilenden Schritten suchte er die vor dem Finkenhofe versäumten Minuten einzuholen. Als er das Gehölz erreichte, wurde sein Gang wieder sachter und beinah lautlos sein Schritt. Er lüftete die Joppe und öffnete das Hemd; in langen, ruhigen Zügen ging sein Athem, während er zwischen Büschen und Bäumen den finsteren Weg emporstieg, auf dem nur ab und zu eine blanke Felsplatte das Dunkel mit mattem Weiß durchschimmerte. Gidi’s Augen und Gedanken eilten seinen Schritten voraus, denn sie brauchten sich um den Weg nicht zu kümmern, der lag ihm schon in den Füßen.

An die zwei Stunden stieg er so empor. Ueber ihm begannen die Sterne zu erblassen, ein mattes Dämmern erwachte unter den Bäumen, und von Osten her blickte der Himmel schon mit fahlem Grau durch das Gezweig, in welchem sich bereits vereinzelte Vogelstimmen schüchtern vernehmen ließen. Lautlos glitt der Fuß des Jägers über das Moos, die zerstreut liegenden Steine und Reiser achtsam vermeidend und oft in weitem Bogen die grauen, von Tannennadeln übersäten Schneeflächen umgehend, die unter dichter stehenden Bäumen ein spätes Dasein fristeten.

Ab und zu verhielt der Jäger die Schritte und lauschte lange Minuten bergwärts. Dann stieg er weiter – blieb wieder stehen – und endlich hörte er, was er zu hören hoffte: jenes matt und hölzern klingende Klippklipp, das kein rechter Jäger mit ruhigem Herzschlag vernimmt.

Eine Strecke von etwa fünfzig Schritten birschte Gidi noch unter den Bäumen dahin, dann begann er „den Hahn anzuspringen“. Regungslos wie eine Säule stand er, so lange der Auerhahn schwieg und so lange das Klippen währte, das nun schon näher klang und anzuhören war wie helle, rascher und rascher werdende Zungenschläge, doch wenn das Klippen mit dem „Hauptschlag“ überleitete in das „Rodeln“ und „Schleifen“ – in diesen seltsamen, aus Fauchen, Wispern, Blasen, Pfeifen und Gurgeln

  1. Kamm.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_740.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)