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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Gidi aber übersah die Hand. „Das war unser erster Tanz, Emmerenz,“ sprach er die Dirne leise an, „– und ich mein’ schier, unser letzter! Ich dank Dir schön – und nix für ungut!“ Damit rückte er den Hut und stapfte davon.

Wenige Minuten später wanderte er schon mit langen Schritten dem Schloßberg zu, die Büchse auf dem Rücken, begleitet von seinem Hunde, der unter fröhlichem Gebell und mit spielenden Sprüngen seinen Herrn umkreiste. Im Finkenhofe aber war ein arges Verwundern darüber, als die Oberdirne lange vor „Betläuten“ schon vom Almtanz nach Hause kam, mit einem so fuchsteufelswilden Gesichte, daß ihr alles Gesinde aus dem Wege ging.


Drei Tage verstrichen, und unter den Sticheleien der Dienstboten verschlimmerte sich Enzi’s Laune noch. Am bittersten mußte Dori darunter leiden. Wie er seine Arbeit auch thun mochte, immer hatte die Oberdirne daran zu nörgeln und zu räkeln.

Um dieses einen Umstandes willen athmete Dori ordentlich auf, als der Morgen kam, an welchem der Auftrieb zur Alm vollzogen werden sollte. Andererseits freilich war ihm das Herz gar schwer; denn dieser Morgen brachte ja den Abschied von Veverl. Als er bei grauendem Frühlicht in die Gesindestube zur Morgensuppe kam, hatte er ein ganz verschwollenes Gesicht und rothe Augen und immer wieder fuhr er sich mit den Fäusten über die Wangen und unter die Nase, während er die siebzehn Schafe, die droben auf den Bergen seiner Aufsicht unterstehen sollten, aus dem Pferche in den Hof trieb, wo er den Mutterthieren die kugeligen Schellen, dem Widder die große Leitglocke um den wolligen Hals befestigte. Inzwischen trieb die Emmerenz unter Schelten und Schreien die läutenden, brüllenden Kühe und die blökenden Kälber vor dem Zaune auf einen Knäuel zusammen und fuchtelte dabei mit ihrem langen Haselnußstabe, wie ein Fuhrmann vor dem Knallen mit der Peitsche.

Inmitten des Hofes stand Mariann’ in leisem Gespräche mit dem Bauer, der den Bergstock in Händen hielt und die schwerbepackte Kraxe schon auf dem Rücken trug.

Veverl lehnte, die beiden Kinder an ihrer Seite, am Geländer der Grät. Die eine Hand hielt sie in der Tasche ihres Röckchens vergraben. „Dori, Dori!“ hatte sie schon ein paarmal leise gerufen, aber so oft der Bursche in ihre Nähe kam, eilte er abgewandten Gesichtes an ihr vorüber.

Draußen im Hofe mahnte jetzt der Bauer die Emmerenz, daß sie doch das Schelten und Fuchteln lassen möchte; mit Ruhe käme sie rascher zum Ziele, und es wäre an der Zeit, mit dem Auftrieb zu beginnen, wenn man vor der Mittagshitze die Bründlalm erreichen wollte.

Als Veverl den Jörgenvetter so drängen hörte, verließ sie die Grät, um Dori unter seinen Schafen aufzusuchen, und sprach den Burschen mit vorwurfsvollen Worten an: „Han, Dori – möchtest gleich gar auf d’ Alm auftreiben, ohne daß mir,B’hüt Gott!‘ sagen thätst?“

„Ah na – ah na, Veverl,“ stammelte Dori und fuhr mit der schnuffelnden Nase in die Höhe, ich wär’ schon noch kommen – g’wiß – ganz g’wiß!“

„No, jetzt brauchst ja nimmer kommen, jetzt bin ich ja da,“ erwiderte das Mädchen mit treuherzigem Lächeln. „Und — schau, Dori, da hab’ ich Dir ’was ’bracht, das gieb ich Dir mit auf d’ Alm, weil mir doch auch schon so oft a Freud’ g’macht hast!“ Dabei zog sie die Hand aus der Tasche und reichte dem Burschen ein winziges, aus dunklem Seidenstoff gefertigtes Säckchen, das an einer dünnen Schnur befestigt war. „Da – das mußt um Dein’ Hals ’rumhängen – weißt – a heiligs Bannwürzerl is drinn’, das b’schützt vor gachem Unglück und vor Zaubermacht – so hat mein Vaterl g’sagt, der wo mir’s ’geben hat.“

Die dicken Thränen schossen dem Burschen in die Augen. „Veverl – Jesses na – o mein Gott, o mein Gott – na na, das kann ich net nehmen,“ stotterte er, griff aber hastig mit den beiden zitternden Händen nach dem Schnürchen und fuhr damit seinem Halse zu. Danken konnte er dem Mädchen nicht, denn das kleine Liesei faßte ihn bei der Joppe und frug: „Du, Dori, han, dauert’s noch lang’, bis d’ Edelweißbleameln blühn?“

„O nein – noch g’wiß a fünf a sechs Wochen,“ stotterte der Bursche und versuchte seinen Joppenzipfel aus den Händen des Kindes zu ziehen.

Das Liesei aber hielt fest. „Gelt, Dori, wenn s’ nachher blüh’n, nachher suchst mir eine, und wann D’ abtragen thust, nachher bringst mir s’, gelt? Und – und wann ’leicht dem Edelweißkönig sein Königsbleamerl finden thätst, nachher bringst mir’s auch, gelt, Dori – weißt, ich gieb Dir schon was dafür!“

„Ja, ja, Liesei, is schon recht – aber laß mich nur jetzt g’rad a bißl aus —“

Weiter kam Dori nicht, denn der Bauer trat herzu und mahnte: „Schau, daß Dein’ Kraxen in d’ Höh’ bringst! Es is an der Zeit!“ Dann reckte er sich hoch auf und rief über die Herde hinweg: „Enzi – jetzt wird amal marschirt!“

„Ja, Bauer, ich bin schon g’recht!“ scholl die Stimme der Dirne entgegen. Jetzt kam die Mariann’ herbei geeilt. Sie hatte das Weihbrunnkesselchen aus der Stube geholt, rief die Sennerin und den Hüterbuben zu sich, besprengte sie mit dem geweihten Naß und wünschte ihnen glückliche Almzeit.

Nun setzte sich der Zug in Bewegung. Der Bauer schritt voraus; ihm trotteten die Schafe nach, dann kamen mit Läuten und Brüllen die Kühe und Kälber, denen Enzi und Dori mit ihren hohen Kraxen und langen Stäben folgten. Am Zaune glückte es dem Dori noch, Veverl’s Hand zu erhaschen; er sprach kein Wort dazu, er schnuffelte und schluckte nur unter Thränen. Doch als er die Straße erreichte, fuhr er sich mit der Faust über die Augen, schnalzte mit der Zunge und ließ einen Juhschrei in die Lüfte schrillen, daß klingend von allen Bergen das Echo wiedertönte.

„So is recht! So g’hört sich’s!“ lächelte Mariann’; dann aber wandte sie sich mit ernstem Gesichte zu Veverl. „Daß sich d’ Enzi gar net hören laßt! Ich weiß net – die zieht heuer mit ei’m recht unguten G’müth auf d’ Alm – und – so ’was is net gut – für sie net und net für’s Vieh.“ Und mit besorgten Blicken sah sie der Dirne nach, die hinter ihrer Herde einherschritt, als ging es weiß Gott wohin, nur nicht nach der Bründlalm, nach ihrem „liebsten Platz auf der weiten Gotteswelt“.

Mit desto hellerem Gesichte blickte Dori der Höhe zu, der sie entgegen stiegen, und als der Zug den Frühschatten der ersten Bäume erreichte, begann er ein Jodeln und Jauchzen, daß es nur so wiederhallte im steilen, rauschenden Bergwalde. Als aber einmal der Weg am Höllbachgraben hart vorüber führte, verstummte der Bursche plötzlich inmitten eines Jodlers und faßte die Emmerenz bei’m Arme: „Du – da schau – der Bauer!“ flüsterte er und deutete nach dem vom Gestrüpp überwucherten Hang, über welchen Jörg emporstieg, in der Richtung nach der hohen Platte.

„No ja – er wird halt droben a Vaterunser beten,“ meinte die Dirne.

„Du – han,“ frug Dori nach einer Weile, „weßwegen hat er denn an dem Platzl, wo’s Unglück g’schehen is, noch allweil kein Marterl aufrichten lassen? Das g’höret sich doch!“

Enzi zuckte die Schultern. „Was weiß denn ich? Und was geht’s denn uns an, wenn der Bauer net thut, was der Brauch is? Das is sein’ Sach’ net die unser’!“

Dori schwieg, runzelte die Stirn und schaute im Weiterschreiten dem Bauer nach, der zwischen hohen Büschen verschwand. Hätte er ihm noch weiter mit den Blicken folgen können, so würde er wohl zu der Ansicht gekommen sein, daß Emmerenz mit ihrer Meinung nicht das Richtige getroffen hatte. Wenigstens schien Jörg keine Eile zu haben, die Unglücksstelle zu erreichen. Als er sich aus dem wirren Buschwerk auf den freien, von Felsenklötzen übersäeten Hang gewunden hatte, verhielt er aufathmend die Schritte, setzte die Kraxe auf einen Stein und löste die Arme aus den Tragbändern. So stand er geraume Zeit und lauschte nach dem Wege hinunter, bis das Läuten, Blöken und Brüllen der almwärts ziehenden Schafe und Rinder fern und gedämpft einherklang durch das dichte Gehölz.

Jezt schlich er geduckten Leibes am Rande des Gebüsches entlang; als er den steilen Absturz erreichte, lauschte und lugte er wieder emporgereckten Hauptes – diesmal über die Schlucht hinweg der Richtung zu, in welcher die Jägerhütte stand. Dann las er drei faustgroße Steine von der Erde und steckte sie in die Joppentasche. Vorsichtig stieg er über den Schluchtrand auf einen Vorsprung nieder, der sich gleich einem Gesimse an der abfallenden Wand entlang zog; Steinschrunden, Felsecken und kümmerndes Gesträuche boten für seine Hände den nöthigen Halt, während er langsam dem der Höhe zuführenden Gesimse folgte; wo dasselbe

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