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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Hier beim Passiren der vor den äußersten Vorstädten gezogenen Befestigung erleiden Fuhrwerke der städtischen Mauth halber manchmal Verzögerungen.

Und richtig, kaum daß Edgar seine Erklärung laut werden ließ, rollte der Wagen schon wieder weiter, anfangs noch etwas langsamer, dann in der üblichen „husarischen“ Weise, darin der Stolz eines echten Wiener „Zeugels“ liegt. Und das des Herrn von Sperber war eines von den echtesten.

„Gott sei Dank!“ sagte Bianca, die Hand auf dem Herzen und tief Athem holend. „Ich dachte schon, wir wären verrathen!“

Edgar tröstete sie nun mit reichlichen Worten und berichtete, wie er alle Vorsorge getroffen, daß sie nicht gestört werden würden. An ein Einholen war ja nicht zu denken. Denn wer sollte Verdacht schöpfen, da alle, denen daran lag, Bianca’s Flucht zu verhindern, sie auf dem Wege nach Gumpoldskirchen, ja bald schon dort angelangt wähnen mußten?

Niemand, nicht seine vertrautesten Freunde, nicht sein Diener wußten, wohin er den Weg genommen. Allen sei eine andere Richtung, ein anderes Ziel angegeben. Der Kutscher ließe sich lieber von seinen eigenen Pferden zerreißen, eh’ er ein Wort verriethe. Das würde ihm auch die ganze elegante Kundschaft kosten. Darum sollte sie nur ganz beruhigt sein und die Reise fortsetzen, ohne sich trübe Gedanken zu machen.

„Aber die Pferde könnten doch nicht bis in die späte Sommernacht hinein so fortrasen,“ meinte Bianca.

Das brauchten sie auch nicht. Und das wäre nicht nur für die Pferde, sondern auch für die Insassen zu anstrengend, die doch noch die ganze Nacht und den kommenden Vormittag auf der Eisenbahn zubringen müßten. Der erste Lauf werde nur bis zu einem kleinen waldsicheren Ort gehen, wo Edgar bereits gestern alles in Person geordnet hatte, damit sie ungesehen, unbelauscht, unbelästigt ein gutes Mittagsmahl, dessen Hauptbestandtheile ebenfalls gestern aus Wien mitgebracht worden waren, einnehmen und dann seine Freundin einige Stunden der Ruhe pflegen könnte, bis die Pferde sich erholt hätten, die ärgste Hitze sich gemildert hätte und beide Durchgänger getrost die Weiterfahrt bis zu der bewußten Bahnhofsstation fortsetzen möchten.

Bianca ließ sich des Genaueren die Lage des Ortes schildern, vergaß aber alsbald den Namen, ohne dafür eine bestimmte Vorstellung seiner Beschaffenheit und seiner Entfernung von der Hauptstadt zu behalten. Was sie nicht vergaß und worauf es ihr vor Allem ankam, war, daß man dort sicher und allein und vor jeder Störung, vor jedem Späher geborgen war.

Daß dem so sei, schwur ihr Edgar hoch und theuer. Und darüber ward sie froh und immer froher bis zum Uebermuth. Es ging ja Alles vortrefflich!

Und wenn sich doch an ihre Freude eine gewisse nagende Bangigkeit herandrängte, so schmetterte sie jetzt einige helle Läufer und Triller los, die ihre Brust erleichtern und die Luft im Wagen mit guten Geistern bevölkern sollten.

Es ward ihr wirklich immer wohler und vertraulicher zu Sinn.

Auf einmal meinte sie, nun wären sie doch meilenweit genug von der Stadt entfernt, daß sie unbekümmert ein Fenster zur Seite öffnen dürfte.

Edgar, dem schon das laute Singen der Freundin heute nicht so geheuer als sonst klang, gestand es zögernd zu, vorausgesetzt, daß sie sich ruhig verhalten wollte, und ließ eigenhändig, ohne den blauen Vorhang zu erheben, das Glas herab.

Aber der Vorhang, gegen den nun der Wind anstand, zitterte so heftig und tobte so unangenehm hin und her, daß er die Schnüre zu zerreißen drohte, wenn man ihn nicht löste.

„Ach, hier hat’s wohl keine Gefahr!“ sagte der sorgliche Liebhaber, nachdem er sich auslugend überzeugt hatte, wo sie wären, und raschelnd rollte sich die blaue Seide um ihren Stab auf. Der schöne grüne Wald grüßte und duftete herein in den kleinen Wagen.

Bianca patschte wie ein Kind die Hände zusammen, so entzückte sie der Anblick der wundervollen Waldeinsamkeit, die wie ein Wandelbild durch den schwarzen Rahmen des Wagenfensters sie anmuthete. Sie hatte, ganz ihrer Kunst als Städterin beflissen, dergleichen lange nicht gesehen.

Und die Welt war so stille hier draußen, fern dem sausenden, brausenden, betäubenden Lärmen der Großstadt. Auch Bianca verstummte hier und sog nur mit gleichmäßigen, mit andächtigen Athemzügen die würzige Luft ein.

Sachte, sanft und fromm legte Edgar seine rechte Hand auf ihre linke. Sie duldete es, ohne sich zu ihm zu kehren, und ein dankbarer Druck ihrer kleinen Finger sagte mehr als Worte, was sie jetzt empfand.

Aber auch Worte wurden dann wieder gewechselt. Manchmal, wenn ein Lastkarren, mit einem langen, am schmalen Ende schwankenden Baumstamme befrachtet, an ihnen vorüberknarrte, flog Bianca’s Köpfchen hastig in die Ecke zurück und sie regte sich nicht, bis der Bauernknecht weit vorüber war, obschon sie dazu lachte, denn der Tagelöhner im Walde kannte sie nicht.

Einmal kamen ein paar fahrende Handwerksburschen vorbei und hielten ihre Mützen gegen den Wagen. Unbedenklich warf sie diesen ihr Kleingeld zu. Die armen Teufel sollten sich auch freuen an dem schönen Tage.

Und dann stapfte eine Herde Kühe mit triefenden wiederkäuenden Mäulern und klingelnden Schellen auf langsam schleppenden Füßen daher. Bianca lachte laut, so oft eins dieser breitstirnigen Häupter den Wagen anbrüllte und dazu mit langem Schweif über den Rücken schlug.

Und wieder eine Herde Kühe und noch eine und eine vierte – und dann war die Straße wieder leer und sie sahen nichts als die vorüberhuschenden Bäume, Sträucher und Pfähle und hörten nichts als das Rollen ihrer Wagenräder.

Aller guten Dinge froh und von Edgar vergewissert, daß sie nun bald anlangen und ihren rechtschaffenen Hunger stillen würden, wurde Bianca muthiger. Sie wollte nun auch die sämmtlichen anderen Vorhänge hoch ziehen

Jedoch das widerrieth Edgar. Man konnte doch nicht wissen! ...

„Na, aber doch noch einen!“

„Meinethalben, aber nicht den zur andern Seite!“

„Nein, den da nur, um etwas voraus auf den Weg blicken zu können.“

„Der Kutschbock und der Rücken Schani’s decken ja doch die beste Aussicht zu!“

„Um so ungefährlicher darf man’s wagen!“ versetzte das muthwillige Mädchen, und brrr! da war das blaue Vorhängelchen vor ihr schon in die Höhe gerasselt.

„Baron Edgar!“ rief sie, und es klang befremdlich, fast ängstlich, während sie die blaue Seide mit vorsichtigen Fingern langsam wieder über die Scheibe herunterzog.

„Was haben Sie, Bianca ?“ fragte der Ueberraschte lachend.

Seine Freundin lüpfte seitwärts den Vorhang ein klein wenig, kaum fingerbreit. „Sehen Sie doch selbst!“ sagte sie leise. „Mir scheint, auf unserem Kutschbock sizen Zwei, nicht Einer.“

„Warum nicht gar!“ rief Sperber, rückte ganz nahe mit der Nase an das Fensterglas heran und lugte durch den Spalt. Dann fuhr er geruhig fort: „Es sitzt in der That ein Kerl mit einem riesigen Schlapphut neben Schani. Nach dem schäbigen Sommerüberzieher zu schließen, der seinen Buckel ziert, scheint’s ein armer Teufel zu sein, den der Fiaker aus Mitleid hat aufsitzen lassen. Schani ist aus der Gegend. Wahrscheinlich ist’s ein Verwandter von ihm, vielleicht sein Bruder, jedenfalls ein ganz gleichgültiger und ganz unbekannter Sterblicher. Er hat ihn wohl beim Aufenthalt an der Linie aufgenommen.“

Bianca nickte wie beruhigt, denn sie hatte sich darein ergeben, Edgarn Alles zu glauben, was er sagte, und auf ihn alle Last der Verantwortung und jede Sorge der Reise abzuladen. Sonst wäre ihr das ganze Wagstück, je länger es währte, desto unerträglicher geworden.

Indessen hatte die unverhoffte Erscheinung auf dem Bock doch so viel Eindruck in ihren Gemüthern hinterlassen, daß die Beiden sich unwillkürlich leiser unterhielten als zuvor.

Nicht zum Schaden Edgar’s. Denn mit den leisen Reden wuchs die Vertraulichkeit. Und als nun in so traulicher Nähe nach stundenlangem Alleinsein in begreiflicher Aufregung Sperber versicherte, daß sie gleich ankommen würden, und er so herzlich und doch so demüthig um einen Kuß, um einen einzigen Kuß, um den allerersten Fuß bat, da sagte Bianca nicht nein und wehrte sich wenig, als sie Edgar’s Hand hinter ihrer Schulter fühlte.

Schöner als der Kuß war der innige Blick aus blauen Augen, der ihm vorherging. Es war Edgarn, als küßte sie ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_800.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)