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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


der Verherrlichung und sozusagen künstlerischen Wiedergeburt des Zeitalters Friedrich’s des Großen gewidmet ist. Die zahllose Menge seiner Zeichnungen und Gemälde aus diesem Kreise ist getragen und durchweht von der Idee der Größe des Einzigen, für die der Künstler in patriotischem Stolze erglüht ist.[1] Nun gilt ihm um des großen Königs willen aber auch kein Gamaschenknopf und kein Ornamentschnörkel zu gering, um durch deren richtige Wiedergabe ein ganz getreues Bild der Welt zu schaffen, in welcher die Riesengestalt seines Helden sich bewegt hat. Und auch wo er in die unmittelbarste Gegenwart hinein greift, thut er es nicht leicht, ohne daß man ihm das innige Interesse an seinem Gegenstande deutlich anfühlt, eine Theilnahme, die nicht bloß an der äußeren Oberfläche haftet, sondern in die Tiefe der Dinge dringt. Ganze Bände zeit- und kulturgeschichtlicher Schilderungen können kein so treffendes, kein so reiches, kein so verständliches Bild von der Stimmung einer ganzen Bevölkerung in einem Augenblicke bangster Beklemmung und doch freudiger und opfermuthiger Zuversicht geben, wie jenes einfache Gemälde Menzel’s in anspruchslosem Formate, das die Abfahrt König Wilhelm’s zum Franzosenkriege im Jahre 1870 schildert, und das noch jedes menschliche Herz ergreifen und jeden edelen Sinn erheben wird, wenn der größte Theil der mit großem Pomp gemalten Haupt- und Staatsaktionen und Gefechtsmomente aus dem „großen Jahre“ längst vergessen sein wird. –

Die Zeit, in die Menzel’s Entwickelung fällt, hegte die Auffassung, daß in erster Linie der Gegenstand die Kosten der künstlerischen Wirkung zu tragen habe. Hatte man einen Gegenstand von poetischer Stimmung, von geschichtlicher Größe, von religiöser Weihe, ja auch wohl gar von philosophischer Tiefe ergriffen, so glaubte man, es sich mit den künstlerischen Eigenschaften leicht und bequem machen zu können. Wenn nur der poetische, geschichtliche, religiöse oder philosophische Gegenstand so ungefähr zu erkennen war, so verließ man sich auf dessen innewohnende Kraft und war bescheiden genug, den damit erzielten Eindruck als hinreichenden Erfolg der künstlerischen Arbeit anzusehen. Im Gegensatze dazu erkannte Menzel, daß das Werk der Malerei seinen Gegenstand nicht als einen schon schlechtweg interessanten voraussetzen und entnehmen darf, sondern ebenso wie das Werk der Dichtkunst das Recht haben und im Stande sein muß, für den der Natur oder dem Menschenleben roh entnommenen Stoff die Theilnahme selbst erst zu erregen, und daß zu diesem Zwecke das malerische Kunstwerk als solches mit eigenartigen Vorzügen und Anziehungen ausgestattet sein muß, die auf der vollkommenen Benutzung der dieser Kunst gerade eigenen Darstellungsmittel beruhen.

So kam es, daß Menzel auf seinem ganz selbständig und unabhängig zurückgelegten Entwickelungsgange von Anbeginn sich der technischen Hilfsmittel in einem Umfange und in einer Vollendung bemächtigte, die – wenigstens innerhalb der deutschen Kunst – bis vor wenigen Jahren unerhört war und noch heute unerreicht dasteht, und die als etwas Auffälliges und eigenthümlich Werthvolles schon beim Hervortreten der ersten Schöpfungen des Meisters anerkennend bemerkt wurde. Er radirte in Kupfer mit Meisterschaft; er warf sich auf die eben erfundene Lithographie und brachte es auch hier zur Virtuosität; und wenn heute die Illustration auf der Basis des Holzschnittes eine Macht ist und hat werden können, so hat Menzel, an dessen Zeichnungen die moderne Holzschneiderschule sich geübt und entwickelt hat, daran das allerwesentlichste Verdienst. Wie ausgezeichnet er im Oelgemälde ist, kann als bekannt gelten, und staunenswerth ist seine Kraft und Gewandtheit in jener freien Abart von Aquarellmalerei mit starker Benutzung von Deckfarben (Gouache), die er sich als ein schnelles und wirksames Darstellungsmittel handgerecht geschaffen hat. Die Sicherheit seiner Zeichnung spottet aller Schwierigkeiten und ist im denkbar höchsten Grade unabhängig von einem bestimmten für seine Kunst etwa typischen Formencharakter. Seine Studien nach der Antike z. B. können gerade betreffs der stilgetreuen Wiedergabe als Muster gelten. Und wenn er eine Figur wie den Dornauszieher unermüdet in fast einem Dutzend verschiedenen Ansichten gezeichnet hat, so zeigt das zugleich, mit welcher Vorurtheilslosigkeit er das Schöne und das Wahre nimmt, wo es sich bietet, in der Kunst sowohl wie in der Natur. In der Farbe hat Menzel immer als der Vordersten einer die große Wandlung mitgemacht, welche sich innerhalb der letzten vierzig Jahre vollzogen hat, und er darf heute unbedingt den größten Koloristen unserer Zeit beigezählt werden, wenn man unter diesem Ausdrucke nicht die einseitigen Virtuosen, sondern diejenigen wirklichen Künstler versteht, welche dem Elemente der Farbe in der Malerei zu einer möglichst glänzenden, aber immer doch dem allgemeinen Zwecke des Kunstwerks dienenden Stelle verholfen haben.

Denn nur mit dem Maßstabe eines Künstlers, nicht eines Virtuosen darf und will Menzel gemessen sein; daher hat für ihn alles Technische keine selbständige Bedeutung, sondern nur eine solche als selbstverständliches Mittel zum Zweck. Als ich ihm daher einmal rühmend von dem technischen Aufschwunge unserer gegenwärtigen Kunst sprach, fiel er mir eifrig in die Rede und er hatte damit offenbar mehr Recht als ich –: „Reden Sie mir nicht von Technik, es giebt keine Technik!“ Das sagt ein Menzel, der größte und unfehlbarste Techniker unter den modernen Malern! –

Nach manchem gelungenen Anlauf früherer Jahre hat Menzel im letzten Jahrzehnt eine Specialität zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet, in der er unbedingt einzig dasteht: die Darstellung unseres eisernen Zeitalters bei der Arbeit. Sein gewaltiges Bild eines Eisenwalzwerkes hat nirgends in der Welt seines Gleichen. „Alles Uebrige, was Ihr habt,“ sagte vor Kurzem Ernest Meissonier, der im Kleinen große französische Meister, zu einem deutschen Kunstfreunde, „das haben wir ebenso gut und besser; aber für Menzel’s Walzwerk haben wir keinen Rivalen!“ Meissonier, der schon 1867 auf der Pariser Weltausstellung dem vertretenen Menzel mit Löwenmuth eine seiner würdige Auszeichnung erstritt, ist auch der Haupturheber des großen und bisher noch nie erhörten Triumphes, welcher unserem Menzel während dieses Sommers in Paris bereitet worden ist, indem eine Anzahl hervorragender Künstler und Kunstfreunde eine Menzel-Ausstellung daselbst veranstaltete.

Das Bild von Menzel’s Meisterhand, welches wir heute unseren Lesern in gelungener Holzschnittnachbildung vorzulegen die Freude haben (vergl. Seite 809), gehört der letzterwähnten Specialität unseres Künstlers an und zeigt in seinem drastischen Humor, daß auch diese Saite – allerdings eine nothwendige auf der Leier jedes wahrhaft großen Künstlers – unserem Menzel nicht versagt ist. Wir würden es für ungeziemend halten, wenn wir im Uebrigen das Bild nicht für sich selber sprechen ließen.

Dem ehrwürdigen Meister aber rufen wir zu seinem bevorstehenden Ehrentage einen herzlichen Glückwunsch zu und ein kräftiges „auf Wiedersehen zum Achtzigsten!“ Bruno Meyer.     



  1. Eine der berühmtesten dieser Darstellungen: „Friedrich der Große am Sarge des Großen Kurfürsten“ hat die „Gartenlaube“ schon vor Jahren (1878, Nr. 50) veröffentlicht.

Römische Cäsaren.
Von Johannes Scherr.
I. Tiberius.
(Schluß.)


5.

Aus den Peristylien (Salons) der vornehmen Welt Roms ging das Geraune hervor, die tragischen Einbußen, welche die kaiserliche Familie erlitt, seien vornehmlich auf die gewissenlosen Ränke der Kaiserin Livia zurückzuführen. Beweise hierfür liegen nicht vor, es wäre denn, daß man die bezüglichen Aufstellungen und Behauptungen beim Tacitus und andern für beweiskräftig ansehen wollte. Die Livia brauchte auch gar nicht zur Giftphiole zu greifen, um die beiden ältesten Enkel des Augustus, Gajus Cäsar und Lucius Cäsar, aus dem Wege zu schaffen. Diese Herren Prinzen sorgten ja mittels ihrer von der Mutter überkommenen und eifrig bethätigten Lüderlichkeit schon dafür, sich selber zu vergiften. In Festhaltung der immerhin tröstlichen Illusion, daß es auf Erden so etwas wie Gerechtigkeit gebe, könnte man die schweren Schläge, welche den Augustus als Vater

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_812.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)