Seite:Die Gartenlaube (1885) 821.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

gepaßt; sie sagt nämlich, „weil das Honig, sowohl innerlich als äußerlich gebraucht, ein zur Lebensunterhaltung sehr seltsames Mittel ist und viele hundert Jahre bewährt befunden worden, daß mancher dadurch sein Leben sehr hoch gebracht und nächst Gottes Beihilf ein hohes Alter erlanget, so mag der von Honig bereitete Kuchen hiervon den Namen Lebkuchen bekommen haben, als welcher das Leben gleichsam stärke und mit neuer Kraft begabe.“ Mehr hätten dem Kaiser wohl die damit nicht übereinstimmenden Worte des Arztes Gualtherus Rivius oder Ryff entsprochen, der in seinem im 16. Jahrhundert erschienenen „Spiegel der Gesundheit“ schrieb: „Die Lebkuchen oder Lebzelten mit Honig und Mehl gebacken sind harter, schwerer Däuung (Verdauung)“. Mag dem nun sein, wie ihm wolle, schön war es von Josef II., zu dessen Verehrern wir sonst gehören, nicht, daß er die Kinder seines Reiches mit einem Federstriche dieses Leckerbissens beraubte, die der Ansicht huldigten, daß Leckkuchen ein viel richtigerer und treffenderer Name für dieses Gebäck sei als Lebkuchen.

Ueber die Verhältnisse des Lebküchnergewerbes zu Anfang unseres Jahrhunderts berichtet der Schweinfurter Oberpfarrer J. P. Voit in seiner „Faßlichen Beschreibung der gemeinnützlichsten Künste und Handwerker“ vom Jahre 1805: Indessen nimmt die Anzahl der Lebküchner im Reiche immer mehr ab und sie wenden sich lieber zur Kaufmannschaft, weil sie von der Lebküchnerei allein sich nicht ernähren können. Selbst in Nürnberg ist die Anzahl der Lebküchner sehr vermindert worden, und der weltberühmte Nürnberger Leb- oder Pfefferkuchen hat den Verfall dieser Profession nicht verhüten können.“

Fig. 5. Fabelhaftes Ungeheuer (Drache, Greif) vom Ende des 15. Jahrhunderts.

Sollte dieser Rückgang vielleicht eine Nachwirkung der Gegnerschaft des Kaisers Joseph sein? Heute ist von diesem Verfalle in Nürnberg nichts mehr zu verspüren; die Lebkuchen-Industrie steht vielmehr daselbst in der Gegenwart in höherer Blüthe als je. Nur ein Theil der Nürnberger Lebkuchen wird jedoch jetzt noch innerhalb der alten Mauern in den engen, krummen, malerischen Straßen und Gäßchen der Stadt gefertigt; die hervorragendsten Firmen haben sich vielmehr außerhalb der Mauern in den Vorstädten großartige Fabriklokale gebaut, in welchen sie mit allen Hilfsmitteln, wie sie die fortgeschrittene Technik der Neuzeit und ein im großen kaufmännischen Stile betriebenes Geschäft bietet, ihre süßen, jeder Konkurrenz die Spitze bietenden würzigen Lebkuchen anfertigen, die am Christfest allüberall hochwillkommene Gäste sind und unter keinem deutschen Weihnachtsbaume fehlen. Wahrer denn je sind die im Jahre 1683 von Schuppius geschriebenen Worte: „Die Kinder halten einen Lebkuchen höher als Gold und Silber.“

Es wäre aber irrig, hieraus den Schluß zu ziehen, daß sie deswegen die übrigen Bäckereien, speciell das Marzipan, etwa mit Verachtung strafen! In ihrem kleinen Magen haben sie auch noch einen Vorzugsplatz für diese Leckereien refervirt und zwar nicht erst in der Gegenwart, sondern schon seit Hunderten von Jahren. Im 16. Jahrhundert hatte das Marzipan sich bereits das Bürgerrecht in den deutschen Landen erworben; es stammt aber aus Wälschland, wie sein Name, der wahrscheinlich aus pane, Brot, und dem lateinischen maza, Mehlbrei, Milchmus, zusammengesezt ist, verräth, und ist jedenfalls durch den Handelsverkehr mit Italien, aus welchem Lande Deutschland ja so viele Süßigkeiten zugekommen sind, im 15. Jahrhundert auch im Norden bekannt geworden. In Lübeck, woselbst man vorzügliches Marzipan herzustellen versteht, erzählt man sich über den Ursprung des Marzipans, zugleich eine Deutung des Namens versuchend, daß einstmals alle Früchte verdarben und eine so große Hungersnoth entstand, daß die Menschen Heu und Gras essen mußten und der Bissen Brot, wie eine wälsche Nuß groß, in Sachsen drei Pfennige kostete. Zum Andenken an diese betrübte Zeit backte man in der Folge am Markustage reich gewürzte Brötchen in dieser Größe, welche man das Markusbrot, Marci panis nannte.

Fig. 6 Grosser Reichsadler von 1650, mit den Initialen Ferdinand’s III.

Bei den Festen der Fürsten, des Adels und der reichen Bürger spielte das Marzipan und anderes Zuckerwerk eine große Rolle; es war „gemeiniglich auf den fürstlichen oder dergleichen Tafeln“ in großen Massen zu finden, namentlich mit Rücksicht auf die anwesende Frauenwelt, „dann dieses ein Ding ist, das insonderheit dem liebreichen Frauenzimmer lieb und annehmlich ist.“ Der große schöne Doppeladler Fig. 6 unserer Abbildungen mit der Jahreszahl 1650 und den Chiffern F. III., dessen Original über einen Fuß im Durchmesser hat, prangte unzweifelhaft auf einer Tafel des Kaisers Ferdinand III. zu Regensburg. Das kleine Wappen mit den gekreuzten Schlüsseln über dem Adler ist das der Stadt Regensburg; von dort ist auch der Model nebst einer Reihe anderer sehr hübscher in das Germanische Nationalmuseum gelangt, in dessen Sammlungen die Driginalmodel unserer heutigen Abbildungen sich befinden.

Auch die reichen Patricier in den deutschen Reichsstädten trieben einen großen Luxus mit den Süßigkeiten. Die durch ihre außerordentliche Prachtliebe bekannte Gesellschaft Limburg zu Frankfurt am Main geleitete bei den Hochzeitsfesten ihrer Mitglieder zum Schlusse Bräutigam und Braut zum Beilager nach Hause, woselbst noch allerhand Schleckwerk köstlich von Zucker, Marzipan, Kuchen, Gebacknes gereicht wurde, welches allerhand Geschöpfe von Thieren und Vögeln, auch allerhand Heirathsfiguren darstellte. Es ist nicht zu verwundern, daß man zu jener Zeit, in der man mit Schaustücken und Schau-Essen, welche manchmal von den in ihnen versteckten Thieren die Tafel entlang gezogen wurden, eine so große Verschwendung trieb, auch das Marzipan sich mancherlei Ausschreitungen gefallen lassen mußte. Als Meister in der Erfindung solcher Schau-Essen wird der Nürnberger Zuckerbäcker Hans Schneider genannt, der um 1595 seine Thätigkeit begann und bei festlichen Tafeln ein willkommener Mitarbeiter war. Vielleicht gab seine Thätigkeit den Anstoß, daß der Nürnberger Rath in seiner Hochzeitsordnung vom Jahre 1603 nachstehendes Verbot erließ:

„Nachdem auch eine zeithero diese Neuerung aufkommen, daß die Marzipan, so man bisweilen bei den Hochzeiten und Handschlägen aufzusetzen pflegt, mit allerlei köstlicher und doch unnothwendiger Zierd, einem Schauessen gleich, zugerichtet und aufgetragen worden, welche Zierd, ungeachtet deren Niemand geniessen können, oftmals mehr als die Marzipan selbst gekostet: Als will ein Ehrnvester Rath solche Zierd der Marzipan, als einen unnützen Ueberfluß, hiermit gänzlich abgestellt haben, bei Straf 5 Gulden, also daß, wer hinfüro der Marzipan sich gebrauchen will, dieselbe ohne einige fernere Zierd auftragen lassen soll.“

Wie noch heute, scheinen auch schon damals die Aufwärter unter den Vorräthen gewaltthätig gewirthschaftet zu haben, denn in derselben Ordnung wird ihnen geboten, „nichts weiteres von essenden Sachen, Marzipan oder anderen,“ weg zu thun und ihren Kindern mitzubringen. In Leipzig sah sich der Rath 100 Jahre später – 1701 – veranlaßt, ein Verbot gegen den Luxus zu erlassen, der mit dem Marzipan bei den Taufen getrieben wurde; er ordnete an, daß ein jeder die Wahl habe, einen Marzipan oder Kuchen zum Gevatterstücke zu geben, jedoch, daß bei denen Vornehmsten kein Marzipan über zwei Reichsthaler und kein Kuchen über einen Thaler koste; Handwerks- und gemeinen Leuten aber sollen zu Gevatterstücken Marzipan durchaus verboten, auch sonsten insgemein alle Marzipane, welche bishero bei Austheilung der Pfannkuchen von Etlichen mit beigelegt worden … abgeschafft sein.“ Nach Leipziger Marzipan war auch der General Tilly einmal lüstern; am Abend vor der Schlacht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_821.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2024)