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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Geht schon noch – sauber auch noch!“ schmunzelte Gidi, es war ja das für ihn, seit sie am verwichenen Nachmittag das Schloß verlassen hatten, der erste vergnügte Augenblick.

Und eine recht trübselige Nacht war das gewesen! Drinnen in der Hütte hatten die Beiden vor dem flackernden Feuer bei einander gesessen, und Gidi hatte erzählen müssen – die ganze traurige Geschichte „vom selbigen Tag in der Hahnfalzzeit“.

Der Morgen hatte schon durch die kleinen vergitterten Fenster gegraut, als sie zur Ruhe gegangen waren. Da hatte natürlich von einer „Frühbirsch’“ auf den „Kapitalhirsch“ keine Rede mehr sein können.

Jetzt aber ging es der Höhe zu. Es galt jenen drei „Fetzengamsböcken“, die so „g’fangig“ standen. Mit zuversichtlichen Mienen stieg Gidi, den Hund an der Leine führend, seinem Herrn voran. Er hätte darauf schwören mögen, daß es da droben „duschen“ würde, daß zum mindesten einer der drei Böcke „dran glauben“ müßte. Freilich hieß es „woltern auffisteigen“, um guten Wind zu bekommen, „schnurg’raden Aufwärtswind“; die Sonne stand ja schon hoch über dem Grate der Höllenleithe. „Unter an acht a neun Stund’ wird ans Heimkommen net zum denken sein.“

Das war nun allerdings ein Weg, der des von Gidi erwünschten Erfolges werth gewesen wäre. Und doch – als die beiden Jäger zu dämmernder Abendzeit in die Jagdhütte zurückkehrten, war der dicke „Edelweißbuschen“ auf Gidi’s Hut die ganze Beute. Gidi machte aber auch ein Gesicht wie „neun Tag’ Regenwetter“. Hatte er es doch beim „Anriegeln“ des „Bogens“ von der Schneide der Höllenleithe aus durch das Fernrohr mit angesehen, wie sich der stärkste der drei Böcke vor den „Stand“ des Grafen hingestellt hatte, „schier mit ’m Bergstecken zum derschlagen“; vergebens aber hatte er nach dem mit jedem Augenblick erwarteten „Duscher“ ausgelauscht; die Büchse quer im Schoße und das Haupt in die Hände gestützt, so hatte er den Grafen regungslos sitzen sehen, während das stattliche Wild an ihm vorüberzog, gemächlichen Schrittes, als wüßte es, wie wenig Gefahr ihm drohe von dem so tief in Gedanken und Erinnerung Verlorenen.

„No mein, es is ja alles recht, aber – an Gamsbock, der sich ei’m hinstellt auf a Dutzend Gäng’, den braucht man deßwegen doch net durchlassen!“ so lautete Gidi’s brummig abgegebenes Endurtheil.

Jetzt stand er im Küchenraume der Jagdhütte vor dem Herde und starrte verdrießlich in die Pfanne, in welcher die „Röschnocken“ schmorten – sein und seines Hundes Nachtmahl.

In der Jägerstube saß Luitpold, durch das offene Fenster aufblickend in den dämmernden Himmel. Manchmal nippte er von dem rothen Weine, der vor ihm auf dem Tische stand, und aß dazu ein weißes Brot in winzigen Stückchen.

Als Gidi hereinkam, um die Hänglampe anzuzünden, erhob sich Luitpold, wünschte seinem Jäger mit kurzem Worte eine gute Nacht, lockte den Hund zu sich und zog sich zur Ruhe in sein „Grafenstüberl“ zurück.

Seufzend blickte ihm Gidi nach, und als sich die niedrige Thür schloß, nickte er vor sich hin. „Du lieber Herrgott – den hat’s arg verwischt! Der braucht a Zeit, bis er sich wieder z’sammklaubt! Laßt an Gamsbock durch!“

Er ging in die Küche zurück, um das benützte Geschirr zu spülen und aufzuräumen. Als er damit zu Ende war, trat er ins Freie, schaute nach Wind und Wetter aus, schloß an allen Fenstern die Läden und versperrte, als er in die Hütte zurückkehrte, hinter sich die Thür.

Drinnen in der Stube schob er sich in den Tischwinkel, zündete passend seine Pfeife an und ließ sich den Rest des Weines schmecken. Plötzlich erhob er sich, nahm seinen Hut vom Zapfen, legte ihn vor sich hin und betrachtete mit wägenden Blicken den „Edelweißbuschen“. Dann schüttelte er mit einem kurzen Pfiffe den Kopf, streifte mit dem ausgestreckten Arme den Hut auf die Bank hinunter und machte ein Gesicht, als hätte er eine schwere Versuchung tapfer überstanden. Aber diese Siegesgewißheit währte kaum einen Paffer lang. Da lag der Hut schon wieder auf dem Tische – und mit einem Male saß er auf Gidi’s Kopf.

„Ah was! Ich trag’ ihr den Buschen ’nauf – weil er gar so schön is! Sie braucht sich ja net g’rad z’denken, daß er von mir kommt – a Freud’ hat s’ dengerst d’ran!“

Das hatte er noch nicht ausgedacht, als er schon in der Küche stand. Lautlos zog er den Schlüssel aus dem Schlosse, öffnete die Thür, sperrte sie von außen wieder zu und eilte durch die Nacht dem Almensteig entgegen.

Als er jene Lichtung erreichte, auf welcher er wenige Nächte zuvor mit dem „Schafdieb^ zusammengetroffen war, stockte ihm plötzlich der Fuß. Es war ihm gewesen, als hätte er ein Geränsch gehört, ein Rascheln im Gebüsche. Lange lauschte er in die Nacht hinein. „Werd’ halt a Stückl Wildpret auf’gangen haben!“ dachte er endlich und eilte weiter in der Richtung der Bründlalm.

Im Walde verhallten seine Schritte - und da tauchte aus den Büschen eine dunkle Mannsgestalt empor, die sich über die schräg liegenden Felsplatten lautlos auf den Steig niedergleiten ließ. Scharf hob sich die finstere Kontour des Gesichtes mit dem gedrehten, bis auf die Brust niederhängenden Schnurrbart von den helleren Steinen ab. Mit nickendem Kopfe schaute der Bursche der Richtung zu, in welcher Gidi verschwunden war, und warf die kurze Büchse, die er in der Hand getragen, hinter die Schulter.

„Dich hab’ ich aber g’legen derschaut!“ glitt es mit höhnischen Worten leise von seinen Lippen. „Jetzt will ich Dir den Almtanz danken! Geh nur fensterln, Du – ich zünd’ Dir derweil a Licht an, daß D’ leichter wieder heimfindst!“

Hastigen Laufes folgte er dem Pfade, bis die stille, dunkle Jägerhütte vor ihm lag. Seitwärts von der Thür sah er dicke Reisigbündel, wie sie zum Entzünden des Herdfeuers dienen, hochaufgeschichtet. Eines um das andere dieser Bündel nahm er auf und reihte sie lautlos zu Füßen der Holzwand rings um die Hütte. Schon hatte er den unheimlichen Kranz geschlossen, als er aus dem Innern der Hütte das Knurren und den kurzen Anschlag eines Hundes vernahm.

„Schau – jetzt hat er sein’ Hund daheim ’lassen. No – d’ Jagdhund’ mögen ja ’s Warmhaben gern derleiden.“

Er bückte sich, ein leises Zischen folgte, und durch das dürre Reisig züngelte ein blaues Flämmchen.

Da fuhr der Bursche erschrocken auf. Ein klirrender Laut war an sein Ohr geschlagen, als wäre über ihm in der Höhe der Latschenfelder die eiserne Spitze eines Bergstockes wider einen Stein gestoßen worden.

Der Bursche spähte den Berghang empor, aber seine stechenden Blicke drangen durch die Nacht nicht hinauf bis zu jener Höhe, wo inmitten des dichtesten Latschengebüsches zwei Männer standen, Hand in Hand.

„Und b’hüt Dich Gott jetzt!“ sagte der Eine, der den Bergstock trug und auf dem Rücken die schwer beladene Kraxe. „Ich hol’ nachher schon in einer von die nächsten Nächt’, was ich heut’ net dertragen kann. ’leicht is bis dahin auch a Schreiben von dem Münchner Advokaten da. In der kurzen Stund’, wo ich mich bei ihm hab’ aufhalten können, hat er mir natürlich kein’ richtigen B’scheid net zum sagen g’wußt. Aber – wie auch d’ Antwort ausfallt, die ich Dir bringen kann – in derselbigen Nacht noch mußt mir fort und über d’ Grenz’.“

„Das wird mich was kosten! Jetzt geh’ ich ja doppelt schwer –“

„Es muß aber sein! So geht’s nimmer fort. Es reden ja d’Leut’ schon davon, daß ich so oft in der Nacht net daheim bin! Aber – das is ja kein Platz zum reden net! B’hüt’ Dich Gott – und gelt, sei g’scheit und nimm Dich in Acht, damit net am End’ auf d’Letzt’ noch wer dahinter kommt, wer daheroben haust. B’hüt Dich Gott!“

Mit festem Drucke schüttelten sie sich die Hände, und während der eine sich niederließ auf das Gestein, und den Kopf wie unter trüben Gedanken in die Hände stützte, rückte der andere die Kraxe höher an die Schultern und stieg mit raschen Schritten durch die Büsche nieder.

Als er den Almensteig erreichte, hörte er sich plötzlich angerufen. „Wer is da?“ Fast brachen ihm die Kniee vor Schreck, doch nur einen Augenblick währte die Schwäche, die ihn beim Klange dieser Stimme überkommen hatte, dann raffte er sich auf, sprang hinaus über den Steig und keuchte dem finsteren Walde zu, verfolgt von jenem, der ihn angerufen. Thalwärts ging es in wilder Jagd. Furcht und Verzweiflung schienen dem Fliehenden übermenschliche Kräfte zu geben, so daß er einen beträchtlichen Vorsprung gewann, aber die Last auf seinem Rücken wurde für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_831.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2023)