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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Ja, schön war sie! Als hätte der alte im Erlöschen begriffene Stamm der Seefeld’s noch eine letzte Wunderblüthe getrieben, so hold war das Mädchen. Dabei keine Spur von der kühlen, künstlich anerzogenen Vornehmheit, die sich scheut, dem Mitmenschen eine wunde Stelle zu zeigen; – nein, die Ilse war so frisch wie ein echtes Kind, natürlich wie das Vöglein, welches durch die Ulmen vor ihren Fenstern flatterte. So oft es thunlich war, lief sie zu uns herüber, aus den öden großen Zimmern, aus der Nähe der vornehmen kalten Mutter in das sonnige Stübchen meiner Line, hockte auf der Estrade, machte ihre ersten kleinen Nähversuche, herzte und küßte mein blondes Weib, klimperte auf dem Klavier, lachte wie ein Kobold und ließ, wenn sie wie ein Wirbelwind zur Thür hinaus war, eine Stille zurück, die oft genug Thränen in die Augen meiner Frau trieb. Sie war gar so unglücklich, weil wir keine Kinder hatten.

Um der Ilse willen konnte ich auch gar schlecht vorbeigehen an der spitzbogigen Thüre drüben. Kam ich aber einmal wirklich ein paar Tage nicht, weil ich absolut keine Zeit fand, so erschien gar bald die alte weißköpfige Maruschka und hieß mich im Namen ihrer Gebieterin herüberkommen, denn die Frau Gräfin könne meinen Rath nicht entbehren. Nun, ich ging – wie schon gesagt – um des Kindes willen, denn ein anderer Lohn als ein dankbarer Blick dieser jungen blauen Augen ist mir eigentlich nie geworden, wohl aber manche Geduldsprobe, denn die Gräfin war mit allen Unarten einer nervösen Frau bestens ausgerüstet und verstand es, ihren Arzt auf die denkbarste Weise zu quälen – Himmelsakrament! Mehr als einmal bin ich in hellem Zorn gegangen und habe die Thüre hinter mir zugeschlagen, daß ich meinte, der alte dreistöckige Bau erbebe in seinen Fugen; mehr als einmal habe ich den Brief, der die Bitte enthielt, die Gnädige möge sich nach einem andern Hausarzt umsehen, fertig daliegen gehabt. Wenn dann die Ilse in mein Zimmer huschte, wenn die großen Augen mich angstvoll anschauten, ließ ich mich doch wieder hinüberzerren und mir ein neues Leiden beschreiben, das sich unfehlbar über Nacht erst eingefunden hatte.

Ilse’s Nähversuche.

Nun, es giebt einmal nervöse Frauen in der Welt. und daß diese nervös geworden, war schließlich kein Wunder. Der Mann ein Wüstling, der Alles verlumpte; der einzige Sohn, der Majoratsherr, auf dessen Schutz und Hilfe die Wittwe mit der jungen Tochter allein angewiesen war, im Duell gefallen – um ein Nichts; die Güter an fremde, nur dem Namen nach bekannte Menschen gekommen, und keine weitere Zuflucht als hier in dem kleinen märkischen Städtchen, aus Gnade und Barmherzigkeit in der verfallenden Probstei, sich durchschlagen zu müssen mit zweihundert Thalern jährlich: nun, es läßt sich entschuldigen, daß die Laune der Dame nicht immer, oder vielmehr niemals, eine rosenfarbene war. Ihre ganze Hoffnung klammerte sich an die aufblühende Schönheit der Tochter. Sie besaß noch Brillanten und hütete sie mit Argusaugen; eher wäre sie gestorben, eh sie einen Stein davon verkauft hätte. Als ich einmal auf Luftveränderung bestand, weil sie allzu elend war, eröffnete sie mir, daß sie wohl in der Lage sei, sich diese zu erlauben, aber daß sie das Kapital behalten müsse für Ilse’s Zukunft. „Eine oder zwei Saisons in Berlin – und Ilse ist versorgt, lieber Doktor!“ Darauf schwur sie. Nichts war ihr schwer, kein Opfer zu groß für das Kind. Und die launische kränkelnde Frau wuchs trotz ihres unleidlichen Hochmuthes zu einer Heldin empor in meinen Augen, wenn ich sah, wie sie mit peinlicher Regelmäßigkeit den Unterricht der Tochter leitete, nie eine Lektion versäumend, nie eine Ermüdung verrathend. Und ach, wie oft sank sie nach stundenlangem Unterrichten zusammen einer Ohnmacht nahe!

„Sie strengen sich zu sehr an, meine Gnädige,“ wagte ich einzuwenden.

Dann richtete sie sich empor. „Ich bin meiner Tochter eine Erziehung schuldig.“

„Jaja! Aber wir haben gute Lehrer hier. Lassen Sie der Komtesse Privatstunden geben,“ stellte ich vor.

Hier?“ fragte sie. Es war ein Ton, aus Erstaunen, Verachtung und Ueberlegenheit zusammengesetzt, und dabei lag ein Zug um die blassen Lippen, so ironisch, daß ich dachte: lehre Dir meinetwegen die Schwindsucht an den Hals, ich werde nichts wieder sagen! Als ob wir hier sammt und sonders Idioten wären, als ob wir keine Ahnung von dem hätten, was so ein Komteßchen zu lernen braucht, um dermaleinst auf den Heirathsmarkt gebracht zu werden!

Immer freilich gingen die Erziehungsversuche der Mutter nicht glatt durch; dieses lächelnde liebliche Kind hatte einen Charakter. Was die Kleine sich einmal vorgenommen, das führte sie aus, immer und immer wieder kehrte sie zu ihrer Idee zurück, und es war stets ein gesunder Gedanke darin, es war Logik. So z. B. kam eines Sommerabends – die Ilse war ungefähr sieben Jahr alt geworden – Maruschka, die polnische Dienerin, eilig herüber gelaufen, der Herr Doktor möge gleich kommen, die Kleine habe

einen Zufall. Nun, ich ging, und die Mutter, die mich empfing,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_850.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2019)