Seite:Die Gartenlaube (1886) 055.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ich sah die Sprecherin starr an[.]

„Ich meine, die Bilder verkaufen,“ erklärte sie.

„Lotte für Geld malen? Niemals!“ sagte ich bestimmt.

„So! Niemals! – Nun, Sie plagen sich und arbeiten und sorgen, während die kleine Prinzessin zu ihrem Vergnügen in den Farben manscht; Sie thun bitter unrecht!“

„Ach, Lotte ist so eigenartig,“ entschuldigte ich.

„Eigenartig? So! Was soll denn werden, wenn Sie sich einmal verheirathen?“

Ich fühlte, wie ich unter ihren Blicken verlegen wurde.

„Oh – ich!“ stammelte ich.

„Ei, denken Sie denn, es giebt nicht noch Männer, die ein vernünftiges Mädchen zu schätzen wissen? Was thut denn Einer mit solch’ verzogenem Püppchen, wie die Lotte ist? – Heiliger Gott, wenn ich dächte, so ein Prinzeßchen käme mir in meine Wirthschaft! Ja, da könnte ich doch gleich den Fritz als unzurechnungsfähig erklären lassen! Stellen Sie sich doch vor, wenn sie um neun Uhr aufstände und den Tag über malen wollte und allenfalls noch mit ihrem Hunde spielen – nicht einmal zu fressen giebt sie dem Viehchen und will ihn dabei erdrücken vor Zärtlichkeit. Nein, Kindchen, davor behüte Gott jeden rechtschaffenen Mann! Sie ist Ihre Schwester, ja – doch da sind wir –. Hören Sie, Kindchen, ich habe das immer so gehalten, am Tage des ersten Schnee giebt’s Bratäpfel und Punsch; kommen Sie heute Abend mit Großmutter und Lotte und feiern Sie das Eintreffen des Winters mit uns. Und grüßen Sie mir die Werthern.“

Wir standen vor der Thür des Gutshauses, und ich schüttelte der alten Dame die Hand. „Auf Wiedersehen!“ sagte sie noch einmal, nickte mir freundlich zu und stieg die Stufen empor in ihrem schwarzseidenen Mantel, und als ich mich an der Gartenpforte noch einmal wandte, sah ich sie neben ihrem Sohne auf der Freitreppe stehen, und sie schauten mir nach und grüßten.

Die Worte der alten Frau hatten mich wunderbar bewegt, sie kamen wie die Botschaft aus einer andern Welt; und während ich unter den kahlen Bäumen des Domainengartens unserer Wohnung zuschritt, ergriff mich der eine Gedanke, den ich bis jetzt noch immer mühsam beschwichtigt hatte, mit nicht zu bekämpfender Gewalt. Ich sah mich in dem Hause dort, vor dem ich eben gestanden; ich ging durch alle seine Räume; ich wußte, daß ich ein Recht dazu hatte, ein süßes heiliges Recht. Ich sagte „Mutter“ zu einer alten lieben Frau, ich stand an der Seite – an seiner Seite –. Vom ersten Tage, vom ersten Augenblick des Sehens an, war es so gewesen; ich, die nie eine Neigung gehabt, die schon lange geglaubt, über solche „Jugendschwärmereien“ hinaus zu sein, ich war rettungslos gefangen von den ernsten Augen, von dem stillen, ruhigen Wesen Fritz Roden’s.

Und heute – sagte nicht die eigene Mutter, ich könnte wohl einem Manne gefallen? Einen Mann beglücken? – Heiß drängte sich das Blut in meine Wangen, mir war fast schwindelig, und halb betäubt setzte ich mich auf eine kleine Steinbank unter einer breitästigen völlig kahlen Linde und sah mit brennenden Augen hinüber nach den Giebeln des Herrenhauses. Ach, die „Andere“, das Aschenpuddel, mich könnte vielleicht ein Glück treffen, wie es Millionen Frauen vergeblich erhoffen und ersehnen? Mich könnte der Mann wählen, dem mein Herz gehört, um mich heimzuführen in ein Haus voller Frieden, Behaglichkeit und Liebe? – „Ach nein, nein um Gotteswillen, denke nicht daran, denke nicht daran!“ flüsterte es in mir, „die Enttäuschung wäre zu furchtbar!“

Aber ich liebe ihn – ja – daran ist nichts zu ändern! Ich liebe ihn, das bleibt wahr und wenn Alles dawider spräche! Ich liebe ihn, liebe sein grades ungelenkes Wesen, ich liebe sein grundgutes Herz, seine pedantische Würde – ich liebe Fritz Roden!

Und ich sprang empor von der Bank mit glühendem Gesicht und lief durch die köstliche reine Schneeluft, als müsse ich flüchten vor mir selber, und stand dann herzklopfend vor unserer Stubenthür.

Dort innen eine fremde, scharf accentuirte Stimme. Und als ich eintrat, erhob sich mit einer Verbeugung die kleine schwarze Kastellanstochter aus dem Schlosse. Was das für ein paar flammende leidenschaftliche Sterne waren, die unter den langen Wimpern hervorschimmerten! Das einzige Jugendliche in dem schmalen blassen Antlitz, dessen scharfe Züge einst wunderschön gewesen sein mußten.

Lotte aber kam mir mit einem Freudenruf entgegen; das Fräulein Anita habe die Erlaubniß vom Hofmarschallamt gebracht, sie, Lotte, dürfe nach Herzenslust da drüben in den Zimmern des Schlosses kopiren.

„Da drüben?“ fragte ich beunruhigt, „vertraut man meiner Schwester nicht ein Bild an, um hier zu malen?“

„Bedaure sehr,“ sagte Anita, „es ist nicht gestattet.“

„Aber die Kälte in den Zimmern,“ wagte ich einzuwenden.

„Ich habe die Befugniß, zu heizen,“ antwortete sie ruhig.

„Du wirst Dich fürchten, Prinzeßchen,“ scherzte ich, „da drüben giebt es sicher eine weiße Frau – denke, wenn Du so allein –“

„Ich werde mir erlauben im Nebenzimmer zu bleiben,“ unterbrach mich die kleine Schwarze.

Ich erinnerte mich plötzlich an die Worte der Frau Roden: „Das ist kein Umgang für Sie, Kindchen.“ – „Und ich werde mir erlauben, meine Schwester zu begleiten,“ sagte ich, und da trafen sich meine und Anita’s Augen, ein paar Augen, die mir auf den Grund der Seele zu dringen versuchten, als wollten sie fragen: „Wer hat Dir erzählt von mir, von meiner Vergangenheit? Was weißt Du von Menschenlieb’ und Haß, von Leidenschaft?“ Aber sie sagte nur: „Wie Sie wollen!“ grüßte mit einer leichten Verbeugung, wünschte wie in Zerstreuung auf Italienisch a rivederci und war verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.

Marokkanische Frauen. (Mit Illustration S. 53.) Wenn wir in den von Wasser durchrauschten Gartenhöfen der Alhambra umherschlendern, die phantastische Pracht dieses märchenhaft schönen Maurenschlosses anstaunen, gelangen wir auch wohl in einen grotesk gewölbten, mit dem üppigsten Arabesken-Ornament rings bekleideten Saal, aus dessen Fenstern man hinabblickt in einen stillen Garten von Jasmin und Rosen, Orangen- und Myrthendickicht. Um diesen Garten liegen die Gemächer der schönen, unglücklichen Königin Lindoraja, welche arabische Poesie besungen hat in Sprüchen und Liedern. Wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht muthen uns diese stillen Räume an. Alle Pracht des Orients ist da einst aufgehäuft worden, um die Herrin zu erfreuen. Kostbare Stoffe, seltene Wohlgerüche, Blumen, Möbel von Perlmutter und Rosenholz, schwellende Polstersitze statteten die maurischen Gemächer mit den schlanken Hufeisenbogen aus. Durch Gesang und Saitenspiel suchten talentvolle Sklaven der Gebieterin die Zeit zu kürzen, deren einzige Beschäftigung war, sich in Sammt und schwarz Brokat zu hüllen, den schlanken Leib mit prachtvollen Stickereien, mit Perlen und Geschmeide zu schmücken, dann aber alle diese Ringe, die brennenden Augen, die zarten Glieder in weite Schleiertücher zu verbergen, schön zu sein nur für sich selbst und den Mann, der mehr Gebieter als Gatte war. Denn kein freier Ausblick in die paradiesisch schöne Welt, kein Verkehr mit anderen Menschen ist ihr gestattet; mag das Gitter, welches Fenster und Wendelgänge des Mirador schließt, noch so kunstvoll sein, es macht den glänzendsten Harem doch zu einem wohlbewachten Gefängnisse.

Viele Jahrhunderte sind vergangen, seit die holdselige Königin Lindoraja in ihrer Einsamkeit diesen Wänden ihr Leid geklagt, seit sie den strafbaren Versuch gemacht, die Fesseln zu brechen, das glühende Herz, das dem düsteren Herrscher niemals gehört, dem geliebten Manne in dem heimlichen Dickicht der Laube von Jasmin zu offenbaren. Mit grausiger Todesqual hat sie ihre Schuld büßen müssen, seitdem sind die Gemächer der Lindoraja leer und verödet. Die Mauren haben den christlichen Eroberern hier wie überall in Europa weichen müssen, das Maurenschloß auf den Rosenhügeln der Sierra Nevada allein erzählt von der fernen Vergangenheit.

Viele Jahrhunderte sind vergangen. Heute müssen wir weit wandern, über das Meer fahren, um Aehnliches zu finden. Weder in Algier noch in Tunis hat arabische Art sich so rein erhalten wie in Marokko, dessen Bevölkerung noch kaum von abendländischen Einflüssen berührt ist. Dieselben Sitten, dieselbe Volksart, dieselbe Strenge in der gesellschaftlichen Stellung der Frauen, die in dem spanischen Granada ehemals geherrscht, haben die arabischen Stämme in Marokko sich zum großen Theil treu bewahrt. Vor Allem bei den Mächtigen, Vornehmen und Reichen des Landes können wir heute die ehemalige Lebensführung in reiner Form beobachten. Bei den niedern Ständen finden wir schon Spuren neuer Wandlung, denn überall, wo Volksstämme von früherer Höhe abwärts steigen, lockern sich zuerst in den niederen Schichten, bei Armen und Ungebildeten, die ungeschriebenen Gesetze der Sitte und des Herkommens. So sehen wir neben Jüdinnen und Kabylinnen die Weiber des gemeinen Volkes auch in Marokko scheu durch die engen Gassen huschen, gierig vor den in den Bazaren aufgehäuften Kostbarkeiten kauern, in den Apotheken und Spezereigewölben bei einander hocken, um lustig zu plaudern und zu klatschen.

Weit weniger gut hat es die vornehme, mit allem erdenklichen Luxus umgebene marokkanische Frau. Gleich der schönen Lindoraja erblickt sie die Außenwelt nur durch die engen Vergitterungen der Fenster oder der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_055.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2018)