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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Sie strickte eifrig weiter, aber aus den milden blauen Augen fielen rasch ein paar Thränen auf die Arbeit.

„Mutter!“ bat er.

Da bog sie sich über den Tisch und flüsterte ihm etwas zu; aber so leise es war, hörte ich es doch; nur drei Worte, deren Sinn ich nicht gleich zu erfassen vermochte: „Die Andere, Fritz, die Andere!“

Er schüttelte den Kopf.

„Die Andere!“ bat sie noch einmal. Aber er rührte sich nicht, nur seine Hand lag noch auf dem Damasttuche, bereit die Mutterhand zu umschließen.

„Laß uns morgen darüber reden, Fritz,“ sagte sie in höchster Unruhe und setzte sich.

Er blieb unbeweglich. „Gieb mir Deine Hand,“ bat er, „es wird nicht anders, niemals!“

Da legte sie aufschluchzend ihre Rechte in die seine, hielt sich das Taschentuch vor die Augen und ging hinaus; wir waren allein in dem großen Gemach. Draußen rüttelte der Sturm an den hölzernen Läden und rauschte durch die entlaubten Kronen der Kastanien; hier innen Lampenschein, Wärme und zwei junge klopfende Herzen, so wie ich es mir ausgemalt tausendmal, tausendfach, er und ich. Er nahm sein Glas und rührte an das meine. „Trinken Sie, Tone,“ bat er zerstreut.

Einen Moment trafen sich unsere Augen; er sah aus wie berauscht. „Tone,“ begann er stockend, und es war ein Klang in seiner Stimme, daß ich meinen Kopf wie betäubt zurücklegte, athemlos vor Glück! „Tone, seien wir ehrlich gegen einander.“

„Ja!“ sagte ich.

Er erhob sich und begann im Zimmer auf- und abzugehen. „Warum kam Lotte nicht?“ fragte er, jäh vor mir stehen bleibend.

Ich sah in seine gespannten Züge und wurde verwirrt. „Sie – ich glaube, sie ist angegriffen,“ stotterte ich.

Er wendete sich und schritt wieder heftig auf und ab. Endlich kam er zurück, setzte sich mir gegenüber und ergriff meine Hand. Aber er ließ sie blitzschnell fallen, als in diesem Moment seine Mutter eintrat. „Ich sehe sie später noch,“ murmelte er und ging hinaus.

„Sie wundern sich über unser sonderbares Wesen,“ begann die alte Frau, „ich darf Ihnen aber jetzt den Grund wohl sagen, es geht Sie ja auch an. Der Fritz – Ist Ihnen schwach?“ fragte sie angstvoll. „Ach, Tone, ich hatte Anderes gewünscht, mein liebes Kind. – Es ist nun einmal so, Fritz liebt Ihre Schwester!“

Sie war ein Erbtheil vom Vater, diese Geistesgegenwart in der Noth. Die Ahnung des Glückes hatte mich schwach gemacht vorhin bis zur Ohnmacht; jetzt fuhr ich empor und sah das thränenumflossene alte Gesicht, dessen Augen angstvoll in den meinen forschten. Sie nahm meine Hand; sie hielt meine starre Miene wohl für Erstaunen.

„Ja, Sie wundern sich, Herzenskind,“ fuhr sie fort, während die Thränen ihr still auf den Wangen herabflossen; „ich habe mich auch gewundert, als ich es erfuhr. Wir standen und sahen Ihnen nach heute früh, und da sagte ich – warum sollen Sie es nicht erfahren? – Fritz, das ist ein Kind nach meinem Herzen. Da wurde er blaß und wandte sich rasch um; und als ich nachher in meinem Lehnstuhl saß und so zwischen fünf und sechs Uhr mein Dämmerstündchen hielt, da kam er und setzte sich auf die Estrade zu meinen Füßen, wie er als Junge gethan und nie mehr nachher, und da – die Liebe macht ja den Vernünftigsten zum Narren,“ fuhr sie fort, „ihm hat sie völlig den Sinn verdreht. Vom ersten Augenblick, da er die Lotte erblickt, sei er entschlossen gewesen, erzählte er; als sie den Schleier des Reisehütchens zurückgenommen, habe er gemeint, ein Blitzstrahl fahre vor ihm nieder. Anfänglich habe er sich wohl gesagt, es sei keine Frau für ihn, es wäre Unsinn, wenn er sie freite, aber jetzt sähe er es deutlich ein, ohne sie kein Leben! Ach Kind, was redet eine angstvolle Mutter nicht? Aber hole vom Himmel die Sternlein herunter und lege sie ihm zu Füßen er wird doch nur das Eine wollen – das Mädchen, das er liebt. Ach, ich weiß, wie es endet, Tone, er wird unglücklich, sehr unglücklich; aber er will nicht folgen.“

„Und glauben Sie, daß Lotte seine Neigung erwidert?“ fragte ich leise.


„Nein! Aber was schadet’s? Sie wird sein Weib werden aus – Berechnung.“

Ich schwieg. Mir kamen Lotte’s Worte in den Sinn. „Es ist ja so schrecklich, arm zu sein!“

„Ich will heimgehen,“ sagte ich und stand auf. Ich meinte zu ersticken. Frau Roden trocknete sich die Augen und half mir den Mantel umbinden

„Gutes, gutes Kind," sprach sie und strich mir über die Wange, „ich habe Sie sehr lieb, wir wollen zusammenhalten; ich habe eine Ahnung gehabt, daß mit Euch eine Aenderung in mein Leben kommen würde – aber so meinte ich es nicht.“

Als ich in den Flur trat, erblickte ich Fritz Roden im Mantel und Hut.

„Ich begleite Sie,“ sagte er, und wir gingen zusammen hinaus. Der Wind hatte sich gelegt, der Mond schaute aus schwarzen Wolken, und gespenstisch ragten die kahlen Aeste der Bäume in den Nachthimmel empor. Todtenstille lag über Haus und Garten, und unsagbar weh war mir zu Sinn. Ich schritt rasch vorwärts; nur allein sein mit meinem quälenden Schmerz! Nur allein!

„Tone," begann er da, „Sie wissen Alles – zürnen Sie mir?“

Zürnen, daß er Lotte liebte? Und dieses eine Wort zeigte meinen Wahn, mein thörichtes Hoffen im grellsten Lichte. Mich lieben, mich nur bemerken, wenn sie neben mir? – „Nein, wahrlich nicht!“ erwiderte ich bitter.

„Wollen Sie für mich bei ihr sprechen?“ fragte er. Und als ich schwieg, bat er dringend: „Ich kann es nicht, Tone; wenn sie mich ansieht unter den langen Wimpern hervor, dann ist’s vorbei. Ich bin blöde und ungeschickt; sagen Sie ihr, wie lieb ich sie habe, daß ich jeden ihrer Wünsche erfüllen will; sie soll den rauhen Boden des Lebens nie berühren, ich will sie auf meinen Armen darüber tragen, ich will Alles, Alles, Tone.“

Er hatte meine Hand ergriffen und zwang mich, stehen zu bleiben. Der Mond schien ihm voll ins Antlitz, und ich sah die ernsten lieben Augen und sah seinen zuckenden Mund. Und noch einmal wiederholte er mit bebender Stimme: „Alles, Tone!“

„Ich will es versuchen,“ sagte ich, kaum fähig zu sprechen.

„Ach, danke, Tone, danke!“ rief er und faßte meine Rechte. „Wenn Sie wüßten, welch schlaflose Nächte ich ihretwegen verbracht, welch eine Marterzeit ich durchlebt habe, seitdem ich das Mädchen gesehen! Hundertmal war ich auf dem Wege, mich Ihnen zu entdecken; – Sie lieben sie ja auch so zärtlich.“

„Ich muß heim,“ stammelte ich und zog meine Haud aus der seinen. Aber er faßte sie dennoch wieder.

„Lassen Sie mich nicht allzu lange auf Antwort warten,“ bat er, „sprechen Sie bald mit Lotte, heute noch,“ und ich fühlte, wie er zitterte. „ich bin sonst nicht so ein stürmischer Meusch, Tone, aber die Ungewißheit reißt an jedem Nerv – ich bin wie ein Gefolterter. Nicht wahr, Sie reden mit ihr, gleich, auf der Stelle?“

„Und wenn Lotte Ihre Liebe nicht erwidert?“

Er blickte mich starr an. „Das ist nicht möglich. Diese Neigung kann nicht einseitig sein, sie ist zu stark, zu ernst und wahr, Tone!“

Ich mochte wohl bitter aufgelacht haben, denn er forschte mißtrauisch in meinen Zügen. „Es klingt anmaßend, was ich sage, nicht wahr?“ fuhr er fort, „aber ich glaube genau zu wissen, daß Lotte mich nicht gleichgültig ansieht. Sie haben wohl nie darauf geachtet, Tone; es fühlt das auch nur der – – Aber nun gehen Sie, und seien Sie mein guter Engel!“

Er drückte noch einmal meine Hand. „Morgen früh schreiben Sie ein einziges Wort; die Ausgeherin kann es vorreichen bei uns. Gute Nacht!“

Ich tastete mich das dunkle Treppchen hinauf; aber dann war es, als versagten mir die Füße den Dienst, und ich setzte mich auf eine der Stufen und versuchte meiner tobenden Gedanken Herr zu werden. Das Erste, was ich empfand, war eine brennende Scham, das Gefühl einer tiefen Demüthigung. Wo hatte ich nur meine Gedanken gehabt, ich eitles, eingebildetes, thörichtes Geschöpf? Tag für Tag dieses kurzen Aufenthaltes hier durchlebte ich wieder, jedes Zusammensein mit ihm – und keinen Moment fand ich heraus, der mich berechtigte zu glauben, er liebe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_066.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2020)