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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

aufgeschlagen. Und hätte ihn gesehen, wie er da stand, überflossen vom sanften Licht der Lampe, er, der lange vor der Zeit zum Greise gewordene Mann mit der kahlen Stirn, den verwitterten, vergrämten Zügen und dem grauen Bart – an dem Sarge, den sein emsiger Fleiß so sorgsam hergestellt für die alte verlassene Spittelfrau. Und als er jetzt die verstümmelte Hand, wie beschwörend, gegen mich streckte, während die träumerischen Augen von einem Glanze leuchteten, der nicht mehr irdisch schien – da war es der Anblick dieses guten, edlen Menschen, der eindringlicher zu mir sprach, als seine Worte. Da war es dieser gute, edle Mensch, vor dem ich, als er nun geendet, anbetend in die Kniee sank.

Und dann lag ich in meinem Bett mit gefalteten Händen und starr offenen Augen, während in einem breiten Mondstreifen auf der Wand die vom Wind durchzausten dürren Zweige des Kornelkirschbaums vor dem Fenster unheimlich tanzten – und wollte beten für alle Menschen. Ich konnte es nicht. Ich konnte für alle Menschen beten, für den Pastor, der dem Vater geflucht hatte, konnte ich es nicht. Nicht für ihn und nicht für den andern, der um meine Mutter schlich. Und nicht einmal für die Mutter selbst, die nichts von mir wissen wollte und nichts von dem Manne da unten, der jetzt auf dem harten Lager in der dumpfigen Werkstattskammer ruhte und der tausendmal besser war als sie.

Ich wälzte mich unruhig hin und her, und eine große Angst befiel mich, daß ich nun doch nicht die Liebe hätte, und daß mich der Vater umsonst gesegnet. Dazu fiel mir ein, was er von der Liebe gesagt, daß sie sich so wenig übertragen und lehren lasse, wie die Kunst; daß wir ihr wahres Geheimniß nur aus uns selber schöpfen, nur aus uns selber lernen können. Würde ich es je lernen?

So rang in bitterer Selbstqual die junge Menschenseele nach Licht und Klarheit, wie draußen über Land und Meer der Aequinoktiensturm wühlte und brauste.

Nur daß in der Natur die Zeiten des Jahres nach ewigen Gesetzen in unwandelbarer Folge sich aneinander reihen, und das arme trotzige Menschenherz nimmer weiß, ob seinem stürmenden Frühling je ein stetiger Sommer folgen wird.

(Fortsetzung folgt.)

Entdeckungsfahrten des deutschen Dampfers „Samoa.“[1]

I. 0Astrolabe-Bai bis Festungs-Kap.
Für die „Gartenlaube“ mitgetheilt von Dr. O. Finsch (Bremen).


Abfahrt von Sydney. – Mioko. – Ankunft in Astrolabebai. – Erste Begegnung mit Eingebornen. – Aeußeres. – Bekleidung. – Schmuck. – Kunstfertigkeiten. – Lebensweise. – Hausthiere. – Häuser. – Bevölkerung. – Insel Bilibili. – Junggesellenhaus, ein Kunstbau der Steinzeit. – Schönes Küstenland. – Töpferei.

Topffabrikation in Bilibili.

Die nothwendigen Veränderungen und die Ausrüstung der „Samoa“ hatten viel mehr Zeit, als vorauszusehen war, erfordert, und so konnten wir erst in der ersten Hälfte des September 1884 Sydney verlassen. In Australien geht nämlich meist Alles langsam, und man scheint dort das Yankeewort „time is money“ nicht zu kennen; wenigstens ließ sich in Sydney kein Handwerker finden, um bei einem Tagelohn von 14 Mark noch 4 Mark für eine Extrastunde zu verdienen.

Wir liefen zunächst Mioko, das Hauptetablissement der Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee-Inseln zu Hamburg, in der Herzog York-Gruppe an, um unsere Vorräthe zu löschen, und gingen in den ersten Tagen des Oktober nach Neu-Guinea weiter, und zwar war Astrolabe-Bai unser nächstes Ziel. So heißt eine ausgedehnte Einbuchtung ziemlich unterm fünften Grade südlicher Breite, die in den zwanziger Jahren zuerst von dem französischen Seefahrer Dumont d’Urville mit dem Schiffe „Astrolabe“ gesichtet, seither aber erst 1871 von N. de Micluho-Maklay, einem russischen Reisenden, besucht wurde. Er brachte hier fünfzehn Monate zu, hat aber über seine Erlebnisse kaum etwas veröffentlicht.

Die Reise verlief, mit Ausnahme eines kurzen Zusammentreffens mit Eingeborenen der French-Inseln, nördlich von Neu-Britannien, die sich sehr scheu zeigten, ereignißlos. Die See war, wie so häufig in diesen Breiten, glatt wie ein Spiegel und schien wie ausgestorben, denn nur selten ließen sich Meeresvögel sehen und zwar Fregattvögel, braune Tölpel (Sula) und schwarze Meerschwalben (Anous).

Am Morgen des vierten Tages hatten wir die Küste von Neu-Guinea vor uns – ein Anblick, der Alle befriedigte und überraschte, und dampften in die weite Astrolabe-Bai hinein. Sie ist von dicht bewaldeten Bergreihen umschlossen, hinter denen wiederum höhere Gebirgsketten, nach Süden zu das über 10 000 Fuß hohe Finisterregebirge, vorragen, welche das Landschaftsbild zu einem sehr anziehenden gestalten. Längs der Küste dampfend spähten wir vergebens nach Eingeborenen oder deren Niederlassungen, nirgends war eine Spur derselben zu entdecken! Astrolabe-Bai schien todt! Da, in weiter Ferne, zeigte sich plötzlich ein heller Fleck, den unsere Seefahrer für das Segel eines Schiffes ansprachen, und schon erging man sich in Betrachtungen über das bevorstehende Zusammentreffen mit Rassegenossen. Aber das angebliche Segel blieb unverändert und erwies sich später als eine Gruppe einfarbig gelbbelaubter Bäume. Solche gelbe Bäume, die sich schon von Weitem so auffallend in der meist einfarbig

  1. Die „Samoa“ wurde im Auftrage des damaligen Komité der Neu-Guinea-Kompagnie in Sydney gekauft und ist ein hölzerner Schrauben-Dampfer von 121 Fuß (engl.) Länge, 111 Tons reg. und 35 Pferdekraft (nom.). Sie wurde 1883 in Neu-Süd-Wales gebaut und führte, ehe sie unter deutsche Flagge kam, den Namen „Sophia Ann“. Die Besatzung bestand aus 14 Mann, das Kommando führte Kapitän Eduard Dallmann aus Blumenthal, einer der erfahrensten Kapitäne unserer Handelsmarine und in weiteren Kreisen durch seine Reisen nach der Arctic und Antarctic sowie Sibirien bekannt. Leiter des ganzen Unternehmens war Dr. O. Finsch. Sämmtliche Illustrationen zu diesen Artikeln sind nach Originalskizzen und Angaben des Verfassers von A. von Roeßler gezeichnet.Anm. d. Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_083.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)