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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Allerlei von den Königsbauten im bayrischen Hochlande.

Von † † †.
Die Bauten auf dem Falkenstein. – Der Hubertuspavillon. – Der Linderhof und sein Geheimniß.

Die gesammte deutsche Zeitungspresse beschäftigt sich neuerdings mit den Verlegenheiten, in welchen die Privatkasse König Ludwig’s II. von Bayern sich befindet, und zwar in um so intensiverer Weise, als Ludwig II. eine Persönlichkeit ist, welcher sich schon lange ein außergewöhnliches Interesse weitester Kreise zugewandt hat. Nach dem Tode seines Vaters Max, noch bei Lebzeiten seines Großvaters, des kunstsinnigen Dichter-Königs Ludwig’s I., als achtzehnjähriger Jüngling auf den Königsthron Bayerns erhoben, lenkte er von da ab durch das Absonderliche und Romantische seiner Situation, seines Wesens und seiner Lebensgewohnheiten die lebhafteste Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen auf sich. Im Jahre 1870, als das Vaterland in Gefahr war, hat er in schwerer Stunde einen männlichen Entschluß zum Heile Deutschlands gefaßt und sich dadurch die dauernde Dankbarkeit aller Patrioten, das Interesse und die Sympathie von ganz Deutschland erworben. Später waren es hauptsächlich zwei Dinge, welche Veranlassung wurden, daß man sich aller Orten in besonderer Weise mit dem jugendlichen König von Bayern beschäftigte: sein Hang zur Einsamkeit und zu großartigen phantastischen Bauten.

Der Hang zur Einsamkeit zeigte sich besonders frappant bei jenen vielbesprochenen nächtlichen, oft bis zum Morgen währenden Theatervorstellungen, in welchen der König ganz allein in dem sonst leeren Zuschauerraume des königlichen Hoftheaters in München sich große Opern und Schauspiele, die eigens für ihn gedichtet wurden und die außer ihm und den Mitwirkenden Niemand kennen durfte, mit enormen Kosten für prachtvolle Dekorationen und Kostüme vorführen ließ; der Hang zum Bauen an zahlreichen Berg- und Waldschlössern, die plötzlich an entlegenen Orten wie durch Zauber entstanden. Die Baulust mag vom Großvater Ludwig auf den Enkel vererbt worden sein, aber während Ludwig I. seine Bauten, welche ebenfalls viele Millionen verschlangen, in München und anderen Städten des Königreichs errichtete und meist allgemein-kulturellen Zwecken dienstbar machte, pflegt Ludwig II. die baulichen Schöpfungen, welchen seine Kabinetskasse ihre gegenwärtige Krisis verdankt, entweder in die weltabgeschiedene, heimliche Verborgenheit des Gewäldes, oder auf die sonnigen, ihre Umgebung weit und breit beherrschenden Zinnen des Hochgebirges zu stellen. Ersteres ist hinsichtlich des Linderhofes, des Hubertuspavillons und des Schlösser-Ensembles auf Herren-Chiemsee der Fall; letzteres bezieht sich auf die Pavillons auf dem Schachen, dem Brunnenkopf, dem Hennenkamm und der Klammspitze in der Nähe des Linderhofs, sowie auf die umfangreicheren Bauten, welche auf dem Falkenstein erstehen sollen. All diese zum Theil mit ungeheuren Kosten ausgeführten und mit Zufahrten versehenen Bauten dienen lediglich dem Privatgebrauch des Königs. Sie stehen einsam und verlassen, bis der König vielleicht einmal im Jahre auf ein paar Tage oder Wochen kommt, um in Prunkgemächern Wald- und Bergeinsamkeit zu genießen! Die Bedienung im engsten Sinne bildet in einem solchen Falle ein Kammerlakai, im weiteren drei Chevaux-legers vom vierten Chevaux-legers-Regiment und ein Friseur.

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Eine der neuesten und bizarrsten Gebirgsbauten des Königs soll der Falkenstein werden. Zwei Stunden westlich von dem alten, aber freundlichen Städtchen Füssen am Lech liegt er, ein Vorberg nur des Hochgebirgs, in der Nähe des Weißen Sees, hart an der Grenze Tirols. Allein er besitzt den ausschlaggebenden Vorzug, eine unvergleichlich schöne Aus- und Fernsicht einestheils nach Norden auf die wellige, von den hellgrünen Fluthen des Lechs durchblitzte, weitgedehnte Hochebene von Bayrisch-Schwaben und vom Allgäu, und anderntheils auf die Ketten des Hochgebirges zu gewähren. Ein Meer von Zacken, düster-ernste Wände, die eine immer drohender, immer zaubergewaltiger als die andere, ragen nach Süden, Osten und Westen auf.

Bis jetzt krönte den äußersten Gipfel des Falkensteins die Ruine einer Burg, welche vor Jahrhunderten Eigenthum des Fürstbischofs von Augsburg war und in der Schwedenzeit niedergebrannt wurde.

An einem Hochsommertage des Jahres 1883 hatten sich zwei elegante Herren an der kahlen verwetterten Südwand des Berges verstiegen. Der Aufstieg an dieser jeglichen Pflanzenwuchses baaren Seite des Berges, vom Pfrontener Thal aus, ist kein Kinderspiel und überhaupt nur auf sehr schmalen Bergpfaden möglich. Wohl brach sich der Schall der von den Herren ausgestoßenen Rufe an der Bergwand. Allein was bedeutet der Ruf der menschlichen Stimme in der Einsamkeit des Gebirges! Ein Glück war’s, daß „der Seppl“ just um dieselbe Zeit in seiner Hütte das Mittagsschläfchen beendet hatte und das Rufen vernahm. Seit acht Jahren nämlich hat der Seppl, ein blutarmer, aber grundehrlicher „Bua“ von dreißig und einigen Jahren ein Einsiedlerleben geführt auf dem Falkenstein, hat einen Pfad nach demselben angelegt und für diejenigen, welche ja einmal kamen, die Ruine zu besichtigen, einen Trunk bereit gehalten. Jetzt, wie er das Rufen hörte, da war er in seinem Fahrwasser. Bald hatte er die Herren heraufgeholt in seine Hütte. Und nun ging es an ein Fragen, daß der Seppl schier gar nicht genug hat antworten können. Er hat aber alles genau der Wahrheit gemäß berichtet, so wie er es selbst gewußt hat von Kindheit auf. Und dann hat er die Herren hinaufführen müssen auf den Gipfel. Und auch auf den allerhöchsten Gipfel sind sie geklettert, dahin, wo die Ruine steht, an deren Stelle das neue Schloß gebaut werden soll. Da haben sie freilich Augen gemacht, als das Gebirg und das Land viele, viele Meilen weit vor ihnen ausgebreitet lag, wie ein aufgeschlagenes Buch. Wer die Herren gewesen? Ja, der eine war ein bekannter Hofbeamter aus München, und der andere – der andere? – ja, der andere hat’s dem Seppl nicht gesagt, wer er gewesen ist, und zu fragen hat er sich nicht getraut, und darum hat er seinen Namen mir auch nicht verrathen können. Aber schon im Herbst desselben Jahres erfuhr man, daß König Ludwig II. einen Theil des Berges, zu welchem die Spitze mit der Ruine gehört, durch Kauf von der Gemeinde Steinach in seinen Privatbesitz gebracht habe.

Als die Frühlingssonne 1884 den Schnee auf dem Gebirg zum Schmelzen brachte, da begann ein Leben und ein Treiben an der waldbestandenen Nordseite des Berges, daß es eine Lust war. Ein Jahr später führte eine breite, solid gebaute Fahrstraße bis zur Spitze. Zugleich mit dem Bau derselben war eine Wasserleitung bis auf den äußersten Gipfel des Berges gelegt worden, ein ganz bedeutendes Werk. Bei dem Tiroler Städtchen Vils steht das Maschinenhaus, von welchem aus das Wasser auf den Gipfel getrieben wird. Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt 2½ Kilometer in der Luftlinie!

Die bis jetzt auf dem Gipfel selbst vorgenommenen Arbeiten galten ausschließlich der Herstellung eines Planums, auf welchem das Schloß erbaut werden soll. Felssprengungen auf der Nordostseite lieferten Anschüttungs- beziehentlich Ausfüllungsmaterial innerhalb nach Höhe und Stärke gleich gewaltiger Strebemauern. Weiter gilt es jedoch, auch den höchsten Gipfel und die denselben krönende Ruine abzutragen. Letztere besteht nur aus einem einzigen Innenraum. Hohl hallt der Tritt auf dem Fußboden desselben, und zu verschiedenen Malen schon sind Theile des Gesteins in die Kellerräume gesunken. Die Abtragung der Ruine und die Rasirung des Gipfels sollen in diesem Frühjahr erfolgen. Dann erst kann der eigentliche Bau des Schlosses beginnen. Die Bauzeit ist auf fünf Jahre festgesetzt. Mit seinen Thürmen, Söllern und Altanen weit hineinleuchtend in das Land, von allen Seiten sichtbar, würde dieses neue Schloß in der That eine glänzende Zierde der Gegend werden, aber voraussichtlich ebenso wie andere Schlösser, deren Erbauung und prunkvolle Ausstattung Millionen verschlang, in selten unterbrochener Stille und Verödung unbewohnt daliegen als ein glänzendes königliches Dekorationsstück.

Gestützt auf das feinsinnigste Verständniß des Wesens vom Schönen in der Kunst, verfolgt der königliche Bauherr mit Aufmerksamkeit das Fortschreiten seiner baulichen Unternehmungen. Von Zeit zu Zeit erfolgen Inspicirungen der Bauarbeiten durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_104.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)