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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Schweigend verhielt sich der Bräutigam und drehte den leeren Kelch zwischen den Fingern; ich glaube, er und ich, wir waren die Einzigen in der Gesellschaft, die still blieben; ich vor athemloser erstickender Angst. Mich dünkte es unerträglich in dem warmen Zimmer, unter den flackernden Kerzen, in dem Geruch von Wein, Speisen und stark duftenden Blumen. Aber Niemand dachte an das Aufstehen, denn der Prinz saß neben Lotte und plauderte und trank und vergaß, daß er vom Gehen gesprochen.

Endlich sprang er auf und bot Lotte den Arm. „In den Garten, meine Herrschaften!“ rief er, „es ist eine wunderbare Frühjahrsnacht draußen.“

„Kommen Sie, Tone,“ flüsterte Fritz und gab mir den Arm. Er riß mich förmlich hinter dem Paare her, das durch den Hausflur an den gaffenden Dienstleuten vorüber ging.

Bläulicher Mondenglanz hielt die Erde umfangen, fast betäubend dufteten Flieder und Goldregen, und im Gebüsch sang die Nachtigall. Wie im Traum schritt ich der weißen vor uns schwebenden Gestalt nach; keiner von uns sprach ein Wort, nur sein Arm zitterte. Er that mir unsagbar leid. Ich weiß nicht, warum mir plötzlich die Thränen heiß in die Augen kamen.

„Weinen Sie, Tone?“ fragte er.

„Nein!“ log ich.

„Wie gefällt Ihnen denn Se. Durchlaucht?“ forschte er, und es lag ein bitterer Ton in der Stimme. Aber ehe ich noch antworten konnte, hatte er hinzugefügt: „Kehren wir um! Ich bin es müde auf diesen Schlängelwegen hinterher zu laufen.“

Ich blieb zögernd stehen.

„Was wollen Sie denn, Tone?“ sagte er weich. „Was echtes Gold ist, schmilzt nicht an diesem Flackerfeuer.“ Und wir wandten uns und gingen stumm zurück, und als wir uns dem Lindenplatze näherten, blinkten Windlichter auf, und der Herr Oberförster füllte die Glaser aus einer großen Bowle.

„Nun singt doch, Kinder!“ hörten wir ihn sagen. „Aber wo ist denn die Jugend? Natürlich ausgeschwärmt, im Garten vertheilt; nun, wir haben’s auch nicht besser gemacht.“

Ich litt nicht, daß Fritz sich in dem Kreise zeigte ohne Lotte, und ich leitete ihn unvermerkt vorüber an dem Wege, der zu dem Platze führte. Ich wollte ihn irgend etwas fragen, und mir fiel weiter nichts ein, als Hans. „Sie schrieben doch damals an einen Freund in New-York?“

„Ja, allerdings.“

„Haben Sie nie Antwort bekommen?“

„O doch, Tone; aber sprechen wir heute Abend nicht davon. Gehen wir.“

„Nicht ohne Lotte!“ beharrte ich.

„Man soll Niemand zwingen; sie amüsirt sich vielleicht. Hören Sie, Tone!“ In der That schallte jetzt ihr Lachen zu uns herüber.

„Das ist sie doch?" fragte er, „so kann doch Lotte nur lachen?“ – Und als jetzt das weiße Kleid unfern auftauchte, rief ich laut:

„Lotte! Lotte! Dein Bräutigam sucht Dich!“

Da kamen sie; und im Mondschein sah ich ihre rosigen Wangen und blitzenden Augen und das Lachen um ihren Mund. Schweigend ging sie neben Fritz her und schweigend schritt der Prinz neben mir. Nach einer Weile sagte er nachlässig: „Es ist doch besser, ich empfehle mich auf Französisch, ich störe sonst vielleicht die Gesellschaft. Ich kenne noch aus meiner Jugendzeit Weg und Steg hier, und wenn ich dort durch jenes Gebüsch dringe, so stehe ich ungesehen an der Gartenpforte. Gute Nacht, Fräulein von Werthern!“

Im nächsten Augenblick schlugen hinter seiner schlanken Gestalt die vom weißen Mondlicht beleuchteten Büsche zusammen; er war verschwunden. Unter der Linde aber begannen sie zu singen, selbst die Alten stimmten ein. Lotte saß neben ihrem Bräutigam, hatte den schönen Kopf an den Stamm des Baumes gelehnt und schaute in die leise zitternden Aeste, die im Lichtschein smaragdgrün aufleuchteten. Großmutter kam mir entgegen und flüsterte: „Führe mich nach Hause, Tone, ich will mich zur Ruhe legen. Du kannst ja wieder hergehen.“

Aber ich blieb daheim und setzte mich auf den Balkon, der über den Garten hinaus hing. Dort unten schimmerten die Lichter durch die Blätter, und die Lieder, die sie sangen, klangen an mein Ohr; und als sie endlich verstummten, da sang die Nachtigall fort.

Dann Schritte und das Rauschen von Frauenkleidern. Lotte kam; unter dem Balkon blieb sie stehen. „Gute Nacht!“ sagte er weich und küßte sie. „Und noch einmal Dank für das Bild, Du hast mich innig damit erfreut!“ Aber sie schüttelte hastig den Kopf. „Gute Nacht!“ Sehr laut und sehr kalt klang es, und wie ein Spuk war sie verschwunden.

Ohne ein Wort mit einander zu sprechen, gingen wir schlafen. Als ich aber aus tiefem Schlummer auffuhr nachts, da saß sie hoch im Bette und starrte in den Mondenglanz, ohne sich zu regen.




Rotenberg steht auf dem Kopfe – es war nicht zu viel gesagt! Das kleine langweilige Städtchen schien urplötzlich wie verwandelt; vom Schloßthurm wehte die rothweiße Fahne lustig in der duftigen Maienluft, und in dem uns gegenüberliegenden Flügel des Schlosses waren alle Läden zurückgeschlagen. Es sah nicht aus, als ob des Prinzen Erscheinen eine flüchtige auf der Durchreise gefaßte Laune sei. Es hatte vielmehr Alles den Anschein, als wolle er länger bleiben. Im Souterrain hantirte ein Koch mit blendend weißer Mütze, und am Abend des zweiten Tages trafen einige Wagen, Pferde und zwei Lakaien ein, – der fürstliche Hofhalt begann.

Und nun die guten Rotenberger! Im Hirschengarten war Koncert angesagt; in der Einsiedelei droben am Walde italienische Nacht; auf der Schützenwiese, wo man schon Buden und Zelte für das diesjährige Vogelschießen erbaute, prangte ein Zeichen in rothen und weißen Farben, das die Gilde dem Prinzen zu Ehren errichten ließ, der schon vor zwei Jahren Ehrenmitglied geworden war. An allen Straßenecken aber klebten riesige Zettel mit der Ueberschrift:

Herzogliches Hoftheater zu Rotenberg.
„Die schöne Galathea“.

Wir wurden herrlich aus dem Morgenschlummer geweckt, der dem Tage nach dem Verlobungsfeste Lotte’s folgte, denn feierlich zogen die Klänge der Musik in unser stilles Zimmer: „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren“. Die Stadtkapelle brachte dem Prinzen ein Ständchen.

Ja, das lachende Leben ging wirklich los; nur wir saßen still daheim, stiller noch als je. Lotte hatte den kleinen Balkon zu ihrem Platz erkoren; dort, unter der dunkelrothen Marquise, die ich aus alten Gardinen hergestellt, saß sie und las, oder ihre Finger hielten eine Arbeit, oder sie träumte in den Garten hinaus. Sie war nicht einmal zu einem Spaziergange zu bewegen, seitdem wir auf dem einsamen Waldpfade über die Höhe des Berges urplötzlich Sr. Durchlaucht gegenübergestanden und er sich uns verbindlichst grüßend angeschlossen und uns somit genöthigt hatte, mit ihm und seinem Begleiter, einer prächtigen Dogge, welche Schnips sehr von oben herab behandelte, durch die Promenaden und an der Domaine vorüber heimzukehren. Die Leute hatten die Fenster aufgerissen, um uns nachzuschauen. Fritz, der uns kommen sah, empfing uns auf dem Domainenhofe und begleitete uns durch den Garten nach Hause. Er sagte nichts darüber, und wir auch nicht, aber Lotte ging nicht mehr aus seitdem.

Heute nun brachte uns ein Lakai ein zierliches Schreiben ins Haus, die Aufforderung zu einem bal champêtre im Schloßgarten! Lotte überflog kaum das Billet und legte es gleich hin, die Großmutter aber fragte seufzend: „Kann man refüsiren?“

„Ich – gewiß!“ sagte Lotte.

„O ja,“ antwortete ich der alten Dame, „wir haben ja Trauer.“

„Für mich ist er nur der unverheirathete Kavalier,“ erklärte Lotte, „der nicht die Berechtigung hat, Damen zu empfangen; und wenn alle die Hiesigen es sich zur Ehre schätzen Sr. Durchlaucht Befehlen zu gehorchen, ich danke dafür.“

„Mir soll es lieb sein,“ nickte die Großmama, nahm ihre

Zeitung wieder vor und vertiefte sich in die Hofnachrichten, denen zu Folge die Enthüllung des Standbildes Friedrich Wilhelm’s des Dritten im Lustgarten zu Berlin mit großer Feierlichkeit stattfinden würde. Die Zeitung war das Einzige, was der alten Dame noch ein Interesse abzugewinnen vermochte; sie ließ dann und wann ein hm! hm! vernehmen oder schüttelte den Kopf und alterirte sich über die Schreiereien der Franzosen. Und dann konnte sie lebhaft aus ihrer frühsten Jugend erzählen, wie sie das Schießen von Leipzig auf dem väterlichen Gute, das an der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_124.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2020)