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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

und Erholung verhindert vorzeitige Abnützung der Nerven. Aus diesen hochwichtigen Sätzen ziehe jeder die Moral für seine Lebensweise!

Gegen die nervösen Magenleiden ist darum das wichtigste Mittel Nervenstärkung im Allgemeinen. Die Magennerven selbst bedürfen dabei insofern der Schonung, als man ihnen ihre Arbeit zu erleichtern suchen soll. Es ist zweckmäßig, die Nahrungszufuhr auf mehrere Mahlzeiten des Tages zu vertheilen und dabei die schwer verdaulichen Speisen zu meiden, aber doch eine gewisse anregende Abwechselung beizubehalten. Zuweilen sind gerade bei nervösen Magenleiden leichte Reizmittel zum Genusse empfehlenswerth. Wenn zu wenig Magensaft abgesondert wird und dieser Mangel den Verdauungsstörungen zu Grunde liegt, thut ein Zusatz von Gewürzen zu den Speisen gute Dienste, oder muß der Verdauung künstlich durch Darreichung von Salzsäure und Pepsin nachgeholfen werden. Wer sein nervöses Magenleiden zu Hause in der gewöhnlichen Beschäftigung nicht los werden kann, der schnüre sein Ränzchen und gehe auf einige Wochen hinaus in Gottes freie Natur, in die Wälder, auf die Berge, an das Meeresgestade. Die neuen angenehmen Eindrücke auf Phantasie und Gemüth, die bluterfrischende Macht der gesunden Luft, die körperstärkende Bewegung aller Muskeln werden ihren mächtigen Einfluß auf Belebung der Nerven nur selten versagen und auch die widerspänstigen Magennerven siegreich bekämpfen.


Blätter und Blüthen.

Dank und neue Bitte. I. Fahrstühle betreffend. Von den Wohlthaten, welche die milde Hand unserer opferfreudigen Leser so gern armen Bittenden angedeihen läßt, sind im vorigen Jahre am reichlichsten diejenigen eingegangen, welche ihren Empfängern in der That am wohlsten thun. Wir konnten fünfundzwanzig jener Unglücklichen, denen schwere Krankheit den Gebrauch ihrer Glieder unmöglich gemacht hat, die Freude bereiten, aus den vier Wänden ihrer Schmerzensstätten hinaus in Gottes freie Luft befördert zu werden. Wir bedauern, daß wir nicht die sämmtlichen Dankbriefe als Lohn für die edlen Geber hier abdrucken lassen können; möge das Nachstehende ihnen genügen!

Einem körperlich von Geburt an elenden, aber geistig begabten Mädchen von nun 14 Jahren, das, mitten im schönen Gebirge im Vogtland wohnend, in seinem ganzen Leben noch keinen Baum der herrlichen Wälder gesehen, ist endlich diese Freude bereitet, und zwar durch Uebersendung eines Fahrstuhls vom Thüringerwald her, vom Stahlhüttenwerk „Grenzhammer“ bei Ilmenau.

Ein anderer Fahrstuhl stillte die Klage der armen Frau und Mutter in Guben, welche, 40 Jahre alt, seit 15 Jahren an Füßen und Händen durch die Gicht verkrüppelt, „wenn Andere sich in Gottes freier Natur ergötzten, die vier Wände ansehen mußte“; Alt und Jung weinten vor Freude, es war ein Weihnachtsjubel, als der Stuhl ankam. Wie der dritte Fahrstuhl an die von Kindesbeinen an lahme, nun über 30 Jahre alte Anna Lemmer in Kriegshaber bei Augsburg gelangte, das ist eine der liebenswürdigsten Geschichten der Wohlthätigkeit, von welcher wir leider weiter nichts verrathen dürfen, als daß ein gutes, freudiges Mädchen am Rhein einem unglücklichen am Lech eine Freude „wie vom Himmel gekommen“ bereitete.

Eine Leidensschwester der Vorigen in Großbothen, vom elften Jahre an am Unterkörper gelähmt, hat jahrelang in einem Kinderkorbe zubringen müssen, in demselben ist sie konfirmirt und – nun 31 Jahre alt geworden. Trotz der gichtverkrüppelten Hände sucht sie durch Nähen sich nützlich zu machen und verdient wirklich täglich – fünf Pfennige! Für dieses arme Wesen mußte ein eigener Fahrstuhl besorgt und eingerichtet werden. Dies geschah in Berlin, und ein edler Wohlthäter übernahm allein die Kosten desselben (125 Mark).

Eine große Freude erlebten wir in der Redaktion der „Gartenlaube“ selbst. Ein vormaliger Soldat des 107. Infanterie–Regiments in Leipzig, welcher an Verkrümmung der Halswirbel mit Verdrehung des Kopfes seit- und abwärts leidet und höchstens 10 Minuten am Stock zu laufen vermag, hatte trotz alledem sein ärztliches Zeugniß selbst in die Redaktion gebracht. Da das Glück es fügte, daß Tags zuvor ein ganz neuer Fahrstuhl von einem Wohlthäter aus Wiesbaden angekommen war, so ließen wir den Kranken sofort in denselben setzen, und so konnte der Ueberglückliche, der so mühselig hergehinkt war, nun stolz im eigenen Fahrstuhl heimkehren. – Allen Gebern mit dem Dank der Beglückten auch unsern Dank, insbesondere auch denen, welche uns durch Geldspenden unterstützten. Wir erhielten 5 Mark von einer Lehrers-Gattin, 9 Mk. von P. P., 100 Mk. von D. A. „in dankbarer Anerkennung dafür,“ schreibt der Geber, „daß es mir vergönnt ist, hier (in Meran) mir Gesundheit zu holen“; 100 Mk. von F. P. in O., mit dem Wunsche, der Empfänger möge Gott bitten, daß seine beiden kranken Mädchen bald wieder völlig genesen möchten. Dieses Gebet ist gewiß aus einem dankerfüllten Herzen gekommen. –

Und nun unsre Bitte an die Leser und Freunde der „Gartenlaube“, in dieser Wohlthätigkeit freudig fortzufahren! Noch immer liegen unerfüllte Wünsche, ungestillte Klagen vor uns. Eben deßhalb sind uns auch Anerbietungen von gebrauchten, aber noch guten Fahrstühlen gegen billige Entschädigung willkommen. – Die Bittenden aber ersuchen wir, ihren Schreiben stets obrigkeitliche Zeugnisse beizulegen, weil wir ohne dieselben keinerlei Wünsche um irgendwelche Hilfe berücksichtigen können.Die Redaktion.     

Ein Heim für deutsche Erzieherinnen in Paris. In zahlreichen Artikeln hat die „Gartenlaube“ auf das harte Los hingewiesen, welches deutsche Erzieherinnen so oft im Auslande trifft, und wiederholt ist in denselben dringend und warm die Nothwendigkeit betont, von der deutschen Heimath aus für jene von Noth und Sorge und von Gefahren aller Art oft bitter bedrängten Frauen in den fremdländischen Weltstädten einzutreten. Arm an Erfolgen, überreich an Enttäuschungen ist namentlich auch das Leben deutscher Erzieherinnen in der französischen Metropole, und gerade dort fehlte es bisher an einem geeigneten Heim, zu welchem die meist ebenso rathlosen als von allen Mitteln entblößten, nicht selten auch noch erkrankten Lehrerinnen ihre Zuflucht hätten nehmen können. Gegenwärtig wird indeß auch dort Abhilfe angestrebt, und da keine Geringere als die deutsche Kronprinzessin an der Spitze des „Vereins zur Gründung eines Heims für deutsche Erzieherinnen in Paris“ getreten ist, so dürfte wohl auch eine rasche und glückliche Erreichung des angestrebten Zieles zu erwarten sein. Namentlich das erhebende Beispiel eines ungenannten Wohlthäters aus dem Königreiche Sachsen, welcher unter der Bedingung baldiger Errichtung des Heims die Summe von 34 000 Mark für dasselbe zur Verfügung gestellt hat, möge zur Anspornung dienen, den Ruf deutschen Gemeinsinns auch in diesem Falle zu bewahrheiten. Jeder nach seinen Mitteln: bescheiden der eine, reicher der andere – einig aber beide im Hochsinn, das ist das Rechte!

Schatzmeister des Vereins ist der Geh. Kommerzienrath von Hansemann, Berlin W., Behrenstraße 43.* *     

Zwei Schachmeister. Das königliche Spiel hat in neuester Zeit eine internationale Bedeutung gewonnen: vorüber ist die Idylle des Schachs, die wir noch auf manchen treuherzigen Gemälden abgebildet sehen; zwei Schachspieler sitzen in der Rebenlaube, im Boudoir, im Arbeitszimmer und messen ihre Kräfte; rings tiefe Stille und Einsamkeit. Das ist jetzt anders geworden; es kamen die Turniere in London und anderen Weltstädten. Da fand das Schachspiel statt in voller Oeffentlichkeit; um die Bretter der Meister drängte sich ein großes Schachpublikum; jeder Zug, jede Partie wanderte in die Zeitungen. Und so bildeten sich auch in Deutschland anfangs provinzielle Vereinigungen, später der große deutsche Schachbund, der 85 Schachklubs vereinigt und Meisterturniere veranstaltet, bei denen die anerkannten Matadore mit einander kämpfen und jüngere Kräfte unter gewissen Bedingungen die Meisterschaft erringen können. Ebenso häufig waren die sogenannten „Match“, die Wettkämpfe zwischen zwei Größen des Schachs: einer der berühmtesten war der in Paris zwischen unserem unvergeßlichen deutschen Schachmeister Andersen und dem genialen Nordamerikaner Morphy, zwei Kämpfern, die einander gleich standen in ursprünglicher Begabung, in glänzender und überraschender Spielweise mit den weitreichendsten Kombinationen, wenn auch das Schlachtenglück den Amerikaner begünstigte.

Ein solcher Match zieht gegenwärtig die Blicke von Europa und Amerika auf sich und mag zugleich als glänzendster Beweis dafür dienen, wie im Zeitalter der Eisenbahnen und Telegraphen das Schach selbst in den großen Weltverkehr mit hereingezogen worden ist und die Schachmeister eine Rolle spielen wie die internationalen Berühmtheiten der Kunst. Dieser Match findet in Nordamerika statt, obschon die beiden Kämpfer, Zuckertort und Steinitz, keine Amerikaner sind. Der erstere ist in den Ostseeprovinzen geboren, lebte lange in Posen und Breslau und kann als ein Jünger Andersen’s betrachtet werden; seit Jahren hatte er London zum Aufenthalt gewählt als Schachlehrer, Schachredakteur und Korrespondent; im Blindlingsspiel hat er seine Meisterschaft in ganz Deutschland bewährt, bei mehreren großen Turnieren Preise gewonnen. Sein Gegner Steinitz ist ein Oesterreicher, aus Mähren gebürtig, in jüngster Zeit in Amerika lebend, wo er eine Schachzeitschrift herausgiebt.

Die Bedingungen des Match sind: 2000 Dollars Einsatz; Sieger ist, wer zuerst zehn Partien gewonnen hat; hat jeder der Spieler neun Partien gewonnen, so soll der Match für unentschieden gelten, damit nicht der Gewinn einer einzigen Partie den Ausschlag giebt. Der Beginn des Match fand in New-York statt. Nach vier Partien begeben sich beide Spieler nach St. Louis, und dort an den Ufern des Mississippi sitzen sie sich jetzt gegenüber. Dann ist in den Bedingungen festgesetzt, daß, wenn auch hier der eine der Gegner drei Partien gewonnen hat, der Abschluß des Match in New-Orleans stattfindet. In der Stadt des gelben Fiebers soll der eine der Kämpfer den Todesstoß erhalten.

Ein solcher Wandermatch ist in der Geschichte des Schachspieles etwas Neues; vielleicht bemächtigt sich später einmal ein Barnum eines solchen Schachwunders und führt es durch alle Erdtheile spazieren; denn auch unter den Lotosblumen an der ewigen Ganga giebt es Meister des Schach. Zunächst sind auf den Ausgang des Match kolossale Summen verwettet: englische Lords und amerikanische Dollar-Millionärs sind die Wettenden – „hier Steinitz, hier Zuckertort!“ ist die Losung diesseit und jenseit des Oceans. Bisher ist der Letztere ein wenig im Vortheil, er hat in New-York vier Partien hinter einander gewonnen; doch das Schlachtenglück ist wechselnd und ihm in St. Louis nicht in gleicher Weise treu geblieben. Was die Persönlichkeit der beiden Schachgrößen betrifft, so haben sie kaum das preußische Rekrutenmaß. Steinitz ist breit und massiv, Zuckertort fein, mager, geistig beweglich. Der Ausgang des Match ist zweifelhaft: zwischen Spielern von gleicher oder nahezu gleicher Stärke entscheidet oft der Zufall, der von der Schachtheorie verbannt ist, aber in der Praxis des edeln Spiels oft seine koboldartige Rolle mit unerwarteter Wirkung durchführt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_163.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2024)