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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Früher habe ich mir einmal eingebildet, Du liebtest Fritz Roden,“ fuhr sie fort, „Aber seitdem ich Dich so gelassen dasitzen sah und häkeln, wenn er als mein Bräutigam kam, sagte ich mir – nein, wenn Jemand liebt, dann zieht er doch eher einen Sprung von der Brücke ins kalte Wasser vor, ehe er ansieht, wie der Gegenstand seiner Neigung eine Andere in die Arme nimmt. Nicht wahr, Tone?“

Ich konnte nicht antworten; sie hatte ja nicht gesehen, wie ich gekämpft und gerungen, wie ich auf der dunklen Treppe gesessen in Qual und Verzweiflung, wie mir das Herz zum Zerspringen pochte, jedesmal wenn ich seine Schritte hörte, und wie viel durchweinte Nächte mich dieses „ruhige Dasitzen“ gekostet hatte.

Auch sie schwieg, und ihre kleinen, bei den letzten Worten zur Faust geballten Hände lösten sich langsam, „Und darum, meine ich, kannst Du ruhig da drüben bleiben, ohne daß Dein beneidenswerther Gleichmuth ins Schwanken kommt,“ sagte sie endlich.

„Das nennst Du Liebe?“ fragte ich, die letzten Worte überhörend.

„Ja, das ist Liebe!“ erklärte sie bestimmt. „Soll es etwa Liebe sein – angenommen Du hättest Fritz Roden gern gehabt – wenn Du kommst und ihm das Wort bei mir redest, mir seinen Antrag überbringst, mich in der gräßlichsten Zeit meines Lebens, meinem Brautstande, dazu anhältst, ihm gebührlich zu begegnen, mich auf den Knieen bittest ihm mein Wort nicht zurückzugeben, weil er sonst unglücklich würde? Tone, weißt Du, solche Art Edelmuth hat keine Frau, die liebt; selbst die edelste Seele nicht, für die ich Dich im Großen und Ganzen halte. So kann sich Niemand in der Gewalt haben und wäre er in Selbstbeherrschung geübt, wie Keiner.“

„Ich glaube an bessere Liebe,“ sprach ich halblaut.

„Dann ist es aber keine Liebe,“ fuhr sie zornig auf, „Drehe Dich doch nicht immer auf einem Fleck, Tone; nenne es Freundschaft, Zuneigung, Wohlwollen, wie Du willst – aber rede nicht von Liebe! Liebe ist nicht besser oder schlechter, sie ist immer und überall dieselbe, sie duldet nichts Fremdes, Du willst mir doch nicht weismachen, daß Du –“

„Darf ich Dir die Zeitung weiter vorlesen, Lotte?“ unterbrach ich sie kurz.

„Nein, ich danke! Ich kann diese Kriegsberichte bald nicht mehr hören,“ erwiderte sie verdrießlich, „ebensowenig wie ich die entsetzlichen Socken kaum noch sehen kann, die Du permanent strickst.“

Das war wieder die alte kapriciöse Lotte Werthern, die Unglaubliches leistete, wenn es ihre Ansicht zu behaupten galt; die so weh thun konnte mit ihrer Zunge, Ich strickte schweigend meine Nadel vollends ab und begann die Arbeit zusammenzurollen, als ich auf dem sonnenbeschienenen Mittelweg Anita erblickte. Sie war in schwarzer Kleidung, und ihre kleine Gestalt nahm sich besonders vortheilhaft darin aus; es war Alles unendlich zierlich an ihr bis hinunter auf die Schuhchen und die spitzenbesetzte Taffetschürze. Sie hatte einen eigenthümlich schwebenden Gang, und ich mußte wieder daran denken, wie schön sie noch vor wenig Jahren gewesen sein mochte.

Erst als sie näher kam, bemerkte ich, daß sie sichtlich verstört aussah und ihre Blicke sich halb mitleidig, halb befriedigt auf Lotte richteten. Anita’s Augen konnten nichts verschweigen von dem, was in ihrer Seele vorging, „Frau Gräfin“, sagte sie mit mühsam zur Ruhe gedämpfter Stimme, „ich bringe keine gute Nachricht, heute früh ist in R. ein todter Prinz geboren.“

Wenn ein Blitz vor mir niedergefahren wäre, ich hätte nicht entsetzter sein können. Aber Lotte sagte nur: „O! – todt? Wie traurig!“

Sie hatte keine Ahnung, daß mit dem kleinen wappengeschmückten Sarg noch etwas Anderes hinabgesenkt werden würde als die Hoffnung des Landes, als das letzte Glück der zu Tode gebeugten verwittweten jungen Mutter.

Anita schwieg und sah mich an; unsere Augen begegneten sich bang und verständnißvoll. Und Lotte saß da und wickelte den rothen Seidenfaden um die Nadel und dachte an einen Kranz für den Sarg.

„Da möchten Sie den Gärtner benachrichtigen, Anita,“ begann sie, „einen Veilchenkranz soll er arrangiren; er hat soviele Veilchen jetzt, und es sind Frühlingsblumen. Arme Prinzessin! Wie geht es ihr, Anita? Woher überhaupt wissen Sie es?“

„Die ganze Stadt spricht davon, Frau Gräfin.“

„Man wird es mir wohl anzeigen. Benachrichtigen Sie den Gärtner wegen des Kranzes.“ – Anita ging in den Garten hinein.

(Fortsetzung folgt.)

Thankmar’s Tod.

Ein Stück deutscher Reichsgeschichte.

Das ganze erste Jahrzehnt der Herrscherzeit Otto’s des Großen, den die Geschichte als den eigentlichen Gründer des ersten deutschen Kaiserreichs betrachtet, bildet eine ununterbrochene Kette blutiger Fehden mit den blutsverwandten oder verschwägerten Gliedern der eigenen Familie und den der Unterwerfung unter ein königliches Haupt widerstrebenden Fürsten der einzelnen Stämme. Von diesen Kämpfen löst sich der Aufstand des kaiserlichen Stiefbruders Thankmar als eine selbständige erschütternde Tragödie heraus, die mit dem Tode des unglücklichen Helden ihren grausigen Abschluß fand.

Heinrich der Erste, mit dem volksthümlichen Beinamen der „Finkler“, hatte, als er noch schlichter Herzog in Sachsen war, die anmuthiqe Hetheburg, eine Tochter des reichen Grafen Erwin, gefreit und zu Merseburg, dem gräflichen Burgsitze, mit ihr ein glänzendes Beilager gehalten. Die Kirche erkannte aber diese, wie es scheint, ohne ihre Mitwirkung geschlossene Ehe nicht an, der Erzbischof von Halberstadt lud vielmehr die beiden Gatten vor das geistliche Gericht, welches die Ehe für gelöst erklärte und dem Kinde, das Hetheburg bereits unter dem Herzen trug, die Rechte der ehelichen Geburt absprach. Das Kind war jener Thankmar. Heinrich verheirathete sich später von Neuem in rechtsgültiger Ehe mit Mathilde, einer Enkelin des alten Sachsenherzogs Wittekind, und dieser Ehe entsprossen zwei Söhne, Otto und der jüngere Heinrich, bei dessen Geburt Heinrich der Finkler schon König war. Als der letztere an dem Markstein seines Lebens stand, empfahl er den deutschen Fürsten Mathildens erstgeborenen Sohn Otto als seinen Nachfolger in der Königswürde. Die Fürsten wählten auch einstimmig Otto zum König, wenn er auch nicht wie sein jüngerer Bruder Heinrich im Purpur geboren war, ein Umstand, den dieser später zum Grund blutiger Befehdung des kaiserlichen Bruders nahm.

Thankmar fügte sich erst willig in das von der staatlichen und kirchlichen Satzung ihm diktirte herbe Los, bis ein Ereigniß die schlummernden Triebe seines Ehrgeizes ins Wachen rief und zu verhängnißvollem Handeln antrieb.

Graf Siegfried, dem schon unter Heinrich dem Finkler die Statthalterschaft von Sachsen anvertraut und der über die unterworfenen Wenden entlang der ganzen Ostmark des Reichs gesetzt war, hatte das Zeitliche gesegnet, und Thankmar glaubte einen Anspruch auf diese bedeutsame Stellung erheben zu können, um so mehr, als er durch seine Mutter Hetheburg mit dem Grafen Siegfried blutsverwandt war. Er sah sich jedoch in seiner Erwartung getäuscht; denn Otto verlieh die Stelle dem Grafen Gero, dem Sprossen eines bisher noch unrühmlichen Geschlechts am Unterharz. Es mochte ihn dazu wohl die politische Erwägung bestimmt haben, daß eine solche Machtstellung den in seinen Kindesrechten gekränkten, seinem Charakter nach als leidenschaftlich und habgierig gescholtenen Bruder leicht zu weiteren gefährlichen Unternehmungen des Ehrgeizes anregen könne. Thankmar nahm indeß die Kränkung nicht willig hin, sondern sann darauf, das Verweigerte sich mit Gewalt zu verschaffen. Der eigenen Macht entbehrend, mußte er darauf ausgehen, sich einen mächtigen Bundesgenossen zu schaffen, und fand ihn in Herzog Eberhard von Franken, der gleich Thankmar den Groll gekränkter Ehre im Herzen nährte.

Herzog Eberhard besaß nämlich im Hessenlande, das damals zu Franken gehörte, reiche Güter, mit denen sächsische Edelleute belehnt waren. Die Sachsen aber waren darüber stolz geworden, daß jetzt aus ihrem Stamme die Könige gekürt wurden, und hielten es wohl

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