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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Es ist zum Ersticken hier,“ bemerkte Lotte und stieß mit dem Fuße die Thür zum Schlafzimmer auf; „diese Stuben sind niedriger als ein Gefängniß, fürchterlich!“

In diesem Augenblick klopfte es, und Anita trat mit einer Korbwanne ein, bedeckt mit einem Tuche. Lotte nahm sie ihr aus der Hand, stellte sie auf den Tisch und riß die Decke hinweg.

„Was fällt Ihnen ein!“ rief sie zornig und wies auf verschiedene Schmucketuis. Glauben Sie, daß ich den Bettel behalten will? Hier!“ Sie ergriff eins der Etuis aus schwarzem Leder, auf dem ihr Monogramm, mit der Grafenkrone darüber, in Gold gepreßt stand, „hier!“ und krachend lag es zu Anita’s Füßen, daß ein blitzendes goldenes Armband heraussprang. „Und hier – und hier!“ Drei bis vier andere Kästchen folgten, nach denen sich Anita bestürzt bückte. – „Und da!“ Und dem Mädchen hart am Kopf vorbei flog eine Kassette, aus der klingend und klirrend Gold- und Silberstücke sprangen und hüpfend durch das Zimmer rollten.

„Was habe ich Ihnen gesagt?“ rief sie; „die Briefe wollte ich haben! – Wie kommen Sie dazu, mir eigenmächtig mit diesem Plunder unter die Augen zu treten? Setzen Sie ihn wieder hin, wo Sie ihn fortgenommen; ich will ihn nicht!“ Und sie stieß mit der Fußspitze an das nächstliegende Etui, daß es in die äußerste Ecke des Zimmers flog.

Sprachlos standen wir dabei. Sie hatte eine kleine Truhe aus Elfenbein mit Silberbeschlag ergriffen und ihre zitternden Finger öffneten sie mit einem winzigen Schlüsselchen. Sie war voller Briefe; und im nächsten Augenblick saß Lotte vor dem Ofen, und ihre Hand warf, soviel sie der beschriebenen Blätter zu fassen vermochte, in die Gluth.

„Um Gotteswillen, Frau Gräfin!“ rief Anita erblassend und eilte zu ihr, „verbrennen Sie nichts, keine Zeile; jedes Wort des Prinzen ist wichtig für Sie in Ihrer jetzigen Lage, für Ihre nächste Zukunft!“

„Gehen Sie,“ befahl Lotte kurz.

„Frau Gräfin!“ flehte das Mädchen.

„Gehen Sie!“ wiederholte die zornige Frau noch einmal mit erhobener Stimme, und das flammende Papier beleuchtete ihr blasses Gesicht; sie sah entsetzlich aus, fast entstellt.

(Fortsetzung folgt.)

Blätter und Blüthen.

Der Kaiser „Unter den Linden“. (Mit Illustration S. 213.) Wenn die Vorträge und Audienzen beim Kaiser Wilhelm Vormittags beendet sind, pflegt der Monarch täglich bei nur einigermaßen gutem Wetter, begleitet vom dienstthuenden Flügel-Adjutanten, vor dem Diner eine Spazierfahrt im offenen Wagen zu unternehmen.

Gewöhnlich ist es die Zeit zwischen ein und drei Uhr, in der sich der greise Herrscher eine kurze Erholung in frischer Luft gönnt, und nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter, oft bei strenger Kälte sieht man die wohlbekannte offene zweispännige Equipage, deren Nahen durch berittene, die Bahn freimachende Schutzleute verkündet wird, „Unter den Linden“ vorübereilen. Weithin schon ist der in der Luft flatternde weiße Federbusch des neben dem Kutscher sitzenden Leibjägers sichtbar, man hört den festen Hufschlag der Rappen, und unter den zahlreichen Passanten giebt sich eine ungewöhnliche Bewegung kund: „Der Kaiser kommt!“

Die Berliner kennen die Zeit genau, in welcher der hohe Herr auszufahren pflegt, und es ist um diese Zeit „Unter den Linden“ in der Regel lebhafter als zu anderen Tageszeiten.

Auf unserem Bilde ist der Moment aufgefaßt, wo der Kaiser, vom Brandenburger Thore her von einer solchen Ausfahrt zurückkehrend, die Südseite der Linden entlang fährt. Der Monarch liebt es, als Kopfbedeckung stets den Helm zu trageu; nur selten sieht man ihn in der Mütze. Um die Schultern liegt lose der hellgraue Militärmantel, den er selbst im Sommer nicht abzulegen pflegt. Neben ihm zur Linken sitzt der Flügel-Adjutant, mit dem der Herrscher sich oft sehr lebhaft unterhält, wobei man ihn häufig lächeln sieht.

Wo die Equipage passirt, macht das promenirende Publikum ehrfurchtsvoll Front – Hüte und Mützen fliegen von den Häuptern, und die Damen verneigen sich tief oder winken mit den Taschentüchern. Die Kinder des Volkes aber lassen häufig ein kräftiges „Hurrah!“ ertönen, das sich wellenförmig fortpflanzt, bis der Wagen in das Palais einbiegt. Jeder, Jung und Alt, drängt sich herbei, um den Monarchen so nahe als möglich zu sehen und einen Gruß zu erhaschen. Und der wird Vielen zu Theil. Nach allen Seiten hin grüßt der Kaiser freundlich, auch öfter leicht den Kopf neigend. Er ist es gewöhnt, die aufrichtige, von Herzen kommende Huldigung des Volkes überall entgegenzunehmen, wo er sich auch zeigt. Am 22. März, Kaisers Geburtstag, sieht es allerdiugs feierlicher aus „Unter den Linden“; lebhafter rollen die zahllosen Wagen zum kaiserlichen Palais, fluthet die Menschenwoge zwischen den breiten Baumreihen, denn jener Tag ist der Festtag des ganzen Volkes, dessen feierliche Stimmung in der Kaiserstadt am offensten zum Ausdruck gelangt.

Wenn aber einmal die kaiserliche Equipage „Unter den Linden“ ausbleibt, wenn es heißt: „Der Kaiser fährt heut nicht aus“, dann zeigt sich sogleich eine lebhafte Besorgniß in der Bevölkerung. Dann drängt man zum Palais, um Erkundigungen einzuziehen, bis das ehrwürdige Haupt des Monarchen sich am Eckfenster zeigt und jeder beruhigt seines Weges zieht.

Ist aber der hohe Herr wirklich genöthigt, das Zimmer zu hüten, und zeigt er sich nicht am Fenster, wie das leider in letzter Zeit öfters der Fall war, dann ist die erste Ausfahrt jedesmal ein Fest für die Berliner Bevölkerung und der Enthusiasmus ein erhöhter. H. H.     


Otto von Corvin-Wiersbitzky †. In Wiesbaden starb in der Nacht vom 2. zum 3. März ein alter Vorkämpfer der Revolution von 1848, Oberst von Corvin, der auch in früheren Zeiten ein Mitarbeiter unseres Blattes gewesen. In seinem vierbändigen Memoirenwerk „Erinnerungen aus meinem Leben“ hat er selbst mit großer Offenherzigkeit volle Aufschlüsse über seine zum Theil abenteuerlichen Lebensschicksale gegeben, und zwar ohne jede Schönfärberei. Otto von Corvin war am 12. Oktober 1812 in Gumbinnen geboren, wo sein Vater als Postdirektor lebte. Seine Familie leitet er von dem altrömischen Patriciergeschlecht der Valerier ab, namentlich von Marcus Valerius, der im Jahre 349 v. Chr. nach seinem Zweikampfe mit dem gallischen Goliath den Beinamen Corvus erhalten; auch die Messalina rechnet er zu seinen Ahnfrauen, ebenso ist der ungarische König Matthias Corvinus einer seiner Ahnen. Der Sprößling der alten Römer kam 1824 in das Potsdamer Kadettenhaus, wurde dann als Officier nach Mainz versetzt, wo er verschiedene Liebesabenteuer mit Mainzer Bürgermädchen und Französinnen bestand, die er selbst mit der Grazie eines Novellisten erzählt. Hier schloß er Freundschaft mit Friedrich von Sallet, später vielgenannt als Dichter des „Laienevangelium“, der damals wegen einer militärischen Humoreske zu einer kurzen Festungsstrafe verurtheilt worden war. Das Beispiel Sallet’s brachte auch ihn auf den Gedanken, Schriftsteller zu werden; er dichtete ein fünfaktiges Trauerspiel, „Die Hunyaden“, das erst neuerdings im Druck erschienen ist.

Ein anderer Freund von ihm war der spätere Berliner Demagog Held, der auch damals preußischer Lieutenant war. Aus diesem Kreise freigeistiger Officiere schied Corvin bald aus; er nahm seinen Abschied und siedelte nach Leipzig über, wo sich damals eine Litteraturkolonie zusammengefunden hatte, deren Häuptlinge Heinrich Laube, Robert Heller, C. Herloßsohn waren; auch Held hatte sich nach seiner Pensionirung hier niedergelassen und gab die „Lokomotive“ heraus, an welcher Corvin fleißig mitarbeitete. Daneben war dieser auch Begründer einer Schwimmanstalt, Buchhändler und Kaufmann.

Bei einer Geschäftsreise nach Paris gerieth er gradewegs in die Februarrevolution von 1848, an der er sich denn ohne Weiteres tapfer betheiligte. Hier machte er auch die Bekanntschaft von Herwegh, wurde Mitglied der deutschen demokratischen Gesellschaft und machte den ersten badischen Freischarenzug mit, den Vorläufer des großen Aufstandes, welcher für Corvin’s Leben von einscheidender Bedeutung wurde: das Bombardement von Ludwigshafen und die Vertheidigung von Rastatt fanden unter seiner militärischen Oberleitung statt. Diese Festung mußte sich zuletzt auf Gnade und Ungnade ergeben. Die Führer des Aufstandes wurden durch ein Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und erschossen; den Freunden Corvin’s gelang es, das über ihn gefällte Todesurtheil in eine sechsjährige Zuchthausstrafe zu verwandeln.

Von seinen Leiden und Stimmungen, von seiner Demüthigung und Zerknirschung im Zuchthaus giebt uns Corvin in seinen Memoiren ein mit der anschaulichsten Detailmalerei ausgeführtes Bild. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängniß zu Bruchsal ging er 1855 nach London und 1861 als Korrespondent der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ auf den nordamerikanischen Kriegsschauplatz. Später trat er in die Armee der Union und wurde dann im Bankbureau des Schatzamtes sowie im Patent-Office beschäftigt, wo er Karten zeichnete. Im Jahre 1867 ging er als Korrespondent der „New-York-Times“ nach Berlin, von wo er als militärischer Berichterstatter der „Neuen Freien Presse“ im Jahre 1870 sich nach Frankreich begab; wenn er hier von den deutschen Officieren im Hinblick auf seine Vergangenheit bisweilen nicht allzuglimpflich behandelt wurde, so entschädigte ihn dafür eine Begegnung mit Bismarck, der ihm sehr freundlich entgegenkam. Seit 1874 lebte Corvin wieder in Leipzig, mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt; aus Gesundheitsrücksichten begab er sich in letzter Zeit nach der thüringischen Heilanstalt Elgersburg und dann nach Wiesbaden, wo ihn der Tod ereilte.

Otto von Corvin war noch in seinen spätesten Lebensjahren eine überaus lebendige unruhige Natur, wie man mit einer volksthümlichen Wendung sagt: „immer Feuer und Flamme“. Er war nichts weniger als ein politischer Doktrinär: vergebens würde man in seinen Memoiren eine nähere Motivirung für sein Eingreifen in die revolutionäre Bewegung suchen. Das lag damals in der Luft und erschien ihm als selbstverständlich. „Das Parlament brauchte ein Volksheer“, darin liegt seine Rechtfertigung des badischeu Aufstandes. Ein unruhiger Thatendrang beseelte ihn; immer wollte er im Mittelpunkte der Ereignisse sich befinden, anfangs als Theilnehmer an denselben, in späteren Jahren wenigstens als Berichterstatter. Man hätte ihn bei seinen früheren kriegerischen Abenteuern einen Landsknecht der Freiheit nennen können; doch er blieb stets ein tapferer und redlicher Mann und später der deutschnationalen Sache warm ergeben.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_215.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2024)