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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 13.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)


8.

Ich mußte Ellinor lieben, trotzdem sie mich mit offenbar geflissentlicher Geringschätzung behandelte, aber das schien mir kein Grund, Fräulein Hersilie Drechsler, ihre Gouvernante, nicht zu hassen, obgleich sie mir nicht minder geflissentlich alle mögliche Höflichkeit erwies. Schlagododro hatte Recht: die Dame machte ihrem Namen Ehre! Alles war an ihr gedrechselt, von ihren blonden Locken, die heute um eines Haares Breite dieselben waren wie gestern, bis zu ihren Redensarten, welche sie mit silbenmäßiger Treue endlos wiederholte. Höchstens, daß in ihren Ausdrücken der Bewunderung eine kaum noch für möglich gehaltene Steigerung stattfand, so oft sie auf die Verdienste und die Herrlichkeit des Adels zu sprechen kam. Und das geschah bei jeder Gelegenheit, wenn man Gelegenheit nennen konnte, was sie frisch vom Zaun brach.

In dem Adel gipfelte sich für sie die Pyramide der Menschheit, die im Uebrigen nur um dieses Gipfels willen vorhanden war. Daran auch nur den mindesten Zweifel zu hegen, galt ihr als ein Beweis tiefster intellektueller Depravation und moralischer Verwilderung. Daß das übrige Volk dem Adel in jeder Beziehung die Initiative zu überlassen und in der Ausführung einfach zu gehorchen habe, sei so selbstverständlich, wie daß der Leib dem Kopf gehorche. Der Adel sei eben der Kopf der Nation und nicht minder das Herz; ein Volk ohne Adel ein todter Leichnam. Hätte man in dem verruchten Jahre 48, wie man demokratischerseits verlangte, den Adel abgeschafft, so hätte sie hinterher nicht geboren werden mögen.

„Unnöthige Sorge,“ sagte Schlagododro zu mir; „sie ist lange vor 48 geboren. Wir schreiben jetzt 70 und ich wette, daß sie mindestens eine hohe Neununddreißigerin ist.“

Nun, und aus diesem mir so verhaßten Munde sollte ich auch die widerwärtige Nachricht erfahren, daß Astolf sein Fähndrichexamen bestanden habe und in nächster Zeit auf Nonnendorf erwartet werde.

Ich wollte sofort abreisen und sagte es Schlagododro. Er beschwor mich, daran nicht zu denken.

„Der Grund könnte nicht verborgen bleiben,“ sagte er, „und das wäre eine schwere Kränkung für meine Mutter, die, wie Du mir zugeben wirst, das nicht um Dich verdient hat. Astolf ist ihr Liebling, sie nimmt an, daß er auch der aller Welt sein muß. Du weißt, meiner ist er nicht; wir stehen sogar brüderlich recht schlecht gegeneinander. Ich wollte auch, er käme nicht, obgleich ich ihn ja jetzt ruhig kommen sehen kann, was noch vor zwei Wochen nicht der Fall gewesen wäre.“

Ich blickte dem Freund fragend in die, wie mir schien, in Verlegenheit rollenden Augen.

„Na,“ sagte er, „ich brauche ja jetzt nicht mehr damit hinter dem Berge zu halten, nachdem ich mich überzeugt habe, daß Du wirklich die schöne Hexe von Ellinor noch immer nicht liebst; und ich – na, Du weißt ja. Ich bin froh, daß ich glücklich von ihr los bin, und ich denke, nun soll auch das Verhältniß zwischen mir und Astolf besser werden. Ich könnte mich so schon für meine Eselei prügeln. Astolf ist der Aeltere, ist ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_217.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)