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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

damit einer ungeheuerlichen, ebenso unvernünftigen als widerwärtigen Sitte fröhnen.

Die Haartracht der Japanerin ist keineswegs geschmacklos, und bei dem reichen Wachse des Kopfhaares sogar effektvoll zu nennen. Zu ihrer Instandsetzung gehört große Sachkenntniß und Geschicklichkeit, sodaß das Frisiren niemals eigenhändig vorgenommen werden kann; vielmehr braucht man dazu Friseurinnen, welche die Köpfe der Frauen – bis hinunter zu den ärmsten Kulifrauen – frisiren und zurechtstellen. In gleicher Weise erfordert das Schminken und Bemalen des Gesichtes und Halses große Fertigkeit. Dasselbe ist ganz allgemein üblich, denn selten sieht man eine jüngere Japanerin ohne diesen widrigen Anstrich, der sie begreiflicher Weise viel mehr entstellt als verschönt. Dick und kreidig wird derselbe aufgetragen, und nachdem dies geschehen, giebt man den Wangen noch ein unnatürliches Roth. Im Nacken, dicht unter der Haarfrisur, bleibt ein Fleckchen frei, wodurch die Bemalung noch unangenehmer hervortritt. Als ein Zeichen besonders hohen Ranges galt es früher, auf der Stirn, statt der abrasirten Augenbrauen, ein Paar runde schwarze Fleckchen anzubringen, doch ist diese Mode nur noch selten zu beobachten. Ebenso ist das Abrasiren der oft sehr fein geschwungenen Brauen abgeschafft, und nicht minder ist der Brauch schon fast verschwunden, daß die verheiratheten Frauen sich die Zähne zu schwärzen hatten, dagegen wird die Unterlippe noch jetzt bemalt, und zwar wird sie in der Mitte mit einem grellrothen und etwas metallglänzenden Flecke versehen der dem ganzen Gesicht einen geradezu unschönen Ausdruck verleiht. Ohne diese Bemalung hält so leicht keine Japanerin ihre Toilette für vollendet, und so finden wir sie auch nicht bloß bei den Sängerinnen, sondern auch bei den jugendlichen pantomimischen Tänzerinnen, von denen wir einige als charakteristisch japanische Gestalten abbilden und welche gewiß nicht unpassend als japanische Grazien bezeichnet werden können.

Es würde zu weit führen, wollten wir des Ferneren auf Mängel eingehen, welche in solcher Weise sich in der japanischen Frauenwelt, altem Herkommen gemäß, bis auf die Jetztzeit fortgeerbt haben. Es genüge, darauf hinzuweisen daß ein wirklich menschenwürdiges Dasein, ein Leben selbständiger geistiger Arbeit der Japanerin ebenso gut fehlt wie der Schutz des Rechtes durch die Gesetze. Hoffen wir, daß die Wandlungen der Zeiten, welche unaufhaltsam über den Erdball dahinschreiten und in Japan bereits Eingang gefunden haben, auch dem unterdrückten weiblichen Geschlechte dieses Landes alles das bringen mögen, was wir ihnen in Betracht ihrer mancherlei weiblichen Tugenden – ihrer Aufopferungsfähigkeit, ihrer Ordnungsliebe und unermüdlichen Sorgfalt für die Häßlichkeit und ihrer stillen anspruchslosen Duldsamkeit – von ganzem Herzen wünschen.


Blätter und Blüthen.

Die deutschen Vermißten und die „Gartenlaube“. Jede Zeitschrift, welche gewissenhaft dem Volke dient, erweitert auf dem Wege der Erfahrung den Kreis ihrer Pflichten und erhöht dadurch ihren Beruf. Auf diesem Wege ist die „Gartenlaube“ zu der ihr eigenthümlichen Redaktions-Abtheilung der „Wohlthätigkeit“ und insbesondere zu ihrer Sorge für die „deutschen Vermißten“ gekommen. Bekanntlich überließ man die Nachforschung nach Verschollenen der Obrigkeit, und nur Wohlhabende vermochten die kostspieligen Anzeige-Spalten großer Zeitungen für ihre Nachforschungen zu benutzen.

Da war denn in der That einem „dringenden Bedürfnisse abgeholfen“, als die „Gartenlaube“ sich zunächst armer hochbetagter Eltern annahm, welche auf Nachricht von den einzigen Stützen ihres Alters, ihren jahrelang vergeblich „aus der Fremde“ zurückerwarteten Söhnen harrten. In welchen trostlosen Jammer eröffneten die Bittbriefe dieser Unglücklichen einen Einblick! Es war kein Wunder, daß einige glückliche Erfolge solcher Nachforschungen die Zahl der Bitten weit über den Kreis der Armen hinaus vermehrten. Wuchs doch auch die Menge der Verschollenen durch die steigende Auswanderung namentlich nach Amerika und Australien zusehends. Da nun aber gerade durch die Auswanderung auch die „Gartenlaube“ immer weitere Verbreitung fand, indem viele Auswanderer, sobald sie festen Boden zu dauernder Niederlassung gefunden, die Verkehsverbindung zum Bezug derselben benutzten, so wurde dadurch das Wirkungsgebiet des Blattes zur Aufspürung deutscher Vermißter in gleichem Maße erweitert. Die „Gartenlaube“ drang in allen Erdtheilen so weit vor, wie die deutsche Kultur durch ihre kühnsten Vertreter. Dieser treuen Anhänglichkeit gegenüber hatte das Blatt „Treue gegen Treue“ zu wahren und fortan erst recht die große Wirkungsfähigkeit, welche die wachsende Verbreitung ihr bot, dankbar in den Dienst des deutschen Volles daheim und in der Fremde zu stellen.

Namentlich waren es die „Vermißtenlisten“, welche nun auch Bemittelten und Behörden sich erschlossen, wenn deren Nachforschungen sich als unzureichend erwiesen hatten. Wie oft wurde da ein Familientrübsal aufgedeckt, an dem die Oeffentlichkeit kalt vorübergeht! Wenn die verzehrende Sehnsucht der Verlassenen nach den Verschollenen durch keinen Trost gemildert wird, da bieten Eltern und Geschwister auch in Prunk-Palästen ein ergreifendes Bild. Aber hier wie in den Hütten der Armuth fühlt man den Balsam der Hoffnung, sobald der Name des Vermißten in den Spalten der „Gartenlaube“ steht: das ist die dankbare Versicherung in Hunderten von Briefen der Beteiligten. Und wo hat die „Gartenlaube“ ihre Vermißten zu suchen?

Mehr als ein Brief lautet: „Mein Sohn ist als Handwerksbursch in die Welt gegangen. Er ging in die Fremde“ – wohin? Keine Ahnung! Er wanderte nach Amerika aus – ob Nord oder Süd, bleibt unbekannt. Daß trotz so unbestimmter Angaben dennoch schon so viele Vermißte gefunden worden sind, grenzt oft an das Wunderbare. In Weltwinkeln, die man vergeblich auf den Landkarten sucht, in China und Ostindien, auf Inseln des Stillen Oceans, bei den Hinterwäldlern Nordamerikas, in den Kolonien Brasiliens, in den Niederlassungen Australiens wurden sie entdeckt, oft nach mehreren Jahren mit Hilfe alter in den Restaurationen liegender Jahrgänge der „Gartenlaube’. Mehr als einmal wurden Eltern, welche den Sohn seit 10 bis 15 Jahren für todt beweint, auf Betreiben der „Gartenlaube“ mit den Photographien der Schwiegertochter und der Enkel vom so lange pflichtvergessenen Sohn überrascht! Die Variationen der Freuden des Wiederfindens sind entzückend reichhaltig. Daher werden auch als werthvoller Korrespondenzschatz der Redaktion die Dankbriefe für glücklich Gefundene aufbewahren. Daß die Mehrzahl dieser Beglückten „die Worte nicht finden kann“ zum Ausdruck ihrer Gefühle, ist das beste Zeichen ihrer Glückseligkeit, die dann um so deutlicher zwischen den Zeilen zu lesen ist.

Der Zudrang zu den Vermißtenlisten ist jedoch ein so steigender, daß an eine Verminderung desselben ernstlich gedacht werden muß. Wünschen müssen wir aber, daß damit zugleich eine Verminderung der Trübsal der daheim in Sehnsucht nach den Verschollenen Trauernden verbunden sei. Und das ist möglich, wenn endlich eine der Hauptursachen des Vermißtwerdens beseitigt wird: das sind die falschen oder ungenügenden Brief-Adressen. Die Mehrzahl der Auswanderer gehört dem Bauern- oder Handwerkerstande an, die zum großen Theil ihre Schulbildung zu einer Zeit erhalten haben, wo noch der Unterricht in der Volksschule arg daniederlag. Man muß Briefe von solcher Hand gesehen haben, um zu erschrecken über den Mangel an praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten in diesen Volkskreisen.

Hat ein solcher Ausgewanderter endlich festen Boden gefunden, so schreibt er wohl heim, aber den Namen seines Wohnortes meistens so, wie er ihn aussprechen hört, vergißt auch ebenso oft die Lage (z. B. in Nordamerika außer dem Staat auch County und Township) anzugeben. Der Verwandte in Deutschland malt dann diese Adresse genau nach und unterzeichnet sich gewöhnlich nur mit seinem Taufnamen. Findet nun der Brief nicht zufällig seinen Mann, so kann er häufig nicht an den Absender zurückbefördert werden, die Korrespondenz hat ein Ende, und ein Vermißter ist fertig. Und dies ist in Hunderten von Fällen dagewesen. Richtige, genaue Adressen und stets ganze Namensunterschriften und viel Jammer und Klage über Verschollene wird es weniger geben. Dies kann nicht oft genug gesagt und sollte jedem Auswanderer auf die Seele gebunden werden. Wir bitten dringend, diese Bemerkung zu beachten und möglichst zu verbreiten. Fr. Hfm     

Frühlings-Einläuten. (Mit Illustration S. 217.) Zu den frühesten Vorboten des Lenzes gehört in unserer Heimath das Schneeglöckchen, das an sonnigen Plätzen seinen weißen Blüthenkelch emportreibt, wenn noch die Flüsse still stehen und tiefer Schnee die Felder und Auen deckt. Diese allgemein bekannte Erscheinung wußte L. Fehrenbach zu einem reizenden Märchen umzudichten, indem er zu dessen Schöpfung den allen Volksglauben verwerthete, nach dem Kobolde, Zwerge und Elfen mit dem Pflanzenleben innig verbunden sind. In der That ist das Silhouettenbild „Frühlings-Einläuten“ ein reizendes Phantasiestück, voll origineller Pointen. Da erscheint bei klarem Sonnenaufgang der Zwerg „Temperatur“ mit dem Thermometer, und flugs springen die Knospen der Frühlingsblume auf. Ein anderer Zwerg benutzt die Blüthe feinsinnig als Glocke und zieht freudig an den improvisirten Glockensträngen. Er lockt durch die magischen Klänge aus der ein wenig aufgethanten Erde einige vorwitzige Kerfe hervor, und der kleine Lenzgott schwebt auf seinen Fittigen hernieder, um die ersten Vasallen seines Reiches zu begrüßen. Der zwerghafte Glöckner freut sich des Erfolgs. Was kümmert’s ihn, ob er rechtzeitig den Frühling eingeläutet? Er ist ein Kobold und lacht sich ins Fäustchen, wenn urplötzlich Wolken die Sonne verhängen, ein scharfer Ostwind über den Wald fegt und das erste flüchtige Lenzbild wie im Traum verschwindet. Er wird ja in nächsten Tagen wieder läuten können am Fuße von Hunderten und Tausenden neuer Schneeglöckchen, bis das vereinte Tönen derselben die ganze Natur weckt, bis alle Knospen springen und laute Frühlingslieder der gefiederten Sänger den siegreichen Einzug des Lenzes feiern. *      

Zur Kulturgeschichte der Menschheit. Julius Lippert ist seit Jahren den weiteren Kreisen deutscher Leser bekannt. In klarer und durchaus ansprechender Form wußte er dem Volke Aufschlüsse über schwer verständliche Gebiete des Wissens zu ertheilen. Wir erinnern nur an seine treffliche populäre „Kulturgeschichte“, die in einzelnen Bändchen in der weit verbreiteten volksthümlichen Bibliothek „Das Wissen der Gegenwart“ (Verlag von G. Freytag und F. Tempsky, Leipzig und Prag) erschienen ist. Der Werth dieser belehrenden Volksschriften ist aber auch darum ein besonders hoher,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_235.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)