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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


In Rodens Hause ging Alles ruhig so weiter, ganz wie es angefangen hatte. Lotte spielte Klavier, wir aßen zusammen und plauderten zusammen, nach wie vor verband ich Fritz den Arm, nach wie vor las ich laut die Zeitung vor; und daß Lotte allmählich immer öfter die Wohnstube betrat, schien nur natürlich: was sollte sie da droben allein sitzen. Sie strickte eines Tages sogar, ohne nervös zu werden, an einem großen wollenen Soldatenstrumpf.

Sie war stiller als sonst, aber sie sah bezaubernd aus, besonders wenn sie die schönen Haare einfach um den Kopf gewunden trug, ein anspruchsloses weißes Schürzchen vorgebunden hatte und mit sanfter Stimme die Frau Amtsräthin fragte, ob nicht irgend Etwas zu helfen sei?

Sie schien so geknickt, so reuig; ich glaube, sie hätte ohne Zögern die bewußte Ledertasche mit dem rothen Saffianherz und dem schmutzigen Kupfergeld angehängt und Milch verkauft, wenn es nur irgend leise gewünscht worden wäre. Aber die kleine Hausfrau trug das Zeichen ihrer Würde unentwegt unter ihrer weiten schwarzen Wollschürze, die sie nur Sonntags mit einer seidenen vertauschte, und schien keineswegs gewillt, der schönen Frau auch nur eine Haarbreite von ihrem Recht abzutreten. – Jedenfalls ist Lotte niemals mit mehr Höflichkeit behandelt worden, niemals öfter „Frau Gräfin“ genannt, wie in jener Zeit von Frau Roden. Eines Tages, als das Stubenmädchen der alten Dame den gefüllten Suppenteller zuerst reichte, bemerkte diese unwillig: „Rieke, wie tausendmal habe ich Dir befohlen, daß Frau Gräfin zuerst bedient wird. – Verzeihen Sie, Frau Gräfin!“ Und sie reichte ihr so energisch den Teller hinüber, daß an ein Zurückweisen gar nicht zu denken war.

Als das Mädchen hinausgegangen, bat die junge Frau erröthend: „Liebe Frau Roden, ersparen Sie mir dies entsetzliche ‚Frau Gräfin‘; nennen Sie mich doch einfach wieder ‚Lotte‘.“

„Frau Gräfin,“ lautete die freundlich ernste Erwiderung, „das würde ich mir nie gestatten; nicht wahr, das sehen wir auch Beide vollkommen ein?“ Und Lotte ward blaß und schwieg. Fritz Roden aber führte die Unterhaltung fort, als habe er kein Sterbenswort vernommen.

Und so kam das Weihnachtsfest näher, und nichts änderte sich in unserem wunderbaren Zusammenleben. Schnee lag auf den Feldern und Bergen, und die Wohnstube duftete wieder nach den Bratäpfeln der alten Dame. In Frankreich aber zog es von allen Seiten gegen Paris heran, und der furchtbare eiserne Gürtel schloß sich fest und fester um die unselige Stadt.

Wir hatten Niemand mehr da draußen in Feindesland, bei Kälte und Eis. Der Sohn des Hauses weilte siech daheim, unser Hans ruhte in den Gräbern von St. Privat, und Lotten’s Gemahl – er ward nicht mehr genannt. Ob sie seiner noch gedachte, und wie? Ich sollte es erst durch einen Zufall erfahren.

Eines Abends im allerletzten Tagesgrauen kam Anita, just in dem Augenblick, als mir der Briefträger einen Feldpostbrief in die Hand legte, mit der Adresse der Hausfrau. Anita wollte mich sprechen, und ich ließ sie in Frau Roden’s Stübchen treten, denn oben spielte Charlotte Klavier.

„Ich will nur erst Frau Roden den Brief geben, warten Sie einen Augenblick,“ bat ich und ging in die Wohnstube, wo Mutter und Sohn noch im Dunkeln am Ofen saßen und sprachen.

„Wer kommt?“ rief die alte Dame. „Ich hör’s am Schritt – es ist unser Tonchen!"

„Ja; und denken Sie, Frau Roden, mit einem Briefe komme ich, einem Feldpostbrief an Sie.“

„Ei, was in aller Welt?“ fragte sie und nahm den Brief. Tonchen, klingeln Sie, Rieke soll die Lampe anzünden. Ein Feldpostbrief an mich? Ich kenne keine Seele da draußen, außer unsern David und Oberförsters Georg, und die – –. Von wem ist er denn, Tone?“

„Ich weiß es wirklich nicht,“ betheuerte ich und ging zu Anita.

„So Anita, da bin ich, was wünschen Sie?“

„Fräulein von Werthern,“ begann das Mädchen, „der Kammerherr von Oerzen ist vorhin angekommen; – ich glaube, er will morgen die Gräfin besuchen. Er war sichtlich in schlechter Laune und fragte, wie es denn zugehe, daß die Gräfin nicht ruhig drüben in ihren Zimmern geblieben sei. Ich sagte, sie habe sich zu sehr gebangt und wäre zu ihrer Schwester gegangen. Nun haben sie ja wohl drüben in R. etwas davon gehört, was sich hier die Spatzen auf den Dächern erzählen, nämlich, daß Herr Roden und die Gräfin sich ausgesöhnt hätten und daß es nicht unmöglich sei, sie strichen die prinzliche Heirath ganz aus in ihrem Gedächtniß, und es bliebe beim Alten. Das aber scheint der Frau Herzogin geradezu gefährlich, denn der Prinz ist keineswegs so sehr entzückt gewesen von dem raschen Eingreifen der Herrschaft in seinen Liebestraum. – Kurz und gut, Fräulein von Werthern, aus den Fragen des Kammerherrn habe ich mir so viel herausgerechnet, daß man auf jeden Fall die Gräfin von dieser Idee abbringen möchte, denn wenn der Prinz öfter Gelegenheit hat, sie zu sehen, so ist das keine glückverheißende Aussicht für seine künftige Ehe.“

„Liebe Anita,“ sagte ich, „wenn sich die Zwei heirathen wollen, wird es auch der Herzog nicht hindern. Doch noch ist es nicht so weit. – Fritz Roden ist krank, und meiner Schwester Scheidung noch nicht ausgesprochen.“

„Ich wollte es Ihnen auch nur mittheilen, Fräulein von Werthern; es ist mir, als beruhige sich mein Gewissen, wenn ich der Gräfin nützen könnte. Ich habe ihr im Frühling alle Briefe des Prinzen gebracht.“ –

„Das habe ich längst gewußt,“ bemerkte ich bitter.

„Es thut mir heute leid,“ sagte sie leise, „aber ich habe auch keinen freien Willen. Sie glauben nicht, wie heftig die Leidenschaft des Prinzen war, und wie sehr die Gräfin die Flamme zu schüren verstand, mit ihrer äußerlichen Kälte.“

„Da ist ja auch nichts mehr zu ändern durch Reue, Anita.“

Sie stand noch ein Weilchen zögernd an der Thür, dann ging sie, und ich kehrte in das Wohnzimmer zurück. Auf den ersten Blick sah ich schon, daß der Feldpostbrief, der vor Frau Roden auf dem Tische lag, etwas Besonderes enthalten mußte, denn die kleine Frau schien ganz ungewöhnlich echauffirt zu sein und warf mir einen so wunderlich fragenden Blick über die Brille hinweg zu, als wollte sie mich irgend eines schweren Verbrechens anklagen. Fritz war verschwunden. – Noch aber hatte ich keine Ahnung, wie nahe mich der Inhalt des Briefes anging, und daher fragte ich nur: „Doch keine schlechten Nachrichten?“

„Nein, – aber unerwartete, Tonchen. Sie hätten wohl Vertrauen zu mir haben können!“

Ich stutzte. „Worum handelt es sich denn?“

„Um Sie.“ –

„Um mich?“

„Hier ist ein Brief für Sie, der als Einlage sich in dem meinen befand. Er enthält einen Heirathsantrag.“ – –

„Für mich?“ Ich lachte auf einmal so herzhaft, wie seit langer Zeit nicht mehr.

„Aber, Kind, das ist doch weiß Gott nicht zum Lachen!“ sprach die alte Frau gereizt.

„Aber Wer denn in aller Welt? Es muß ein Irrthum sein, man wird Lotte meinen.“

„Nicht so vorschnell! Setzen Sie sich gefälligst, ich werde Ihnen das an mich gerichtete Schreiben vorlesen.“

Erwartungsvoll nahm ich Platz.

„Unterschrieben ist es: von Brenken, Hauptmann im X ten Regiment,“ – Und sie sah mich bei Nennung dieses Namens forschend an.

„Ich kenne ihn,“ erwiderte ich stotternd, „er war Adjutant meines Papa’s und kam täglich in unser Haus. Indessen – er muß Lotte meinen.“ –

Aber sie unterbrach mich, indem sie zu lesen begann:

 „Verehrte Frau!

Sie werden sich wundern, daß der fremde Mensch, der sich am Schlusse unterzeichnet, an Sie zu schreiben wagt und, mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_250.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)