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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

herrlicher Kraft, hoch aufgerichtet das Haupt, in welchem so jugendfrische Gedanken flammten, während über den dünneren Scheitel schon der Rauhreif des Alters gezogen war!

Es ist nie schwer gewesen, mir meine Empfindungen vom Gesicht abzulesen; es mag in dieser Minute besonders leicht gewesen sein. Ich wollte etwas sagen, aber es kam kein Wort über die zuckenden Lippe. Ich wollte mich dankend auf seine Hand neigen, die er mir gereicht hatte, vermochte es aber nicht und blieb so in hilfloser Verlegenheit, die ihren Gipfel erreichte, als ich nun doch meine Hand zurückziehen wollte und sie von der seinen festgehalten fühlte – ein paar Sekunden lang, während sein Blick mit einem Ausdruck, der mich, ich wußte nicht warum, bis in das Mark durchschauerte, auf mir ruhte.

Dann fühlte ich meine Hand losgelassen, und wir waren aus der Nische in das Zimmer getreten. Ich hatte mich nun wenigstens so weit gefaßt, daß ich mich verbeugen und etwas von „den weiteren Befehlen Seiner Hoheit“ stammeln konnte, wie ich es vorhin von Weißfisch gehört.

Er schien einen Moment nachzusinnen, dann sagte er rasch und in einem ganz anderen Tone, als in welchem er vorhin gesprochen:

„Sie werden morgen das Nähere hören; für heute gute Nacht!“

Ich verbeugte mich abermals und ging nach der Thür.

„Noch Eines!“

Ich wandte mich; er stand bereits wieder am Schreibtisch und sagte das Folgende halb über die Schulter:

„Weißfisch hört von morgen an auf, Ihr Lehrer zu sein, wie Sie es vorhin wünschten. Den weiteren Gang Ihrer Studien werde ich selbst anordnen. Hoffentlich werden Sie Vertrauen zu mir, und ich denke, ich werde Freude an Ihnen haben. Jedenfalls will ich Sie in meiner Nähe wissen. Alles Weitere, wie gesagt, bis auf morgen. Gute Nacht!“

Ich stand in dem Vorsaal, mir das Haar aus der glühenden Stirn streichend, verwundert auf den Mann in Kniehosen blickend, der sich wiederholt vor mir verbeugte, und auf Weißfisch, der mich ganz verklärt anlächelte, ich wußte nicht warum. Dann begriff ich, daß der Mann in Kniehosen mir das Geleit bis zur nächsten Thür geben wollte, und stürzte nun davon so schnell, daß Weißfisch Mühe hatte, mir zu folgen.

Ich erinnere mich auch nicht, wie ich durch die Gemächer, Säle und Korridore in mein Zimmer zurückgekommen bin, wo ein Tischchen für mich gedeckt stand zu einem Nachtimbiß, bei welchem mir der eine Diener aufwartete. Ich hatte bis jetzt meine Mahlzeiten noch immer mit Weißfisch gemeinsam eingenommen und mich gewundert, daß nur für mich allein gedeckt war; Weißfisch aber, als ich darüber eine Bemerkang machen wollte, bat mich, einen bedeutsamen Blick nach dem Diener werfend, mit ein paar leisen Worten, es so geschehen zu lassen; worauf er mir mit zur Schau getragener Höflichkeit eine gute Nacht wünschte und sich entfernte. Ich wußte nicht, was ich von dem Allen denken sollte, und hätte gern Jemand gehabt, gegen den ich mein volles Herz ausschütten konnte. Dann war es mir doch wieder recht, daß ich allein war und bei einer Flasche herrlichen Weines weiter brüten und schwärmen durfte. Zuletzt stand ich noch lange am offenen Fenster, schaute auf die Stadt hinab, in deren Häusern ein Licht nach dem andern erlosch, wunderliche Träume träumend, lange bevor ich in dem Nebengemach das seidne Bett unter dem hohen Baldachin aufsuchte.

Ich war ja nur ein armer Bursch, der kein Heim hatte, keine verwandte Seele in der weiten Welt sein nennen durfte. Aber wenn ich mir an diesem Abend wie ein Prinz vorkam, der in sein väterlich Schloß zurückgekehrt ist nach langer kümmerlicher Wanderschaft in der Fremde, wer hätte es mir verargen können?


3.

Ich hatte mich in meine prinzliche Herrlichkeit so hineingeträumt, daß ich, am nächsten Morgen erwachend, vor dem Lichtschein, welcher durch die heruntergelassenen Fenstervorhänge in das Zimmer fiel, die Augen unwillig schloß, um mich in dem seidenen Bette so behaglich weiter zu dehnen, als sei dies selbstverständliche Wirklichkeit, und ein gewisses schmales Lager auf einer harten verlegenen Seegrasmatratze in einem gewissen kleinen Hofstübchen, in das die Sonne im Hochsommer einmal ein paar letzte verlorene rothe Strahlen schickte – durch ein viereckiges, gardinenloses Fenster, vor dem ein halbkahler Kornelkirschbaum stand –, das sei ein halb verschollener Traum, den ich mit Fug nun ganz vergessen könne.

Ein leises Räuspern in meiner Nähe ließ mich die Augen wieder aufschlagen. Vor meinem Bett stand ein rundlicher kleiner Herr in weißer Kravatte mit einem Zettelchen in der Hand. Der Herr räusperte sich noch einmal, vermuthlich, um sich zu überzeugen, daß ich wirklich wache, verbeugte sich und theilte mir, flüchtig auf das Zettelchea blickend, in geschäftsmäßigem Tone mit, daß ich zu neun Uhr zum Frühstück bei Hoheit befohlen sei, Hoheit mich aber vorher ein paar Minuten in seinem Kabinet sprechen wolle. Anzug: Promenadenanzug. Für den übrigen Theil des Tages lägen keine Befehle vor, da Hoheit um zehn Uhr zu einem Jagdausfluge nach X. aufbrächen, von wo sie erst morgen Abend zurückkommen würden.

Hierauf abermalige Verbeugung, und der räthselhafte rundliche Herr war verschwunden.

Es sei der Oberhoffurier gewesen, belehrte mich mein Diener (so mußte ich ihn ja jetzt wohl nennen), der dann plötzlich an Stelle jenes im Zimmer war und die Vorhänge an den Fenstern zurückschlug; und was der Herr Hoffurier mir mitgetheilt, sei das „Programm des Tages" – für mich; es werde jedem der Herren Kavaliere, so weit ihre Obliegenheiten nicht schon anderweitig bestimmt seien, und den Gästen Seiner Hoheit jeden Morgen vor dem Frühstück ein solches Programm mitgetheilt. Es müsse bei Hofe eben Alles nach dem Schnürchen gehen, fügte der Mann mit respektvollem Lächeln hinzu, als wolle er um Verzeihung bitten, daß er sich die Freiheit dieser Aeußerung gestatte.

Der Mann entsprach seinem Namen: – „Holzbock, zu Befehl!“ hatte er auf mein Befragen geantwortet – ganz und gar nicht. Ich hatte nach zehn Minuten, während deren er mir trotz meines gelinden Sträubens beim Ankleiden half und die Sachen aus dem Koffer in die Kommoden packte und in die Schränke hing, das Gefühl, als ob er schon ebenso viele Jahre um mich gewesen sei: so ruhig zweckmäßig war sein Hantieren, so kaum bemerklich sein Kommen und Gehen, so verständig-ausgiebig bei aller gemessenen Knappheit sein Antworten auf mein mancherlei Fragen, unter anderem nach der Ursache eines überstarken Parfums in den Zimmern, welches ich bereits gestern Abend bemerkt und nur in meiner Erregung weniger beachtet hatte, das aber heute Morgen meine erfrischten Sinne empfindlich belästigte.

„Es haben schon mehrere Herrschaften darüber geklagt,“ erwiederte Holzbock; „es muß einmal einer von den Herren ein Patschuli-Flakon zerbrochen haben. Wir können es nicht herausbringen. Uebrigens haben sich alle Herrschaften bald daran gewöhnt,“ schloß er, wie zu meiner Ermuthigung oder Belehrung, mit seinem respektvollen Lächeln.

Die Zeit, wo ich mich zum Herzog zu begeben hatte, war schneller, als ich dachte, herangekommen, glücklicherweise führte mich Holzbock diesmal nicht den langen Weg von gestern Abend durch das Schloß, sondern einen viel kürzern über den Schloßhof und eine Hintertreppe hinauf unmittelbar in das Vorzimmer zu demselben Gemach, in welchem mich der Herzog gestern Abend empfangen hatte und in das ich jetzt ohne Weiteres – der Mann in den Kniehosen war heute nicht zugegen – einzutreten von Holzbock bedeutet wurde. Wenn Hoheit noch nicht drinnen sein sollte, so werde er doch alsbald kommen.

Der Herzog war noch nicht drinnen, und so durfte ich mich denn mit einiger Muße in dem Gemach umschauen. Es war doch bedeutend geräumiger, als es mir gestern Abend in dem Lampen- und Kerzenlicht erschienen war: dunkle Tapeten, ein schwärzliches Eichenholzpannel welches bis fast zur Hälfte der Wandhöhe reichte, mehrere braune Schränke, zwischen und über denen angebräunte Bilder in mächtigen Goldrahmen hingen und hier und da eine Marmorbüste, auch wohl eine ganze Figur in halber Größe auf Konsolen und Postamenten placirt waren. Die hohe Stuckdecke hatte in den vier Ecken Medaillons mit Jagdemblemen; auf dem großen Oval in der Mitte trieb eine speerschwingende, von ebenfalls speerschwingenden Nymphen begleitete Diana einen Hirsch vor sich her, an welchem die Hunde emporsprangen. Auf den Tischen und Börten standen so viel Kunst- und andere Gegenstände, dergleichen mein Auge, auch in den Prunkgemächern von Nonnendorf,

nie beisammen gesehen, wie denn auch sonst die kostbarste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_287.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2024)