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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 17.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Lora-Nixe.

Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)

In der vierreihigen Kastanienallee, die vom Kurhaus auf die Chaussee nach Himmelgarten leitet, versammelte sich die Gesellschaft. Aus dem großen Eselsstall führten die Eselsbuben in ihren blauen Blousen und rothen Mützen die geduldigen Thiere heran, die mit bunten Quasten und Satteldecken geschmückt waren und von den Damen in Spitzen- und Seidenroben bestiegen wurden. Elegante Equipagen schlossen sich an.

Baron Pölz saß in einem niedrigen mit Scharlachtuch ausgeschlagenen Wagen, den vier roth geschirrte, mit Glöckchen behangene Maulthiere zogen; zwei kleine Vorreiter auf ebenso ausgestatteten Thieren klingelten voraus.

Eine Kammerjungfer, in Seide gekleidet, und ein Diener, der in einer viel zu weiten Livree schlotterte, hoben die Gräfin Scultizka auf einen kleinen Esel mit einem großen Federball zwischen den langen Ohren.

Ravensburgk hielt am Eingang der Allee. Nachlässig auf einem Maulthier sitzend, sein Glas ins Auge geklemmt, schaute er gespannt den von allen Seiten Herzuströmenden entgegen. „Nun, wann kommen denn Ihre Damen?“ fragte er Heino, der aufgeregt hin und her eilte.

„Gar nicht,“ erwiderte dieser zerstreut, während er gespannt nach dem Lora-Flügel hinüber spähte.

Ravensburgk fiel das Glas aus dem Auge. Vera jagte heran. Frau von Blachrieth hatte nicht Unrecht; wie ein Kosak, so sicher und bequem zugleich, saß das kleine sechsjährige Mädchen auf ihrem struppigen Pony. „Ich reite mit Fräulein Paloty voraus,“ rief sie in dem die Worte scharf ausprägenden Accent der Russen und schwang energisch ihre starke Lederpeitsche.

Ravensburgk fing ihre Hand auf. „An dem Ort, nach weichem wir reiten werden, regiert nicht die Knute, sondern das Wort: ‚Die Ersten werden die Letzten sein.‘“ Auf seinen Wink führte ein Diener den kleinen Kosaken unter die Obhut der Gouvernante zurück, die beleidigt auf dem unscheinbarsten Esel hockte.

„Herr von Ravensburgk, welches Malheur!“ rief Frau von Tromsdorf aus einer kleinen Eselskutsche, in welcher sie mit Fifi und den drei Fräulein von Gokel saß. „Wir haben kein Pferd bekommen, und Reiten ist doch Fifi’s ganz specieller Fall.“

„O, trösten Sie sich, meine Gnädigste,“ erwiderte er. „Nach der Gemeine der Heiligen müßten wir eigentlich per pedes apostolorum wallfahrten, was ich Ihnen überhaupt rathen möchte zum Besten ihres Gespanns. Ich empfehle mich unterthänigst. Vielleicht habe ich die Ehre,

Studienkopf.0 Nach dem Oelgemälde von Emil Eismann-Semenowsky.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_293.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2020)