Seite:Die Gartenlaube (1886) 304.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

sind, als ich, so zu sagen, im Kriegsfieber lag, nicht mehr voll bekennen; ja, ich sehe in denselben etwas wie eine Apostasie meiner republikanischen Ueberzeugungen; und überdies knüpft sich gerade an diese Gedichte eine der schmerzlichsten Erinnerungen aus der traurigsten Zeit meines Lebens.“

„Davon nachher!“ rief die schöne Frau ungeduldig; „aber erst die Gedichte, bitte, bitte!“

Wie hätte ich dem widerstehen können! In meinem eitlen Herzen hielt ich die Gedichte trotz alledem für wirklich gut. Und wann hätte jemals ein junger Dichter Nein gesagt, wenn ihn eine schöne Frau um ein Kleinod aus seinem unermeßlichen Schatze bat!

„Die Gedichte,“ begann ich – „es sind Sonette, drei an der Zahl – betiteln sich ,Goethe und Bismarck‘.“

Sie nickte, als ob sie sagen wollte: so viel weiß ich bereits – weiter!

Und ich drückte die Augen ein, so weit es dem begeisterten Sänger ziemt (wenn er dabei doch noch sein schönes Auditorium im Auge behalten will), und recitirte:

„Der Deutschen höchstes Dichten, tiefstes Denken,
In Goethe fand den Meister es der Meister.
Er herrschte, zeusgleich, in dem Reich der Geister,
Und Wonne war’s, vor ihm die Stirn zu senken.

Nur Alles konnt’ er seinem Volk nicht schenken.
O heilig römisch Reich, verpappt vom Kleister
Der Diplomaten, während dreist und dreister
Fremdmäuse tanzten auf den heim’schen Bänken!

O Goethe’s Volk! o Goldstück, halb gepräget,
Halb nur geachtet auf dem Markt des Lebens,
Zu leicht befunden in der Völker Rath!

Den vollen Kurs schuf er dir unentweget,
Er, Bismarck, er, der Revers deines Strebens,
Des idealen; er, der Mann der That!“

„Herrlich, herrlich!“ rief die schöne Frau. „Weiter!“

Und ich recitirte weiter, mit Mühe das klopfende Herz bändigend:

„Giganten Beid’ im Planen und Vollbringen;
und Beide deutsch bis zu der Seele Grunde,
Des wirren Menschentreibens reichster Kunde
Voll; nie am Scheine haftend; nach den Ringen

Den Baum des Lebens schätzend; stets den Dingen
Schauend ins Herz: mit Adlerblick die Runde
Der weiten Welt durchschweifend; jede Stunde
Bereit, zu lüften die gewalt’gen Schwingen.

O, zweier Kön’ge ungemessnes Erbe!
Glückselig Volk, dem solche Doppelgüter
Zum stolzen Eigen gnädiglich gewährt!

Wohlan! was dir Fortuna gab, erwerbe!
Sei beider Krösusschätze treuer Hüter!
Sei ewig eines wie des andern werth!“

„Köstlich! weiter! weiter!“ murmelte die schöne Frau.

Und ich mit tönender Stimme, während mir die Wangen glühten:

„O Faust! o Deutscher! Daß in deiner Brust
Die beiden Seelen nun und nie sich trennen!
Dann wird man dich das Salz der Erde nennen,
in höherm Sinn, als man es je gewußt.

Schwelgst du nur in des einen Zieles Lust,
Willst gierig nur nach Pluto’s Schätzen rennen,
Nur für Apollo’s Lorbeerkranz entbrennen,
Versinken wirst du in der Völker Wust.

Nie, seit die Erde ziehet ihre Kreise,
Ward einem Volk so schwerer Kampf entboten,
Ward ihm so hehrer Siegespreis gestellt.

So sei denn tapfer! sei denn gut und weise!
Begraben laß die Todten ihre Todten,
Du, alle Zeit ‚ein Sänger und ein Held‘!“

Ich hob verstohlen die Augen, die ich denn doch zuletzt wirklich zugedrückt haben mochte. Aber jetzt hatte sie die ihren gesenkt, und sie war es jetzt, deren Wangen glühten.

„Der Herzog hat wahrlich Recht,“ murmelte sie.

„Worin, gnädige Frau?“

„Hernach. Zuerst die Erinnerung, die sich für Sie an die Sonette knüpft!“

„Ich sagte Ihnen, gnädige Frau, es sei eine sehr schmerzliche.“

„Und eben deßhalb will ich sie wissen. Oder sind Sie Einer von Denen, welche mit den Freunden wohl ihre Freuden theilen mögen, aber nicht ihre Schmerzen?“

„Ich gehöre allerdings, gnädige Frau,“ erwiderte ich, „zu dieser egoistischen Sekte und mache nur Ausnahmen von der Regel, wenn es mir, wie in diesem Falle, befohlen wird. Auch werde ich leider zu diesem Zweck etwas weit ausholen müssen.“

„Es kann für mich nicht zu weit sein,“ entgegnete sie lebhaft. „Ich habe vorhin ganz gut bemerkt, daß Sie die betreffende Episode, über die wir durch unsre Gewährsmänner – nun wohl: Spione, Sie ironischer Mensch! – nur sehr unvollkommen unterrichtet sind, ganz überschlagen haben. Sie brachen da ab, wo Sie erwähnten, daß Sie sich nach dem Wiederbeginn der Schule vergeblich bemüht hätten, zwischen Ihren beiden Freunden ein wenigstens leidliches Verhältniß herzustellen.“

„Es war unmöglich,“ sagte ich. „Schlagododro – ich darf ihn doch weiter so nennen? – war in seinem heißen Löwenherzen zu tief verwundet. Maria, die nach meiner Entfernung nur noch wenige Tage in Nonnendorf geblieben war, hatte ihm geschrieben, daß ihre Liebe zu ihm doch wohl nicht die rechte gewesen sei. Die rechte Liebe wäge nicht, prüfe und wähle nicht. Ihre Liebe habe geprüft und erwogen, daß die schwerste Scheidung die der Gedanken und Ueberzeugungen sei, wie sie eben zwischen ihnen existire, und so bleibe ihr keine Wahl, als die, ihn zu bitten, sie frei zu geben und, wo möglich, zu vergessen. Schlagododro beschuldigte Adalbert, daß er es sei, der in erster Linie zwischen ihm und der Geliebten stehe, was ja auch in gewissem Sinne richtig war; und weiter auch veranlaßt habe, daß Mutter und Tochter mit einer allerdings verdächtigen Eile um eben diese Zeit unsre Stadt verließen, nach Berlin überzusiedeln, wohin ihnen Adalbert nach zurückgelegtem Abiturexamen folgen wollte. Adalbert hüllte sich, auch mir gegenüber, betreff der ganzen Angelegenheit in sein gewohntes kühles Schweigen, das er erst in letzter Stunde brach: auf dem Fest, welches die Abiturienten mit den Zurückbleibenden feierten. Man nennt das einen Kommers, gnädige Frau. Da, als alle die Anderen schon mehr oder weniger bezecht waren, nahm er mich auf die Seite und sagte mir: ja, er habe gethan, was in seinen Kräften gestanden, die Beiden zu trennen. Die Tochter seiner Mutter, die Schwester des Republikaners, solle und werde sich das Bild des Gefolgsmannes, des Fürstendieners aus dem Herzen reißen. Und fügte noch Manches hinzu von der Gefahr der Trennung, die auch für ihn und mich hereindrohe, wenn ich nun wirklich in den Krieg wollte und über der Kriegsleidenschaft und dem patriotischen Pathos der Freiheitsideale vergäße, zu denen ich mich doch bekenne, und die für alle Völker identisch seien und durch einen Krieg, wie dieser, und durch alle Kriege nur geschädigt würden, da dieselben nur Hochwasser für die Mühle der Reaktion, die in letzter Zeit schon bedenklich leer geklappert habe. Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich da Dinge berühre, die scheinbar nicht hierher gehören; in Wahrheit stehen sie mit dem Folgenden in engstem Zusammenhang. Denn Schlagododro, obgleich er natürlich kein Wort von dem Allen gehört hatte, ahnte, wußte doch Alles, was wir da in der Ecke sprachen, und daß der Verhaßte, der ihn von der Geliebten getrennt, die letzte Stunde benutzte, eine Scheidemauer aufzurichten zwischen ihm und dem Freunde. Die doppelte Eifersucht hatte sein Löwenherz mit wüthendem Zorn erfüllt, und als nun gar eben jene Gedichte, die ich Ihnen vorhin recitirt, und die abschriftlich unter den Kommilitonen umgingen, von einem Indiskreten vorgelesen, von den anderen jubelnd begrüßt wurden, Hochs auf den Krieg, auf Graf Bismark erschallten, alle Gläser sich hoben, nur Adalbert’s nicht – gnädige Frau, erlassen Sie mir die Schilderung einer Scene, auf deren Einzelheiten, wie auf die eines wüsten Traumes, ich mich nur selbst mühsam besinne. Das Ende war, daß ich mich zwischen die Todfeinde warf in dem Augenblicke, als Adalbert mit einem Schläger, welchen wir zu dem ,Landesvater‘ benutzt hatten, gegen Schlagododro ausfiel, der ihm mit hochgeschwungenem Sessel den Kopf zerschmettern wollte und zerschmettert hätte, wäre der dem Andern zugedachte Todesstoß nicht durch meinen Arm und meine Brust gegangen, und ich so für todt zwischen den Rasenden zusammengebrochen.“

„O, mein Gott!“ murmelte die schöne Frau.

Ich blickte sie an und die herzliche Theilnahme, die sich auf dem lieblichen Gesicht gar rührend ausprägte, schien mir ein reichlicher Entgelt für all das ausgestandene Leid.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_304.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)